M. A., Anwalt aus Bielefeld*, sitzt im Juni 2012 im doppelstöckigen Regionalexpress auf dem Weg nach Dortmund. Alleine auf einem Viererplatz in der Nähe der Einstiegstür. Zwei Männer steigen ein. Sie gehen auf A. zu und fordern ihn auf, sich auszuweisen. Es sind Bundespolizisten in Zivil. A. zeigt ihnen seinen Ausweis. Worum es eigentlich geht, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

A. fühlt sich durch die Methode der Beamten ungerecht behandelt. Das sogenannte „Ethnic Profiling“ oder „Racial Profiling“** gilt bei Kritikern als eine Kontrollmethode der Polizei- und Sicherheitsbehörden, die sich allein auf das Aussehen oder die Herkunft einer Person bezieht.

„Racial Profiling ist meines Erachtens jeder verdachtsunabhängige staatliche Eingriff – typischerweise im Wege polizeilicher Identitätskontrollen –, der durch rassistische Zuschreibungen begründet ist“, erklärt Alexander Tischbirek von der Juristischen Fakultät der Humboldt Universität in Berlin. „Ethnic Profiling“ liege hingegen nicht vor, wenn die Polizei gezielt eine bestimmte Person mit bestimmten äußeren Merkmalen sucht – etwa aufgrund einer Täterbeschreibung. Denn dann sei das „Profiling“ nicht mehr verdachtsunabhängig.

A. reicht beim zuständigen Verwaltungsgericht in Köln eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage ein, mit der man die Rechtswidrigkeit einer behördlichen Handlung gerichtlich feststellen lassen kann.

In seinen Grundrechten verletzt

Am 13. Juni 2013 entscheidet das Verwaltungsgericht Köln, dass die Kontrolle durch die Bundespolizisten A. „in seinen Rechten verletzt“ hat und durch das Bundespolizeigesetz „nicht gedeckt“ war. A. sei einer Identitätskontrolle unterzogen worden, obwohl die Bedingungen dafür offenkundig nicht vorgelegen hätten. Nach dem Bundespolizeigesetz können Polizisten die Identität von Personen feststellen, wenn dies etwa zur „Abwehr einer Gefahr“ oder zum „Schutz privater Rechte“ notwendig ist. Es habe aber keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Aufforderung an A., seinen Personalausweis auszuhändigen „zur Erfüllung von Aufgaben der Bundespolizei, insbesondere zur Verhinderung illegaler Einreisen erforderlich geworden“ wäre. Die Identitätsfeststellung sei eine polizeiliche Maßnahme, „die in das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung“ nach Artikel 2 des Grundgesetzes eingegriffen habe, wonach jeder selbst bestimmen kann, ob er personenbezogene Daten preisgeben will.

Für Betroffene wie A., der sich keiner Schuld bewusst war, ist so eine Kontrolle nicht nur ärgerlich. Dem Gericht gegenüber erklärt er, dass er das Verhalten der Beamten als herabwürdigend empfand.

Im falschen Zug gesessen

Die Bundespolizei beantragte, A.s Klage abzuweisen. Sie gab an, dass es sich bei der Bahnstrecke Bielefeld – Dortmund um eine Hauptroute von illegaler Migration und Schleuserkriminalität handle. „Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrungswerte“ führten zu der Annahme, dass die Bahnverbindung „zur unerlaubten Einreise bzw. zur Durch- und Weiterreise genutzt werde“, heißt es zum Standpunkt der Bundespolizei in dem Urteil. Deshalb hätten die Polizeibeamten A. „auch nach dem äußeren Erscheinungsbild“, also nach seiner dunkleren Haut, für eine Kontrolle auswählen dürfen.

Nach Paragraf 22 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes dürfen Bundespolizisten ohne konkreten Anlass auf Flughäfen, Bahnhöfen und in Zügen Personen kontrollieren, wenn diese sogenannten „Lageerkenntnisse“ vorliegen. Auf der Homepage der Bundespolizei heißt es: Es sei „ein klassisches Dilemma“, in dem man bei der Thematik „Ethnic Profiling“ stecke: „Der gesetzliche Auftrag besteht in der Bekämpfung der irregulären Migration nach Deutschland.“ Es sei aber schwierig, in einem Land mit vielen Einwanderern, die Befragungen und Kontrollen nach den Paragrafen 22 („Befragung und Auskunftspflicht“) und 23 („Identitätsfeststellung und Prüfung von “) im Bundespolizeigesetz differenziert durchzuführen.

