Ja! Staatliche Verbote sind von gestern: Nur wer eigenmächtig richtige Entscheidungen trifft, handelt nachhaltig
sagt Nik Afanasjew
Es gibt sehr viele Argumente für eine Legalisierung von Cannabis. Man könnte anführen, dass die bisherige Praxis der Kriminalisierung von Konsumentinnen und Konsumenten krachend gescheitert ist – konsumiert wird trotzdem. Man könnte Polizistinnen und Staatsanwälte erwähnen, die Kiffer statt richtiger Verbrecher jagen müssen, weil das Gesetz es ihnen so vorschreibt. Man könnte erwähnen, dass verunreinigtes Cannabis vom Dealer um die Ecke immer wieder die Gesundheit auch junger Menschen schädigt. Oder eine der zahlreichen Studien zitieren, wie etwa die von David Hammond von der University of Waterloo, der anhand des Beispiels Kanada nachgewiesen hat, dass eine Legalisierung von Cannabis die Zahl der Konsumenten nicht erhöht, vor allem nicht unter Minderjährigen. Aber all das ersetzt nicht das wichtigste Argument: die Eigenverantwortung.
Das Cannabis-Verbot bringt auch dem Staat nichts
Politische Systeme, die Menschen zu unreifen Befehlsempfängern degradieren, führen nie zu einer besseren Gesellschaft. Das hat die Geschichte mit all ihren totalitären Gesellschaftsentwürfen immer wieder gezeigt. In der ehemaligen Sowjetunion etwa wurden Menschen grundsätzlich geimpft, in der gegenwärtigen Pandemie sind die Impfquoten in den Nachfolgestaaten aber deutlich niedriger als in Westeuropa. Zwang zerstört Vertrauen. Was dieser Gedanke mit Cannabis zu tun hat? Es gibt keinen guten Grund, warum der Staat seinen Bürgern eine Substanz verbieten sollte, die zunächst einmal nur ihnen selbst schaden kann.
Ich denke, dass jeder Mensch eine Aufgabe nur dann vernünftig erledigt, wenn er selbst von ihr überzeugt ist. Wer sich nur anstrengt, wenn der Lehrer oder die Chefin hinschaut, wird nie mehr als Dienst nach Vorschrift leisten. Nichts und niemand kann einem Menschen die Entscheidung abnehmen, etwas vernünftig zu tun oder aus Überzeugung zu lassen. Für Eltern bedeutet dies, dass weder staatliche Verbote noch ihre eigenen Ermahnungen ihre Kinder zum richtigen Verhalten bewegen werden. Entweder sind sie zu Menschen herangewachsen, die verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen. Oder nicht.
Ob jemand Cannabis konsumiert und wie viel, ist letztlich eine persönliche Frage. Manche vertragen es besser, andere schlechter, manche haben nach einem Joint keine Rückenschmerzen mehr, andere vielleicht Motivationsprobleme bei den Hausaufgaben. Nichts davon ändert sich dadurch, dass die von ihnen konsumierte Substanz illegal ist. Dafür leben sie mit dem Risiko, für ihr Verhalten juristisch belangt zu werden. Oder im Park verunreinigtes Gras zu kaufen. Dem Staat entgehen wiederum nicht nur Möglichkeiten, seine Bürger zu schützen, sondern auch Steuereinnahmen. Ein Verbot, das zunächst als wirkmächtiges Werkzeug erscheint, lässt den Staat also vielmehr machtlos zurück.
An Gras kommen die meisten auch jetzt schon problemlos
Im Grunde müssten alle berauschenden Substanzen legalisiert werden, wobei diese komplette Freigabe zwei negative Auswirkungen hätte, die nicht unbeachtet bleiben dürfen. Deutlich gefährlichere Drogen als Cannabis wären dann für alle Erwachsenen verfügbar. Gegenwärtig wissen sicherlich viele Menschen nicht, wo sie mal eben harte Drogen kaufen sollten, selbst wenn sie das vorhätten. Dies würde sich durch eine Freigabe ändern. Diese nicht mehr vorhandene Schwelle könnte zu deutlich mehr Konsumentinnen und Konsumenten führen. Eine solche Schwelle existiert bei Cannabis nur begrenzt: Viele kennen die Parks, in denen gedealt wird, oder wissen zumindest, wen sie fragen könnten, wenn sie an Cannabis kommen wollten.
