Worum geht’s?
Ein Internatsschüler fasst den Entschluss, über die Sommerferien sein gesamtes Übergewicht abzunehmen: 93 Kilo ist er schwer, 13 Jahre alt und hat damit genau Null Chancen bei der Frau, in die er sich verliebt hat. Zumindest glaubt er das.
Wo sind wir?
Die Diät spielt im Österreich der 1970er-Jahre, in einer Zeit, in der man an der Grenze zu Deutschland noch den Pass zeigen musste und Ärzte im Behandlungsraum rauchten. Und die Figuren in diesem Buch auch neben der Zapfsäule: Der Protagonist jobbt an einer Tankstelle, wo er von Kunden immer wieder mit „Fräulein“ angesprochen wird, weil es sich unter seiner Jacke so vielversprechend wölbt. Hier trifft er zum ersten Mal die fesche Elsa. Dummerweise aber auch ihren Mann, den Fernfahrer Joe. Der schreibt sich Tscho und erinnert ein bisschen an Tschick: Er ist so cool und entspannt, dass er sich selbst in brenzligen Situationen die Zeit nimmt, erst einmal den Rotz hochzuziehen, bevor er etwas sagt.
Wie wird’s erzählt?
Wolf Haas ist vor allem für seine verfilmten Krimis rund um den Privatdetektiv Brenner (Josef Hader) bekannt. In „Junger Mann“ dagegen gibt es weder Mörder noch Grantler: Haas wollte einen Roman schreiben, in dem alle Figuren sympathisch sind. Klingt nach Fantasy, ist aber halb Coming-of-age, halb Road Novel, erzählt aus der Ich-Perspektive. Der schüchterne Protagonist ist dabei namenlos, nur einmal, ganz am Rande, wird sein Vater in der Suchtklinik mit „Herr Haas“ angesprochen.
Wolf Haas jobbte als Teenager selbst an einer Tanke, war übergewichtig und nahm wie der Protagonist mit einer Fernsehshow namens „Schlank mit Wir“ ab. Wie viel Autobiografisches und wie viel Erfundenes in dem Roman stecken, lässt sich so leicht nicht sagen. Sein Protagonist jedenfalls kann die Brennwerte von 100 Gramm Banane, Endiviensalat oder Cornetto im Schlaf aufsagen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit führt er über seine Kalorieneinnahme Buch und hält sich unbarmherzig an selbst auferlegte Regeln. Selbst auf die Waage steigt er nur zu bestimmten Zeiten.
Was zeigt uns das?
Dass auch Jungs nicht davor gefeit sind, ihr Selbstwertgefühl an eine Körperwaage zu binden. Dass LKW-Fahrer manchmal mehr Sprachen sprechen als Akademiker. Und dass es gar nicht mal so schlimm wäre, wenn alle Menschen sympathisch wären.
Schade …
Ein Zurückdenken an vergangene Sommerferien kommt ohne ein gewisses Maß an Verklärung wohl nie aus; es tut auch nicht weh, das Bum Bum größer in Erinnerung zu haben, als es tatsächlich war. Schade nur, dass sich in „Junger Mann“ selbst das Tragische nicht wirklich tragisch anfühlt. Dem Vater, der zu gerne trinkt und spielt, der Mutter, die sich ständig sorgt, dem Tscho, den ein eigenes Schicksal plagt – ihnen allen kommt man nur nahe, wenn man sehr, sehr angestrengt zwischen den Zeilen liest.
Stärkster Satz
An fein orchestrierten Pointen mangelt es in diesem Buch nicht. Schöner sind die raren Erkenntnisse, die man als junger Mensch macht – und dann meist wieder vergisst. Zum Beispiel: „Wenn es unter dem Gips juckt, kann man sich nicht kratzen. Aber irgendwann hört es von selbst wieder auf.“
Titelbild: Ewen Spencer aus dem Buch "Young Love"