Du bist, was du isst – und manchmal kann das, was du isst, auch gegen dich verwendet werden. Weil sie angeblich so gern Sauerkraut essen, wurden die Deutschen im Zweiten Weltkrieg von den US-Amerikanern „Krauts“ genannt. Heute wiederum kursiert die Bezeichnung „Du Kartoffel“ auf Schulhöfen, in Deutschrap-Tracks, in Sozialen Medien und hin und wieder auch in politischen Debatten.
Die Kartoffel ist hier eine mehr oder weniger liebevoll-spöttische Bezeichnung von Deutschen mit Migrationshintergrund für Deutsche ohne einen solchen. Weil die Kartoffeln angeblich so gern und oft essen, dass sie die mannigfaltigsten Zubereitungsformen für sie kennen: gekocht, gebraten, gebacken, gepellt, als Brei, Suppe, Auflauf und Salat, geformt zu Puffern, Klößen, Fritten und Kroketten. Aber auch, weil Kartoffeln innen blass und außen plump sind und generell etwas bieder und unglamourös daherkommen.
Die Migrationsgeschichte der Kartoffel
Dabei ist die Kartoffel in ihren Ursprüngen ungefähr so deutsch wie ein Alpaka. Sie stammt nämlich aus den südamerikanischen Anden, wo sie schon vor rund 8.000 Jahren angebaut wurde. Wie viele andere amerikanische Gemüsesorten – Tomaten, Paprika, Speisekürbisse, Gartenbohnen, Mais – schaffte sie es erst in den letzten 300 bis 400 Jahren auf den europäischen Speiseplan, der vorher ziemlich öde gewesen sein muss. Und auch in den Rest der Welt. Die Kartoffel ist somit auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich Pflanzen auf der ganzen Erde ausbreiten können. Dafür haben sie ganz verschiedene Strategien: Manche Pflanzensamen fliegen viele Kilometer weit, andere legen noch längere Strecken schwimmend auf Treibholz oder im Verdauungstrakt oder an den Füßen von Vögeln zurück. Einige Pflanzen reisen auch als blinde Passagiere auf Schiffen mit – oder als ganz offizielle Gäste. Denn der eifrigste Pflanzenverteiler ist der Mensch, der besonders schöne oder nützliche Exemplare gern mit in seine Heimat nimmt, was speziell während des europäischen Kolonialismus ab dem 15. Jahrhundert zur Globalisierung des Grüns führte.
Die spanischen Eroberer brachten die Kartoffel Mitte des 16. Jahrhunderts mit nach Europa. Dort wurde sie lange vor allem deshalb geschätzt, weil sie so schön blühte. Es dauerte noch einige Jahrhunderte, bis sich auch ihre innere Schönheit durchsetzte: Kohlenhydrate, Mineralstoffe, Vitamine und pflanzliches Eiweiß. Satt macht die Kartoffel und ist dabei ertragreicher als Getreide, da sie auch auf kargen Böden wächst. Sie lässt sich gut und lange lagern und muss zum Verzehr nicht noch gemahlen werden. All das sorgte im 18. und 19. Jahrhundert für den Siegeszug der Kartoffel in ganz Europa, dessen rasant steigende Bevölkerung versorgt werden musste – und verhalf ihr als Essen der einfachen Leute zum etwas biederen Ruf.
Deutsche essen übrigens weniger Kartoffeln als der EU-Durchschnitt
Auf deutschsprachigem Gebiet erkannte vor allem der preußische Herrscher Friedrich II. ihr Potenzial und sorgte mit verschiedenen Maßnahmen, den sogenannten Kartoffelbefehlen, dafür, dass seine Bauern mehr Kartoffeln anbauten. So legte er den Grundstein für die deutsche „Kartoffeligkeit“, die sich lange hielt: Über 180 Kilo Kartoffeln aß jeder Deutsche noch im Jahr 1950/51. Heute allerdings sind es weniger als 60 Kilogramm, damit liegt Deutschland sogar unter dem EU-Durchschnitt (die wahren Kartoffelkönige sind die Letten). Die Beilagenauswahl ist einfach vielfältiger geworden, Nudeln, Hirse, Reis, Quinoa (auch aus den Anden übrigens) drängen auf deutsche Teller.
Doch das muss nicht so bleiben, immerhin sind Kartoffeln eine Art Superfood aus regionalem Anbau und passen hervorragend in nachhaltige Ernährungspläne. Auch die sogenannten „alten Sorten“ erfreuen sich großer Beliebtheit. Allemal klingt „Du Bamberger Hörnchen“, eine fränkische Kartoffelsorte, nicht gerade raptauglich. Der Spott dürfte damit schwieriger werden.
Illustration: Frank Höhne