2016 erscheint mit „Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle“ ein sehr persönlicher Text von Franziska Seyboldt in der „taz“. Darin erzählt die Journalistin von ihrer Angststörung. Für den bewegenden Artikel bekommt sie viel Zuspruch, außerdem wird er zum Ausgangspunkt für ihr Buch „Rattatatam, mein Herz. Vom Leben mit der Angst“. Darin beschreibt die 33-Jährige, wie es sich anfühlt, wenn die Panik in ihr aufsteigt.
fluter.de: Wann hast du das erste Mal deine Angststörung gespürt?
Franziska Seyboldt: Schwer zu sagen. Aber die konkrete Angst, ohnmächtig zu werden, begann mit einem Arztbesuch, den ich auch in meinem Buch schildere. Ich war zwölf und kippte dort zum ersten Mal um. Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Danach hatte ich große Angst, wieder in Ohnmacht zu fallen. Anfangs bekam ich schwitzige Hände und Herzklopfen nur im Wartezimmer beim Arzt, später auch in anderen Situationen, zum Beispiel bei einer Schulaufführung oder bei Referaten. Es war ein schleichender Prozess, die Panik steigerte sich und kam in immer neuen, alltäglichen Situationen wie in der U-Bahn oder im Kino. Als ich mit 24 Jahren die Diagnose „Angststörung“ bekam und mit meiner Therapie begann, waren die Ängste bereits ein großer Teil meines Lebens.
„Ichsaß fast jeden Tag in der Redaktionskonferenz und hatte Angst. Ein Jahr lang ging das einigermaßen gut, bis ich eines Tages panisch rauslief. In diesem Moment wusste ich, dass ich entweder eine Therapie machen oder den Job kündigen muss“
Woran hast du gemerkt, dass du eine Therapie brauchst?
Ich hatte lange keine große Lust, mich mit meinen Problemen auseinanderzusetzen. Mein Leben verlief nach außen hin in geregelten Bahnen. Ich habe mein Abi gemacht, angefangen zu studieren und kam mit dem Alltag gut klar. Zur Therapie entschloss ich mich erst, als die Panikattacken in meinem ersten Job als „taz“-Redakteurin zum Problem wurden. Ich saß fast jeden Tag in der Redaktionskonferenz und hatte Angst. Ein Jahr lang ging das einigermaßen gut, bis ich eines Tages panisch rauslief. In diesem Moment wusste ich, dass ich entweder eine Therapie machen oder den Job kündigen muss. Weglaufen und vermeiden ist bei Ängsten nicht der richtige Weg. Meine Arbeit wollte ich behalten – deshalb entschied ich mich für eine Therapie.
Kannst du einmal beschreiben, wie sich eine Panikattacke für dich anfühlt?
Jeder kennt kurze Schreckmomente – wenn es auf der Straße einen lauten Knall gibt. In solchen Momenten zuckt der ganze Körper zusammen und das Herz rast. Genauso fühlt sich eine Panikattacke an, nur eben in lang und grundlos. Man befindet sich meistens nicht in Gefahr, was das schlimme Gefühl noch steigert. Man fragt sich: Es ist doch alles okay, bekomme ich jetzt etwa einen Herzinfarkt? Ich bekam zum Beispiel jahrelang Panikattacken in der U-Bahn. Dann wurden meine Hände und Füße nasskalt, mir wurde schwindelig und übel, und ich habe nur wenige Stationen ausgehalten, bis ich völlig fertig ausstieg.
Wie gehst du heute nach vielen Jahren in Behandlung mit deinen Ängsten um?
Ich versuche, ihnen nicht mehr aus dem Weg zu gehen. Vor zwei Wochen hatte ich meine Premierenlesung in Berlin. Ich war vielleicht noch nie in meinem Leben so aufgeregt. Ich habe es gut überstanden, weil ich mich meinen Ängsten mittlerweile bewusster stelle. Natürlich ist diese Konfrontation anstrengend, umso wichtiger sind für mich Rückzugsorte und Ruhephasen. Der offensive Umgang mit der Angststörung scheint erfolgreich zu sein. Die Angst vor dem U-Bahn-Fahren ist so gut wie verschwunden, die Flugangst komplett weg. Ich erobere mir nach und nach viele Bereiche aus meinem Leben zurück.
Gab es für dich einen Anlass, deine Angststörung öffentlich zu machen?
Nein. Es war ein längerer Entscheidungsprozess. In meine Texte und Kolumnen fließen immer persönliche Erlebnisse und Ansichten ein. Deshalb war mir klar, dass die Angststörung irgendwann ein Thema sein würde. Das Schreiben sollte nicht zum Therapieersatz werden. Deshalb habe ich mir Zeit gelassen und mit meinem Therapeuten über den Gang in die Öffentlichkeit gesprochen. Als 2016 mein erster Text zum Thema erschien, hatte ich schon genügend Abstand, um offen über meine Ängste zu sprechen.
In deinem Buch ist die Angst eine Person. War das Teil der Therapie?
„Wenn jetzt eine Panikattacke aufsteigt, erinnere ich mich an die Person, die ich beim Schreiben kreiert habe, und gehe in den Dialog mit ihr. Das klappt erstaunlich gut, ist oft sogar lustig und nimmt der Angst ihren Schrecken“
Nein. Es ist ein erzählerisches Element, um den Lesern ein anschauliches Bild meiner Angst zu vermitteln. Deshalb ist sie ein arroganter und besserwisserischer Typ, der immer genau weiß, wie die Welt läuft. Ich hatte bei Panikattacken oft das Gefühl, dass die Angst größer wird als ich selbst und mir vorschreiben will, wie ich mich zu verhalten habe. Gleichzeitig wollte ich sie nicht als Monster darstellen. Deshalb hat sie auch nette und verletzliche Züge – zum Beispiel Selbstzweifel. So fällt es mir leichter, meine Angst zu mögen. Im Nachhinein merke ich, dass mir die Personalisierung sehr guttut. Wenn jetzt eine Panikattacke aufsteigt, erinnere ich mich an die Person, die ich beim Schreiben kreiert habe, und gehe in den Dialog mit ihr. Das klappt erstaunlich gut, ist oft sogar lustig und nimmt der Angst ihren Schrecken. Dass die Personalisierung auch ein beliebter Therapieansatz ist, erfuhr ich erst zufällig, als ich meinem Therapeuten von dieser Strategie erzählte.
Wie reagieren die Menschen auf dein „Angst-Outing“?
Total positiv. Ich habe mit vielen Menschen über das Buch und meinen Text gesprochen. Die meisten sind vor allem neugierig und stellen interessierte Nachfragen. Das ist ein schönes Gefühl. Immerhin scheint mein Buch die Menschen zu bewegen. Viele haben mir auch von ihren eigenen Psycho-Geschichten erzählt und mir noch mal gezeigt, dass ich nicht allein mit meinem Knacks bin. Aber natürlich gibt es auch anstrengende Momente. So wird meine Angst durch das Buch oft zum Partygespräch. Dabei wollte ich ihr gar nicht mehr so viel Raum in meinem Leben einräumen.
Titelbild: Jan Q. Maschinski