Auf eine Kleine Anfrage der Grünen von Juli 2011 hatte die letzte Bundesregierung in ihrer Antwort klargestellt: Im Rahmen der Befugnisse von Polizeiarbeit zu verdachtsunabhängigen Kontrollen sei „eine unterschiedliche Behandlung von Personen in Abhängigkeit von Rasse, Herkunft oder Religion […] im BPOlG sowie den weiteren für die Bundespolizei geltenden Vorschriften und Erlassen schon deshalb nicht enthalten, weil solche Methoden unvereinbar mit dem Verständnis von Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat sind.“

Unabhängige Untersuchungskommissionen fehlen

Das Deutsche Institut für Menschenrechte stellte Ende Juni 2013 eine Studie zum Thema „Ethnic Profiling“ vor. Das Institut wurde 2001 auf Empfehlung des Bundestages gegründet. Es informiert über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland und soll den Schutz der Menschenrechte fördern. Direktorin Beate Rudolf forderte anlässlich der Veröffentlichung der Studie die „Abschaffung rassistischer Personenkontrollen durch die Bundespolizei“. Paragraf 22 Absatz 1a verstoße nämlich „gegen das Diskriminierungsverbot im Grundgesetz und gegen internationale Menschenrechtsverträge.“ Die Bundespolizei könne, so steht es in der Studie des Instituts, im Rahmen solcher Kontrollen „völlig frei und 'aus dem Bauch heraus' handeln.“ Deshalb will man die Streichung der Gesetzesnorm – denn diese bildet ja die Grundlage der Kontrollen.

Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) sprach in einem Bericht Handlungsempfehlungen für Deutschland aus. ECRI ist ein unabhängiges Gremium, das vom Europarat mit dem Ziel eingerichtet wurde, Rassismus und ähnliche Formen von Diskriminierung sowie Intoleranz zu überwachen. Alle fünf Jahre veröffentlicht ECRI länderspezifische Berichte, in denen die Situationen in den Mitgliedsstaaten des Europarats analysiert werden. Im letzten Bericht über Deutschland von 2009 stellte ECRI fest, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen im Alltag in vielen Lebensbereichen von Diskriminierung betroffen sind, „insbesondere Muslime, Türken und Schwarze sowie Sinti und Roma.“

Unter dem Punkt „Verhalten der Polizei“ unterstreicht der Bericht, wie wichtig ein unabhängiges Untersuchungsverfahren wäre, um Anschuldigungen zu polizeilichem Fehlverhalten nachzugehen und die Schuldigen notfalls vor Gericht zu bringen. In anderen Ländern wie Großbritannien existieren bereits unabhängige Kommissionen, die Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten nachgehen.

Beschwerdelisten

Im Januar 2013 wurde durch einen Bericht des Magazins Der Spiegel eine Liste mit 57 Fällen bekannt, in denen sich Menschen beklagten, aufgrund ihrer ausländischen Herkunft oder ihrer Hautfarbe von Bundespolizisten diskriminiert worden seien. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 gab es nach Angaben der Bundesregierung 460.273 Befragungen der Bundespolizei nach § 22 Absatz 1a aus dem Bundespolizeigesetz. 57 Beschwerden klingen im Vergleich dazu wenig. Die Zahl ungemeldeter Fälle ist vermutlich höher.

Fehler durch die eigenen Beamten räumte die Bundespolizei nur in zwei der 57 Fälle ein. In allen anderen waren die Beschwerden an einzelne Bundespolizeidirektionen nach eigener Prüfung unbegründet. Einmal hielten die Beamten fest, „Verhalten des betroffenen Beamten“ sei „nach Sachverhaltsprüfung nicht korrekt“ gewesen. Den Beschwerdeführern – sie empfanden das Verhalten eines Beamten als ausländerfeindlich – sei eine Entschuldigung ausgesprochen worden. „Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit“ habe sich jedoch nicht bestätigt.

Ethnic Profiling bezeichnet eine Methode von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungsbehörden oder Zoll, das physische Erscheinungsbild einer Person, wie etwa die Hautfarbe, als Entscheidungsgrundlage für eine behördliche Maßnahme, z.B. einer Personenkontrolle, Befragung, Ermittlung, Durchsuchung oder Überwachung, heranzuziehen.

Der zweite aus der Liste der 57 Beschwerdeführer war Anwalt A. Da es sich in seinem Fall nicht um eine strafrechtliche Angelegenheit handelte, stellte das Gericht hier „bloß“ eine Fehlhandlung fest. Verurteilt wurde niemand. Zu einer Entschuldigung, so A., „war die Bundespolizei bis zum heutigen Tage nicht bereit.“

Kritiker von „Ethnic Profiling“ fordern ein Nachdenken der Gesellschaft über das Vorkommen der Kontrollen, bei denen Menschen vereinzelt allein wegen ihrer Hautfarbe durchsucht und so in ihren Grundrechten verletzt werden können. Bislang, so heißt es in der Studie des Instituts für Menschenrechte, werde „Ethnic Profiling“ in der Politik und der breiten Öffentlichkeit noch relativ wenig thematisiert. Das Institut will das ändern.

Links

- Die Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte zu Ethnic Profiling
- Die Monitoring-Berichte der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) zur Situation in Deutschland
- Die Landkarte des Misstrauens der Wochenzeitung „Der Freitag“
- Spiegel-Bericht zur Bundespolizei-Liste mit Beschwerdefällen
- Ein Kommentar zum Thema im Berliner Tagesspiegel

Marvin Oppong ist freier Journalist in Bonn.