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„Diese Geschichten werden immer erzählt, es hört nur niemand hin“

In der Serie „Angemessen Angry“ entwickelt die Hauptfigur Superkräfte, mit denen sie fortan Sexualstraftäter zur Strecke bringt. Ein Gespräch mit Regisseurin Elsa van Damke über sexualisierte Gewalt und Wut

Angemessen Angry

Inhaltswarnung: Dieser Text thematisiert sexualisierte Gewalt und ihre Folgen.

Nachdem Amelie vergewaltigt wird, kann sie plötzlich Sexualstraftäter „erspüren“, und übermenschlich stark ist sie auch. Also wird sie zur Superheldin Hysteria und sorgt mit ihrem Rachefeldzug für medialen Aufruhr. Ihr eigenes Trauma verarbeitet sie dabei allerdings nicht so einfach. Elsa van Damke ist die Regisseurin und zusammen mit Jana Forkel Co-Autorin von „Angemessen Angry“. Die fünfteilige Serie ist ab dem 25. November – dem Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen – auf RTL+ zu sehen.

fluter.de: Eine Superheldinnen-Comedyserie über sexualisierte Gewalt – wilde Mischung. Wie kamt ihr drauf?

Elsa van Damke: Lachen als Coping-Mechanismus ist etwas, mit dem ich und meine Co-Autorin Jana Forkel uns gut auskennen. Ich glaube, der Humor und das Superheldinnenelement machen den Stoff aushaltbarer. Deswegen war uns diese Tonalität wichtig. Wir haben uns dabei auch deshalb sicher gefühlt, weil wir Witze über Erfahrungen machen, die wir selbst gemacht haben.

Woher weiß man, wie viel man den Zuschauenden zumuten kann, wenn man sexualisierte Gewalt zeigt?

Das war eine riesige Reise. Meine Kamerafrau und ich haben uns die Köpfe zerbrochen, wie wir zum Beispiel die Taten filmen, die Amelie als Visionen sieht, ohne dabei zu retraumatisieren. Was in einer Gefahrensituationen mit Körper und Geist passiert, kann man außerdem nur schwer bebildern. Wir haben dafür eng mit Sophie Rieger gearbeitet, sie ist Sensitivity-Readerin und die Gründerin von „Filmlöwin“, einer feministischen Rezensionsplattform. Wir haben zusammen viele, teilweise schlimme Filme geguckt und immer mehr gemerkt, was wir zeigen können und was wir nur andeuten dürfen. Man sieht zum Beispiel wenig Gewalt oder nackte Haut, wir filmen nicht aus der Täter- oder Opferperspektive, sondern von außen.

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Angemessen Angry
Amelie mit ihrem besten Freund, Kollegen und Komplizen Tristan beim Tanzen

War es schwierig, so intensiv und lange an einem so schmerzhaften Thema zu arbeiten?

Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich selbst Überlebende sexualisierter Gewalt bin. Ich hatte einen sehr schlimmen Vorfall mit 15 und dann viele weitere, leider sehr übliche Vorfälle in den 15 Jahren danach. Wir möchten mit der Serie etwas bewegen, und gleichzeitig ist mir durch die ganze Recherche noch einmal klarer geworden, wie niederschmetternd die Realität in Sachen sexualisierter Gewalt ist. Aber da, wo der ganze Schmerz lag, haben wir durch das Machen der Serie auch so viel Verständnis, Gemeinschaft, Empathie und Empowerment erlebt. Es war eine Achterbahnfahrt.

Welches Feedback habt ihr von Männern auf die Serie bekommen?

Ein Freund kam nach der Premiere zu mir und hat gesagt: „Ich habe heute verstanden, dass Frauen in einer anderen Welt leben.“ Das war für mich ein echt besonderer Moment. Mein bester Freund hat nach dem Screening ganz doll geweint, und mir haben mehrere Freunde und Kollegen hinterher geschrieben, die alle Sätze formuliert haben wie: „Ich hinterfrage mich und gewisse Situationen.“ Und das sind alles Männer, für die ich meine Hand ins Feuer legen würde. Trotzdem haben wir natürlich auch von ein paar Leuten das Feedback bekommen, in der Serie würden Männer unter Generalverdacht gestellt.“ Auf diese Kritik haben wir uns aber schon von Anfang an eingestellt.

„Frauen werden im Film oft als passiv inszeniert. Das Handeln, die Gewalt, die Action gehört meist männlichen Hauptcharakteren – bisher zumindest“

Was entgegnest du auf diese Kritik?

Männer sollen sich mal vorstellen, sie hätten einen Käfig mit 100 identisch aussehenden Schlangen vor sich, von denen 99 harmlos sind. Eine von ihnen ist aber tödlich giftig. Man würde jeder Schlange mit Vorsicht begegnen. Natürlich ist das vereinfacht und der Weg zur Gewalt ist komplex. Aber es geht bei diesem Gedankenexperiment um das subjektive Empfinden vieler Frauen. Und wenn wir bedenken, dass mindestens jede dritte Frau in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erfährt, dann ist 1 zu 99 ein Witz – ein übergriffiger Mann auf 99 korrekte Männer, das nenne ich Utopie. Wer als Mann von sich selbst weiß, dass er derartige Grenzen nicht überschritten hat, sollte meiner Meinung nach über unseren „Generalverdacht“ hinwegkommen und muss sich davon nicht angegriffen fühlen.

