Ihr Körper ist unser Kapital: Investitionsobjekt für Krankenversicherer
Man könnte Warren Schmidt als eine Art Wahrsager bezeichnen. Nur dass er eben keine Glaskugel braucht. „Gibt man mir die Hautfarbe eines Mannes“, sagt Schmidt, „seinen Beruf, seinen Wohnort und seine Krankenakte, dann könnte ich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit sagen, wie lang dieser Mensch noch lebt.“ Herrn Schmidt gibt es nicht wirklich. Er ist nur die Hauptfigur im Film „About Schmidt“, von Jack Nicholson gespielt. Aber sein Beruf ist echt – und ziemlich krisenfest: Versicherungsmathematiker, auch Aktuare genannt, sind die Rechenkünstler ihrer Branche.
Für private Krankenversicherungen ist der Körper auch ein Investitionsobjekt. Unterm Strich will das Unternehmen Geld verdienen. Der Kunde zahlt Beiträge, aber irgendwann braucht er eine Behandlung. Also müssen die Aktuare rechnen: Wie hoch ist das Risiko, dass der Kunde erkrankt und die Versicherung die Heilungskosten übernehmen muss? Mit anderen Worten: Wie hoch ist das Risiko, dass die Investition in den Körper zu Verlusten führt? Wenn Krankenversicherungsmathematiker kalkulieren, müssen sie drei Disziplinen Genüge tun: der Statistik, der Betriebswirtschaft und zu einem gewissen Grad auch der Medizin.
Vor allem die privaten Versicherungen legen potenziellen Kunden umfangreiche Fragebögen vor. Ihren Beitrag berechnen Aktuare danach, wie alt und krank das Neumitglied ist. Wie viel mehr muss der Kunde bezahlen, wenn er Asthma hat? Asthmakranke nehmen regelmäßig Sprays. Schwer Asthmakranke haben schlimmstenfalls einen Anfall, so dass der Notarzt kommen muss, und das kostet inklusive der Inanspruchnahme des Notarzteinsatzfahrzeugs mindestens rund 300 Euro aufwärts. Eine Frau, so berichtet es die Stiftung Warentest, vergaß, eine harmlose Zyste in einem Eierstock anzugeben, woraufhin die Versicherung vom Vertrag zurücktrat. Ihr neuer Versicherer, dem sie eine ärztliche Bestätigung vorlegte, dass die Zyste vollständig ausgeheilt ist, verdonnerte sie zu zwölf Euro Risikoaufschlag im Monat – jeden Monat.
In den USA zeigen sich die Grenzen eines solchen Renditedenkens: Zum Start der Anmeldephase zu „Obamacare“ hatten dort über 40 Millionen Menschen keine Krankenversicherung. Das Gesundheitssystem ist – laut Weltbank – zusammen mit dem Norwegens und der Schweiz das mit Abstand teuerste der Welt; pro Kopf beträgt die Summe der Gesundheitsausgaben für US-Amerikaner fast 9.000 Dollar im Jahr. Viele konnten sich die Beiträge für die Krankenkasse nicht leisten – und manche wurden aufgrund ihrer teuren Krankheiten gar nicht erst aufgenommen. Immerhin: Mittlerweile sinkt die Zahl der Unversicherten.
Pimp my Frühstücksbrötchen: den Körper mit Vitaminen druckbetanken
Gesunde Ernährung ist, so hat es den Anschein, für viele zu einer Art Ersatzreligion geworden. Jedenfalls betreiben das viele Menschen mit großem Eifer. Als Zauberstoff gelten Vitamine, aber auch die sekundären Pflanzenstoffe und diverse Omega-Fettsäuren. 1,5 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich für Nahrungsergänzungsmittel aus. Selbst Apotheken empfehlen die Präparate auf gut Glück. Den Vitamin- und Mineralstoff-Jieper bedienen auch Lebensmittelhersteller gerne – mit „Functional Food“, also zum Beispiel Bonbons, die Vitamine enthalten. Im Supermarktregal findet man heute kaum noch eine Packung Cornflakes ohne zugesetzte Vitamine. Hersteller von Vitaminpräparaten werben gerne damit, dass Obst und Gemüse früher nährstoffreicher gewesen seien. Ernährungsexperten halten das für Unsinn.
Für einige Menschen sind Zusätze sinnvoll. Schwangere beispielsweise benötigen in den ersten Monaten Folsäure, danach und in der Stillzeit auch Jod. Allein: Einen Liter Multivitaminsaft zu trinken ist für niemanden gesund, weil die empfohlene Tageszufuhr dabei überschritten wird. Der Saft wird als Getränk verkauft, hat aber Inhaltsstoffe wie ein Nahrungsergänzungsmittel. Zudem stammen die Vitamine oft nicht aus dem Obst, sondern werden zugesetzt. Manche Vitamine kann der Körper recht einfach ausscheiden, andere jedoch nicht. Und von Eisenpräparaten rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sogar ab – immer vorausgesetzt, dass sie nicht vom Arzt verschrieben wurden. Als eines der aktuell wichtigsten Vitamine gilt Vitamin D, genauer: D3. Diesen Stoff, chemisch Cholecalciferol genannt, bildet der Körper selbst – wenn ihm genug Sonnenlicht zugeführt wird. Die UV-B-Strahlen stoßen dabei in der Haut einen chemischen Prozess an, dessen Endprodukt lebenswichtig ist. Leider setzt sich, wer sich sonnt, auch der schädlichen UV-A-Strahlung aus. Endokrinologen raten also dazu, täglich bis zu einer halben Stunde ungeschützt in die Sonne zu gehen, auch im Sommer. Hautärzte aber sagen: besser nicht.
Diese Widersprüche ziehen sic<h durch die Vitamin-Fachliteratur. Manche empfehlen grammweise Vitamin C, andere bezweifeln die Wirksamkeit einer solchen Hochdosis. Mit anderen Worten: Wie viel Vitamine Menschen nun exakt brauchen, weiß bis heute keiner so genau. Nur dass in gewissem Rahmen zu wenig und zu viele Vitamine schädlich sind, darüber sind sich alle einig. Aber nur mit sehr vielen Vitaminen verdient man auch eine Menge Geld.
Jan Ludwig arbeitet als freier Journalist. Nachdem er mit sieben Jahren erfolgreich über eine Hüpfburgmauer sprang und mit 22 versuchte, die Küche zu putzen, verdiente jeweils ein ganz besonderer Zweig des Gesundheitswesens an ihm: die Gipsindustrie.