Die Fichte schaut nicht besonders beeindruckend aus: keine fünf Meter hoch, ein Stammdurchmesser von rund 15 Zentimetern, aus dem nur im oberen Drittel und kurz über dem Boden Äste mit grünen Nadeln sprießen. Einige Meter von Old Tjikkos Stamm entfernt stoppt eine Kordel die Besucher. Niemand soll auf den Wurzeln herumtrampeln, denn sie sind das Wunder dieser Fichte. Das Wurzelwerk überdauert – so die Annahme – seit fast 10.000 Jahren im Boden am Fulugebirge, etwa 400 Kilometer nordwestlich von Stockholm. Old Tjikko wäre damit der älteste Baum der Welt.
2008 stellten Leif Kullman, inzwischen emeritierter Professor für Ökologie und Umweltwissenschaften, und seine damalige Studentin Lisa Öberg die Vermutung auf, den ältesten lebenden Baum der Welt gefunden zu haben – ein Titel, den damals die rund 5.000 Jahre alten Langlebigen Kiefern in den kalifornischen White Mountains trugen. Deren Alter hatten Wissenschaftler ermittelt, indem sie Stücke herausschnitten und die Jahresringe zählten. Kullman und Öberg wählten eine andere Methode. Sie buddelten unter vielen Bäumen Holzfragmente aus, deren Alter sie mittels Radiokarbonmethode bestimmten. So stießen sie auf hölzerne Zeugen früherer Zeiten. 375 Jahre altes Holz, abgestorben, als die Schweden im Dreißigjährigen Krieg Regensburg eroberten. Dann eine 5.600 Jahre alte Probe. Aus der Phase also, als in Schweden die ersten Menschen sesshaft wurden. Den ältesten Fund machten sie unter der Fichte, die Kullman später nach seinem verstorbenen Husky Tjikko benannte und zum ältesten Baum der Welt erklärte: 9.550 Jahre.
Ein amerikanischer Klonwald ist mit 80.000 Jahren das älteste Lebewesen der Welt
Dabei wächst der aktuelle Stamm frühestens seit den 1930er-Jahren. Doch er könnte die Wiedergeburt der Wiedergeburt vieler anderer Wiedergeburten desselben Baumes sein. Die toten Reste aus dem Boden, so vermuten Kullman und Öberg, sind genetisch identisch mit dem lebendigen Stamm, weil sich die Fichte immer wieder selbst geklont hat.
Viele Pflanzen können sich vegetativ, also ohne Geschlechtspartner, vermehren. Ein Ableger einer Zimmerpflanze ist ihr Klon. Ein Wald aus Amerikanischen Zitterpappeln hat in Utah die vergangenen 80.000 Jahre mit vegetativer Vermehrung überdauert. Pando, so heißt der Wald, ist nicht nur das äteste Lebewesen der Welt, sondern auch das schwerste. Über 43 Hektar erstreckt sich die Klonkolonie.
Doch es gibt Zweifel an der Theorie vom ewigen Klonbaum, denn Kullman und Öberg haben offenbar nicht untersucht, ob das Holz aus dem Boden und der lebende Stamm tatsächlich genetisch identisch sind. Genauso gut könnte der aktuelle Baum das Kind zweier anderer Fichten sein. Denn die generative Fortpflanzung, also die Besamung eines Baumes durch einen anderen – und somit die Vermischung der Gene beider –, hat Vorteile: Sie ermöglicht Anpassungen an die Umwelt. Die dazu nötigen Samen trägt auch Old Tjikko in Zapfen an den Ästen – und Funde im Boden deuten darauf hin, dass die Fichten in der Region schon während früherer warmer Phasen Zapfen produzierten. Hatte nur einer von Old Tjikkos Vorfahren Sex, würde ihn das den Titel als ältester lebender Baum kosten.
Illustration: Frank Höhne