Hast du Angst vor diesen Reaktionen? In der Serie findet Selbstjustiz statt, und es gibt eine Szene, in der Hysteria in ihrem Rachefeldzug besonders weit geht.

Wir haben Respekt und können aber mit Sicherheit sagen, dass wir hinter allen Entscheidungen stehen, die wir für unsere Geschichte und unsere Hauptfigur getroffen haben. Es war uns wichtig, dass die Protagonistin Amelie Selbstjustiz vollzieht, dass sie eben nicht alles richtig macht und auch von ihren engsten Vertrauten Gegenwind bekommt. Ein Aufruf zur Gewalt ist die Darstellung von Selbstjustiz in unserer Serie nicht. Nach einem James-Bond-Film steigen ja auch nicht die Vergeltungstaten in Deutschland an. Diese Erzählungen und Bilder sind wir einfach nur mehr gewöhnt. Frauen werden im Film oft als passiv inszeniert. Das Handeln, die Gewalt, die Action gehört meist männlichen Hauptcharakteren – bisher zumindest. Selbstjustiz bei Männern im Film: Geil! Selbstjustiz bei Frauen im Film: Ungeheuerlich! Das sehe ich nicht ein.

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Angemessen Angry
Im Dienst: Amelie in ihrem Superheldinnenoutfit als Hysteria

Habt ihr im Vorfeld mit Betroffenen gesprochen?

 

Das mussten wir gar nicht. In 28 Jahren, die ich bis zur Entwicklung dieser Serie auf dem Buckel hatte, habe ich  – wie schon erwähnt – sehr viele Erfahrungen selbst gemacht, außerdem habe ich eine Mutter, eine Oma, einen vorrangig weiblichen Freundeskreis. So traurig es klingt: Aber Recherche war nicht nötig, das ist alles in meinem Umfeld passiert. Ich musste einige Freund*innen vorwarnen, bevor sie die Serie gucken – weil ich weiß, dass ihnen eine ähnliche Situation passiert ist. Aus diesem Grund werden Betroffene so oft zynisch und wütend: Diese Geschichten werden schon immer erzählt, es hört halt nur meistens niemand hin.

Apropos Wut: Darum geht’s, wie der Name verrät, in „Angemessen Angry“ ziemlich oft. Wieso habt ihr diese Emotion in den Fokus gerückt – statt zum Beispiel Scham oder Trauer?

Dass die Wut bei unserer Serie im Zentrum steht und fast schon unsere vierte Hauptfigur ist, war uns nicht bewusst, bis wir uns ganz zum Schluss auf den Namen der Serie geeinigt haben – da ist dann der Groschen gefallen. Das kam also ganz natürlich. Ich hab selbst ein paar Jahre Therapie gebraucht, um zu checken, dass ich Wut in mir habe. Das ist eine Emotion, die vor allem mit Männern assoziiert wird. Wut ist etwas Unweibliches, Frauen sind nicht wütend oder laut – und wenn doch, dann gelten Frauen schnell als überemotional oder „hysterisch“. Das sind die Dinge, die wir lernen. Stimmt natürlich überhaupt nicht. Uns wird nur als Frauen von klein auf beigebracht, dass wir dieses Gefühl nicht auszuleben haben. Dabei kann Wut auch was Tolles sein! Wut verbindet Frauen auch. Und unsere Wut macht anderen Angst, das merkt man.

Würdest du sagen, die Serie hat auch einen Bildungsauftrag? Ein paar Statistiken habt ihr in einer Szene geschickt reingeschummelt.

Ja, das war vor allem für einige männliche Zuschauer, die immer wieder kommen mit Unschuldsvermutung, Generalverdacht und so weiter. Da ist es wichtig, dass man sich die tatsächlichen Fakten und Zahlen mal anguckt. Deswegen haben wir in der Serie zum Beispiel auch keine weibliche Täterin abgebildet: Wenn wir zehn Täterpersonen haben und eine davon ist eine Frau, dann wären das zehn Prozent, und das ist lächerlich, wenn man sich die tatsächlichen Zahlen anschaut: 2023 waren in 98,5 Prozent der Sexualdelikte Männer die Tatverdächtigen.

Könntest du dir weitere Staffeln vorstellen?

Mein Herz sagt Ja, mein Bauch Nein. Es gäbe noch viel zu erzählen, aber ich finde die Serie auch als das, was sie jetzt ist, sehr rund. Es war ein superbesonderes Projekt, aber auch ein harter Kampf.

Elsa van Damke, Jahrgang 1994, hat erst Journalismus und dann Film studiert. Für ihre Kurzfilme erhielt sie schon zahlreiche Preise. Mit „Angemessen Angry“ feiert sie jetzt ihr Seriendebüt. 

Portrait: Mitch Stoehring

Fotos: RTL+ / Studio Zentral

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.