Tagsüber ist es kaum zu hören, wer aber schon mal frühmorgens in der ersten Dämmerung nach Hause kommt, kennt das Geräusch: Wenn fast alle noch schlafen, beginnen sich die Vögel in der Stadt lautstark „Guten Morgen“ zuzuzwitschern. Wow, denkt man, ganz begeistert von dem harmonischen Miteinander von Mensch und Tier zwischen Mietskasernen und Gewerbeflächen. Ganz so idyllisch ist es leider nicht mehr. Zwar haben sich beide in ihrer gemeinsamen Geschichte schon immer Siedlungsräume geteilt, und selbst in Städten gibt es noch eine große Artenvielfalt (die rund 3,6 Millionen Berliner teilen sich die Hauptstadt zum Beispiel mit etwa 20.000 bis 30.000 Tierarten). Und doch verschwinden gleichzeitig immer mehr Rückzugsorte für Tiere, denn durch Nachverdichtung entstehen immer mehr bebaute oder versiegelte Flächen – also Beton, Asphalt oder Pflaster.
Bei Neubauten gibt es nahezu keine Mauervorsprünge mehr, Nischen werden verputzt, Altbauten energetisch saniert. Darum ist auch der Sperlingsbestand in den letzten Jahren so stark zurückgegangen, dass seine Art heute auf der Vorwarnliste der Roten Liste bedrohter Tierarten steht und in Hamburg sogar schon als gefährdet gilt. Und nicht nur dem ehemals allgegenwärtigen Spatz, auch anderen Vögeln wie Spechten und Rotkehlchen – ebenso wie etwa Eidechsen oder Fledermäusen – wird es immer schwerer gemacht, sich mit den Menschen den urbanen Raum zu teilen.
„Sobald Sie eine Stadt als Natur betrachten, ändert sich Ihre Planung für diese Stadt.“
Das soll sich nun ändern: Ein Forschungsprojekt will Architekten und Städteplaner auf die Verdrängung der Tiere aufmerksam machen und dagegen vorgehen. Animal-Aided Design nennen das die Wissenschaftler Wolfgang W. Weisser (Technische Universität München) und Thomas E. Hauck (Universität Kassel) und beschreiben als Ziel, „Lebensräume für Tiere zu schaffen und dadurch die Gestaltung von Freiräumen für den Menschen zu verbessern“.
Klingt nicht nur nach mehr Natur in Städten, sondern ist vor allem ein Ansatz zum Umdenken. Denn in Zeiten des Klimawandels kann es nicht allein darum gehen, immer mehr Menschen auf derselben Fläche unterzubringen. Zunehmend wird es wichtiger werden, Hitzeinseln in Städten einzudämmen, indem Pflanzen und Bäume Schatten spenden und das Mikroklima verbessern. Schon begrünte Fassaden können dazu beitragen und dabei gleichzeitig einen Nistplatz für diverse Vogelarten bieten.
„Der Mensch trennt sich und die Städte gern von der Natur“, sagt der australische Landschaftsarchitekt Adrian McGregor und spricht von einem Biourbanismus. „Sobald Sie eine Stadt als Natur betrachten, ändert sich Ihre Planung für diese Stadt.“ Mit diesem veränderten Blick hat die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Gewofag im Frühjahr insgesamt 99 Wohnungen in München fertiggestellt – und sich dafür unter anderem von der TU München und der Universität Kassel beraten lassen. Entstanden sind drei fünfgeschossige Gebäude nach dem Konzept von Animal-Aided Design. Das heißt, die Architekten versuchten von vornherein, die Bedürfnisse der dort vorkommenden Arten in ihre Planung miteinzubeziehen.
Animal-Aided Design heißt auch: mehr Lebensqualität für uns Menschen
Das Ergebnis sind Brutplätze für Vögel in den Fassaden, Überwinterungsquartiere für Igel in den Außenanlagen und Sträucher und Hecken zwischen den Häusern, die extra dem Nahrungsbedarf der Tiere entsprechend gepflanzt wurden. „Die Bedürfnisse der Tiere dienen dabei als Inspiration und nicht als Einschränkung der Gestaltung“, erklären Weisser und Hauck. Mit detaillierten Artenporträts informieren sie Städteplaner und Architekten über die idealen Lebensbedingungen der Tiere – von Pflanzlisten über potenzielle Nahrungsquellen und Rückzugsorte bis hin zu Gestaltungselementen.
Der Ansatz des Animal-Aided Designs ist aber nicht nur ökologisch und tierfreundlich, sondern bedeutet auch mehr Lebensqualität für uns Menschen. Dass es einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Vögeln und psychischen Erkrankungen beim Menschen gibt, hat der britische Biologe Daniel Cox vom Institut für Umwelt und Nachhaltigkeit der Universität Exeter gezeigt. In seiner 2017 veröffentlichten Studie heißt es, dass dort, „wo mehr Vögel anwesend sind, und dort, wo die Menschen die Chance haben, ihnen zu begegnen, das Ausmaß psychischer Erkrankungen geringer ist.“
Eine andere Idee, den „Nachtpark“, haben die Wissenschaftler Weisser und Hauck für Berlin konzipiert. Auf einer 60 Meter breiten Magistrale, die den Ost- mit dem Westteil der Stadt verbindet, soll Lebensraum für nachtaktive Arten geschaffen werden – und ein Puffer zum motorisierten Verkehr. Im Entwurf heißt es: „Der Mittelstreifen wird in verschiedene Abschnitte unterteilt, die jeweils unterschiedliche Funktionen für die Tierarten übernehmen. Für das Rotkehlchen und die Nachtigall gibt es eine ‚Brutstätte‘, ein ‚Nährstofflager‘ und eine Badestelle. Für die Fledermaus ein ‚Ruhezimmer‘ und ein ‚Jagdzimmer‘.“
Platz genug ist auf dem 18 Meter breiten Mittelstreifen vorhanden. Die Nächte in der Hauptstadt könnten dann in Zukunft so aussehen: Während Nachtigall und Rotkehlchen um die Wette singen und Fledermäuse in der Dunkelheit Insekten jagen, sind Fußgänger und Radfahrer in einem Stück Natur unterwegs. Eine schöne Vorstellung für eine Metropole. Und eine neue Attraktion für das Berliner Nachtleben.
Illustration: Frank Höhne