Vorstellung der Kriminalstatistik. Das 300 Seiten starke Werk liegt während der Pressekonferenz vor dem Bundesinnenminister auf dem Tisch. Ein Polizeivertreter in Uniform links, Referenten und Pressesprecher rechts. In gewählten Worten spricht der Minister über registrierte Straftaten. Um ein paar Prozentpunkte ist die Zahl der Einbrüche und Diebstähle bundesweit gestiegen, Gewaltverbrechen sind rückläufig. Zahlen um Zahlen werden präsentiert, fein säuberlich geordnet nach Alter, Geschlecht, Herkunft. Ein Ranking sticht besonders hervor: die Rangliste der Städte, geordnet nach Straftaten pro 100.000 Einwohner.

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cms-image-000047031.jpg (Illustration: Arndt Benedikt)
(Illustration: Arndt Benedikt)

Wo lebt es sich gefährlich? Wo kann der Bürger beruhigt schlafen? Fragen, die die anwesenden Medienvertreter immer besonders interessieren. Unrühmlicher Spitzenreiter ist seit vielen Jahren Frankfurt am Main. 16.292 Straftaten pro 100.000 Einwohner wurden hier im Jahr 2014 registriert, so viele wie in keiner anderen Stadt Deutschlands. Wie erklärt sich das?

Die Gründe dafür sind nur auf den ersten Blick die naheliegenden, auf den zweiten sind sie kurios: Natürlich hat die Mainmetropole ein berüchtigtes Rotlichtviertel und einige großstadttypische Brennpunkte mit hoher Kriminalität. Allerdings liegt die Stadt in Sachen Gewalt, Straßenkriminalität und Diebstahl im Bundesvergleich eher im Durchschnitt. Den kriminellen Spitzenplatz verdankt Frankfurt vor allem seinem großen Flughafen mit 53 Millionen Passagieren jährlich. Denn: In die Polizeistatistik fließen auch Verletzungen der Einreisebestimmungen und Zollvergehen ein. Jede geschmuggelte Rolex-Uhr, jeder gefälschte Pass treibt so die Verbrechenszahlen in die Höhe. Gleiches gilt für die Banken. Viele weltweit begangene Gelddelikte werden in der Finanzmetropole registriert. Ein Teil der Outlaws auf den Straßen Frankfurts trägt also eher Nadelstreifen als Springmesser.

Weniger als halb so viele Straftaten wie in Frankfurt: Sind Münchner einfach nett?

Geradezu beschaulich geht es dagegen in München zu. Mit nur knapp 7.000 Verbrechen pro 100.000 Einwohnern gilt die bayerische Hauptstadt als eine der sichersten Metropolen Europas. Zwar gibt auch an der Isar ein Rotlichtmilieu, ebenso wie Drogenhandel und Gewalt. Trotzdem werden nicht einmal halb so viele Straftaten wie in Frankfurt gezählt. Warum nur? Sind Münchner einfach nette Menschen? Auch hier gibt es erstaunliche Antworten.

Der Flughafen „Franz Josef Strauß“ gehört zwar zu den wichtigsten Verkehrsknoten Europas, liegt allerdings außerhalb des Stadtgebiets und belastet damit die Münchner Statistik nicht. In München liegt die Arbeitslosenquote mit 4,5 Prozent zudem weit unter dem Bundesdurchschnitt. Geregelte Einkommen und gute Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt senken nach Ansicht der Experten vor allem die Rate der Beschaffungskriminalität. Die Münchner Polizei verweist außerdem auf ihre erfolgreiche Trennung von Schutz- und Kriminalpolizei. Schutzpolizisten in Uniform zeigen mehr Präsenz auf der Straße und schrecken so potentielle Täter ab. Die Kriminalbeamten übernehmen auf dem Präsidium den lästigen Papierkram und kümmern sich um die Ermittlungsarbeit.

Doch was bedeutet es eigentlich für die Aussagekraft einer Statistik, wenn sie durch so viele Faktoren beeinflusst wird? In seiner Justiz-Kolumne auf ZEIT Online schrieb Bundesrichter Thomas Fischer passend, die Kriminalstatistik sei keine Statistik über die Wirklichkeit der Kriminalität, sondern eine Statistik über die Tätigkeit der Polizei und über die „gefühlte“ Kriminalität.

Der Papst wohnt am gefährlichsten Ort der Welt

So lässt sich aus einer steigenden Zahl von Körperverletzungen nicht zwangsläufig ablesen, dass die Bereitschaft zur Gewalt zunimmt. Vielleicht steigt bei den Opfern einfach nur der Mut, Anzeige zu erstatten. Ebenso ist es möglich, dass ein tatsächlicher Rückgang der Straftaten stattfindet dieser von der Statistik aber nicht erfasst wird. Für die Polizei können die Zahlen auch Konsequenzen haben. Geht die Zahl der Verbrechen in den Keller, fühlen sich manche Politiker zu sicher. Es könnte Budgetkürzungen geben. Sind die Zahlen zu hoch, entsteht Unsicherheit, oft verbunden mit heftiger Kritik an den Ordnungshütern.

Vielleicht ist Frankfurt also nur auf dem Papier eine gefährliche Metropole. Deutlich krimineller als am Main geht es, zumindest laut der italienischen Polizeistatistik, im Vatikan zu. Demnach ist der Sitz des Papstes der gefährlichste Ort der Welt. Zwar wohnen dort nur rund 500 Menschen. Es kommen pro Jahr aber rund 19 Millionen Besucher, vornehmlich Touristen – und eben auch Taschendiebe. Weil Straftaten dort angezeigt werden müssen, wo sie geschehen sind, kommen auf jeden vatikanischen Einwohner zwei Delikte – das schafft keine andere Stadt der Welt.

Birk Grüling wuchs im niedersächsischen Niemandsland auf, studierte Mathe und Kulturjournalismus in Hannover und verlor dann sein Herz an Hamburg. Als freier Journalist schreibt er aus der Hansestadt für große Tageszeitungen und Magazine über Wissenschaft und Gesellschaft