Bei der Debatte um eine Legalisierung wird oft behauptet, dass mit dem Alkohol schon eine gefährliche Substanz legal und eine zweite nicht wünschenswert sei. Dieses Argument geht von einem Gesellschaftsmodell aus, in dem alle berauschenden Substanzen eigentlich verboten sein sollten. Jede legale Substanz sei demnach eine zu verurteilende Ausnahme. Dabei gehört der Rausch zur Menschheitsgeschichte dazu. Wer Geschichten über vergorene Äpfel und abgeleckte Frösche aus vergangenen Epochen lesen möchte, wird im Internet leicht fündig. Was nie funktioniert hat, ist dem Menschen den Rausch zu verbieten, beim Alkohol am besten zu sehen an der gescheiterten Prohibition in den USA der 1920er-Jahre. Damals wie heute berauschen alle Versuche, den Rausch zu verbieten, vor allem Kriminelle – sie werden reich und mächtig.
Die Legalisierung würde ein wichtiges Zeichen setzen
Es ist kein Zufall, dass die Staaten, die Cannabis legalisiert haben oder den Konsum und Verkauf zumindest dulden, zu den sozial jeweils fortschrittlichsten ihrer Kontinente gehören. Ob die Niederlande in Europa, Uruguay in Südamerika oder das schon angeführte nordamerikanische Beispiel Kanada: Überall beurteilen Experten die Liberalisierung der Gesetzgebung auch nach Jahren positiv. Deutschland könnte mit einer Legalisierung ein wichtiges Signal an ganz Europa senden, schließlich existieren in unmittelbarer Nachbarschaft immer noch Staaten, die ihre Drogenpolitik dazu benutzen, die eigene Bevölkerung zu drangsalieren. In Belarus werden selbst Minderjährige für mikroskopisch kleine Mengen illegaler Substanzen zu bis zu zehn Jahren Straflager verurteilt, wo sie für wenige Euro im Monat ganztägig arbeiten müssen. Ihre Leben sind durch diese Haftstrafen für immer ruiniert. Natürlich ist Belarus ein extremes Beispiel. Aber auch dort könnten deutsche Politiker glaubhafter auf Veränderungen dringen, wenn sie nicht selbst aus einem Land mit antiquierter Drogenpolitik stammen würden.
Nik Afanasjew hat lange unweit der niederländischen Grenze gelebt – und da die eine oder andere Gelegenheit gehabt, eine andere Drogenpolitik aus nächster Nähe zu erleben.
Collagen: Renke Brandt
Nein! Eine Legalisierung stellt den Staat vor ein moralisches Dilemma
meint Oliver Noffke
Es gibt gute Gründe für den Konsum von Cannabis. Schmerzen zum Beispiel. Nicht enden wollende Stromschläge, die auch Jahre nach einem schweren Unfall noch Muskeln durchzucken. Die kontinuierlichen Leiden, nachdem Teile eines Gehirns entfernt werden mussten, weil es von Tumoren zerfressen war. Ein Fuß, der Menschen nahezu in den Wahnsinn treibt, obwohl er längst amputiert wurde.
Es gibt aber auch Gründe für Cannabiskonsum, die nicht gut sind. Weil Freunde es rauchen, zum Beispiel. Oder weil Sex damit vielleicht entspannter wird. Oder weil man damit vergessen kann, was einen blockiert, ärgert, traurig macht, besorgt, was einem peinlich ist oder das Herz bricht und unüberwindbar scheint.
Weniger Verbrechen durch Legalisierung? Es spricht kaum etwas dafür
Eine Legalisierung verspricht, dass unsere Strafverfolgungsbehörden entlastet werden könnten. Wenn Menschen mit drei oder vier Gramm erwischt werden, die sie selbst verbrauchen wollen, bereitet das der Polizei und unseren ohnehin überlasteten Gerichten viel Arbeit. Außerdem könnten Drogenkartelle ihre Absatzmärkte verlieren, so die Hoffnung. Wenn Cannabis in guter Qualität legal wäre, wer würde da noch minderwertiges vom Dealer um die Ecke kaufen?
Diese Erwartungen sind überzogen. Dealer werden nicht einfach aufgeben, wenn sie legale Konkurrenz bekommen. Wahrscheinlich werden sie auf härtere Drogen umschwenken, die ein höheres Suchtpotenzial haben. Als in Kalifornien Cannabis legalisiert wurde, war eine Hoffnung, dass die Gewalt mexikanischer Kartelle abnimmt. Nach wie vor liefern sie sich einen blutigen Krieg. Dass die Polizei weniger zu tun haben wird, wenn Cannabis legal wäre, glaubt nicht einmal die Polizei. Eine Legalisierung lehnt sie ab. In der Mehrzahl der Bundesländer wird schon heute ein Auge zugedrückt, wenn jemand bis zu sechs Gramm Cannabis in der Tasche hat. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung empfiehlt, das künftig im ganzen Land so zu handhaben.
