Die Kunstfigur „Borat“ ist wohl bis heute die häufigste Assoziation mit dem Land Kasachstan. Und das geht meist einher mit einer sonstigen Ratlosigkeit. Denn die Doku-Parodie zeigt durch die Brille des fiktiven Journalisten Borat ein fiktives Land, das der Macher Sacha Baron Cohen einfach mal „Kasachstan“ genannt hat. Einfach weil das für ein amerikanisches und europäisches Publikum so schön kurios klingt – in Wahrheit wird hier die US-amerikanische Gesellschaft aufs Korn genommen. Über das echte Kasachstan erfährt man da nichts. Dabei gäbe es viel Wissenswertes. Sechs Gründe, warum du Kasachstan nicht länger ignorieren solltest:
Hier wurden welthistorische Weichen gestellt
In Kasachstan wurde das Ende der Sowjetunion endgültig besiegelt. Und zwar durch die Unterzeichnung der Alma-Ata-Erklärung am 21. Dezember 1991. Damit wurde gleichzeitig die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gegründet, ein loser Zusammenschluss ehemaliger Sowjetstaaten. Im Grunde handelte es sich nur noch um eine Formalie – alle 15 Republiken der Sowjetunion hatten sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon für unabhängig erklärt. Übrigens: Kasachstan selbst erst fünf Tage zuvor als letzte der Sowjetrepubliken. Somit besteht Kasachstan erst 27 Jahre als eigenständiger Staat. Und ist seitdem auf der Suche nach seiner Identität zwischen Europa und Asien. Die 70 Jahre Sowjetdiktatur sind in der vormals nomadisch geprägten Region noch deutlich zu spüren. Der noch unter Michail Gorbatschow eingesetzte Präsident Nursultan Nasarbajew regiert bis heute als unkontrollierter Alleinherrscher.
Das Land ist einfach sehr, sehr groß
Das zentralasiatische Land gilt heute als der aufstrebende Staat der Region, auch wenn die Inflation seit Jahren zwischen fünf und sieben Prozent liegt. Das Land ist reich an Rohstoffen und verfolgt eine verhältnismäßig liberale Wirtschaftspolitik. Dies erlaubt einen relativen Wohlstand: 2017 lag das durchschnittliche Jahreseinkommen bei rund 7.890 US-Dollar, das ist in etwa so viel wie in Bulgarien. Dennoch leben weiterhin viele Menschen in Armut, und es herrscht starke Korruption: Kasachstan belegt Platz 122 von 180 auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2017. Das Land ist mit gut 18 Millionen Einwohnern ziemlich dünn besiedelt. Schließlich ist es mit 2,7 Millionen Quadratkilometer Fläche das neuntgrößte Land der Welt. Das ist etwa so groß wie die 19 Länder der Eurozone zusammen. Kasachstan diente bereits im Zarenreich als Verbannungsort. Doch erst mit den politisch-ethnischen „Säuberungsaktionen“ unter Josef Stalin wurden zahlreiche Gruppen politisch verfolgter Menschen hierhin deportiert. So neben zum Beispiel Koreanern und Tataren auch ein Großteil der sogenannten Russlanddeutschen, die ab Ende der 1980er-Jahre als (Spät-)Aussiedler in die Bundesrepublik „zurücksiedelten“.
Kasachstans Wille zur Weltpolitik
Kasachstan wird zunehmend geopolitisch relevant. Nicht zuletzt wurde das chinesische Projekt „Neue Seidenstraße“ im September 2013 vom chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping in der kasachischen Hauptstadt Astana verkündet. Damit will China seine Produkte leichter nach Europa bringen und seinen Einfluss auf der Strecke ausbauen. Kasachstan spielt dabei eine zentrale Rolle: Denn für China führt der wichtigste Landweg nach Europa über Kasachstan. Das Land vermittelt auch im Rahmen des Syrien-Konflikts im sogenannten „Astana-Prozess“ zwischen Moskau, Teheran und Ankara sowie dem Assad-Regime. Und es engagiert sich in einer Vielzahl von internationalen Organisationen (OSZE, EAWU, OVKS, SOZ).
Leider gibt es hier auch eine gigantische Umweltkatastrophe
Der Aralsee, ein Binnensee so groß wie das Bundesland Bayern (ursprünglich etwa 68.000 km2), ist beinahe ausgetrocknet. Das Sowjetregime hatte durch seine Fixierung auf wasserintensive Baumwollmonokulturen in Zentralasien die einzigen Aralsee-Zuflüsse Syrdarja und Amudarja zur Bewässerung der Baumwollfelder angezapft. Die Folgen sind verheerend: Aus dem Aralsee wurde ein Salzsumpf, der bis heute das Klima in der gesamten Region verändert. Weil der See das Klima nicht mehr abmildert, werden die Sommer wärmer und die Winter kälter. Seit 2005 allerdings gibt es ein durch die Weltbank gefördertes Renaturierungsprojekt, das erste Wirkung zeigt. Durch einen Staudamm kann womöglich zumindest der nördliche Teil des Sees gerettet werden.
Weil in Kasachstan Atombomben explodierten und Kultur erblühte
In Kasachstan fand der erste Atomwaffentest der Sowjetunion statt. Das etwa 18.000 Quadratkilometer große Gebiet nahe Semipalatinsk diente der Sowjetunion früher als Atomwaffentestgelände. Nicht zuletzt aufgrund der erheblichen Strahlenbelastung haben 2006 alle fünf zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken (Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Kasachstan) im Vertrag von Semei – wie Semipalatinsk heute heißt – die gesamte zentralasiatische Region zur kernwaffenfreien Zone erklärt. Übrigens: Viele berühmte Persönlichkeiten Kasachstans stammen aus Semei. Durch die Verbannung junger adliger Intellektueller während der Zarenzeit, darunter auch Fjodor Dostojewski, wurde dieses Gebiet bis zur Machtergreifung der Sowjets ein kulturelles Zentrum der Region.
Mehr über Land und Leute erfahrt ihr in unserem Gespräch mit zwei Journalistinnen vor Ort.
Weil es hier einen „Weltraumbahnhof“ gibt
Der erste Satellit – „Sputnik“ (1957) –, der erste Mann – Juri Gagarin (1961) – sowie die erste Frau – Walentina Tereschkowa (1963) – wurden vom kasachischen Kosmodrom Baikonur aus ins Weltall geschickt. Das erste Lebewesen im All, die Hündin Laika, flog 1957 ebenfalls von hier ab. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb der Weltraumbahnhof zwar in Betrieb, allerdings ist er auch sehr in die Jahre gekommen. Dennoch: Russland pachtet das Kosmodrom noch bis zum Jahr 2050. Und auch die NASA verwendet gegenwärtig Baikonur für die bemannte Raumfahrt. Vor kurzem startete hier auch die Mission mit dem deutschen Alexander Gerst zur Internationalen Raumstation ISS. Und auch zurück geht’s für den Astronauten wieder nach Kasachstan: Die russischen Sojus-Kapseln landen in der kasachischen Steppe.
Fotos: Frank Herfort