Stattdessen würde die Legalisierung neue Probleme schaffen: Was passiert etwa, wenn jemand ohne Schuld in einen Verkehrsunfall gerät, aber THC im Blut hat? (Das ist der berauschende Stoff in Cannabis.) Wann ist man nach Cannabiskonsum wieder fit zum Auto- oder Mopedfahren? Das THC ist noch nach einigen Wochen im Körper nachweisbar, auch wenn es schon lange nicht mehr berauscht. Nur existiert kein Test, der den Zeitpunkt des Konsums zuverlässig feststellen kann. Und was ist mit der Unfallchirurgin, die eine komplizierte Operation nicht wie erhofft durchgeführt hat. Waren die Erwartungen an die OP zu hoch, oder lag es daran, dass sie ab und zu einen Joint raucht, um die Belastungen ihres Berufs besser verarbeiten zu können?
Der Staat als Dealer?
In Kanada wurde Cannabis vor drei Jahren legalisiert. Der Staat vergibt Lizenzen an private Unternehmen, die dann Marihuana oder Haschisch verkaufen dürfen. Dennoch ist der Schwarzmarkt nicht verschwunden. Ein Grund dafür ist, dass legales Cannabis zwar hochwertiger ist, aber auch deutlich teurer. Viele Konsumenten wollen oder können sich die Preise in den offiziellen Shops einfach nicht leisten. Bei denen, die es können, stellt sich noch eine andere Frage: Ja, nicht jede Person, die ab und zu kifft, wird davon abhängig. Aber was ist mit denen, die es werden? Darf ein Staat daran verdienen? Ein gewaltiges moralisches Dilemma. Durch die Legalisierung würde der Staat verantwortlich werden für die Qualität einer Droge, mit deren Verkauf er Steuern einnimmt – es wären Hunderte Millionen.
Ein beliebtes Argument der Befürworter einer weitreichenden Cannabisfreigabe ist: Alkohol ist auch legal. Ein gesellschaftlich akzeptierter, beinahe schon erwünschter Rausch. Wer keine Lust hat, sich auf einer Party zu betrinken, muss sich oft rechtfertigen oder gilt als Spaßbremse. Dabei kennen eigentlich alle die Schäden, die Alkoholmissbrauch verursacht. Alkohol zerstört Nervenzellen. Er zerlegt die Leber, hemmt Muskeln, die körperlichen und sozialen Folgen sind vielfältig: von Stimmungsschwankungen und Zittern bis hin zu ernsthaften Organschäden. Käme Alkohol heute frisch auf den Markt, wäre er – nach aktuellen medizinischen Standards – wahrscheinlich schnell verboten. Aber was hat das mit Cannabis zu tun? Gar nichts. Probleme, die Alkohol verursacht, können nicht durch die Legalisierung von Cannabis gelöst werden. Wer Cannabis mit Alkohol vergleicht, sollte auch Folgendes sehen: Es ist bisher keiner Gesellschaft gelungen, die Alkoholsucht unter Kontrolle zu bekommen oder ihre Folgen erträglich abzufedern.
Wir müssen über Psychosen reden
Cannabis entspannt, es dämpft Schmerzen und erzeugt bei vielen ein wohliges Gefühl. Studien zeigen, dass THC bei Angst- oder Schlafstörungen positive Effekte haben kann. Zum Beispiel, wenn Körper oder Seele oder beide ein Trauma erlebt haben und ein schmerzfreies Leben ausgeschlossen ist. Wenn konventionelle Schmerzmittel keine Abhilfe mehr schaffen, kann Cannabis eine Erleichterung sein. Vielleicht sogar die einzige. Denn Cannabis wirkt psychoaktiv, es beeinflusst also Empfinden, Verhalten und die Wahrnehmung. Dass Stoner antriebslos und vergesslich sind und keinem Gedanken lange folgen können, ist so klischeehaft wie oftmals wahr. Einige erleben aber auch launische Verstimmungen bis hin zur Depression, Angst oder Panikattacken. Wieder andere entwickeln sogar Psychosen. Sie verlieren also den Kontakt zur Realität, sehen Dinge, die nicht existieren, hören Stimmen, fühlen sich verfolgt oder fremdgesteuert. Das muss nicht passieren. Aber es sind auch keine unwahrscheinlichen Nebenwirkungen. Gerade deshalb sollten Ärztinnen oder Psychotherapeuten entscheiden, in welchen Fällen Cannabis sinnvoll ist. Nicht die Politik.
Oliver Noffke schreibt oft über die Aufarbeitung von historischem Unrecht sowie über Queere Communities und ihre Herausforderungen, wie Drogen, sexuellen Missbrauch oder Diskriminierung.