„Path Out“: Eine reale Fluchtgeschichte
„Path Out“ begleitet den 18-jährigen Abdullah auf seiner Flucht von Syrien in die Türkei. Spieler lernen zunächst Abdullahs Familie und durch sie die politischen Verhältnisse im damaligen Syrien kennen: Zu Beginn des Bürgerkrieges 2011 ist Abdullah ein Kind. Kurz nach dem Schulabschluss, er ist gerade 18, soll er der Armee beitreten – und flieht.
Das Spiel orientiert sich an der realen Lebensgeschichte Abdullah Karams. Er nennt sich heute Jack Gutmann und arbeitet als Gamedesigner in Österreich. Dort hat Gutmann „Path Out“ zusammen mit dem Studio Causa Creations entwickelt. Das Design erinnert an die Vogelperspektive der alten Pokémon-Spiele: cartoonisch, eckig, leicht pixelig. Ein Stil, der die Dinge überzeichnet, vielleicht klischiert, aber „Path Out“ bricht diese Perspektive klug: Immer wieder setzt die Handlung aus, und Jack Gutmann kommentiert in Einspielern, was er auf seiner Flucht erlebt hat, das Spiel aber nicht vermitteln kann. Das gewann diverse Preise, weil es zeigt, welchen Situationen Geflüchtete ausgesetzt sein können und wie eine Entscheidung über Leben und Tod bestimmen kann.
„Terra Nil“: Digital die Welt aufforsten
Immer mehr Games entdecken, wie sie sich inhaltlich mit der Klimakrise auseinandersetzen können. Etwa „Terra Nil“, das im März 2023 herauskam und ganz anders funktioniert als die großen Aufbau-Strategie-Spiele, in denen man eine Insel „finden“ und auskundschaften, sich Bodenschätze aneignen und Krieg führen muss.
„Terra Nil" verzichtet auf derlei kolonialistische Narrative: Spieler müssen Brachflächen wieder fruchtbar machen, Ozeane reinigen und Biodiversität herstellen, bis Flamingos, Polarfüchse und Schildkröten in ihre Lebensräume zurückkehren. Jedes Level spielt in einem anderen Ökosystem: Wälder, Sümpfe, Ozeane. Der Kniff sind die begrenzten Res- sourcen. Man kann „Terra Nil“ nicht gewinnen, ohne die technischen Geräte, mit denen man den Boden regenerieren oder das Wasser reinigen kann, vor Ende des Levels zu recyceln. So kann man im Spiel die Klimakrise bekämpfen, klar. Und muss sich dennoch bewusst machen, dass der hohe Energieverbrauch von Konsolen und Servern beim Gaming (und damit ihre miese CO2-Bilanz) auch bei solchen Spielen merkliche Auswirkungen hat.
„Dys4ia“: Genderdysphorie erspielbar machen
„Dys4ia“ ist autobiografisch. In neonfarbener Pixel-Art begleitet man die Künstlerin Anna Anthropy durch ihren Alltag als Transfrau und die ersten Monate ihrer Hormontherapie. Das Browsergame verhandelt in vielen kurzen Sequenzen die Genderdysphorie, also das körperliche, psychische und soziale Unwohlsein, das entstehen kann, wenn die eigene körperliche Erscheinung nicht zum Geschlecht passt. Man versucht, Formen durch Wände zu navigieren, obwohl klar ist, dass sie nicht passen; man wird mit transfeindlichen Kommentaren beschossen, ohne zu wissen, ob man die besser abwehren oder ignorieren sollte. Die Spielmechanik ist ultrareduziert, es gibt keine Highscores, man kann „Dys4ia“ weder gewinnen noch verlieren.
Das Spiel hat Anthropy 2012 zu einer Ikone der queeren Game-Szene gemacht. Sie entwickelt Spiele, unterrichtet Game-Design und schreibt dafür niedrigschwellige Anleitungen: Anthropy will Games als Erzählform relevanter machen – und deshalb möglichst vielen ermöglichen, selbst einfache Videospiele zu entwerfen.
„Uncensored Library“: Aufklärung via „Minecraft“
Die von der NGO Reporter ohne Grenzen herausgegebene Liste der „Feindinnen und Feinde der Pressefreiheit“ ist lang. In betroffenen Regionen wird der Bevölkerung vor allem der Zugang zu freiem (also oft machtkritischem) Journalismus unmöglich gemacht. Auf einem Server des Open-World-Spiels „Minecraft“ „spielen“ Reporter dagegen an: In der „Uncensored Library“ sollen alle alles lesen können. Oder zumindest erfahren, was in ihren Heimatländern zensiert wird.
Autokratische Staaten können das Internet zensieren, „Minecraft“ aber bleibt als eines der meistverkauften Games der Welt (mehr als 238 Millionen Verkäufe) zugänglich. Mit einfachsten Mitteln lassen sich dort Bücher herstellen, die auf dem Server in einer virtuellen Bibliothek zu lesen sind. In denen finden die Spieler Artikel, die in ihren Ländern zensiert oder von Journalisten im Exil geschrieben wurden. Neben Russland oder Saudi-Arabien haben mittlerweile auch Brasilien, Eritrea oder Belarus eigene Räume.
„RuneScape“: Wirtschaftsfaktor in Venezuela
Dieser Text ist über mehrere Seiten verteilt in fluter Nr. 87 „Spiele” erschienen.
Das ganze Heft findet ihr hier.
Eigentlich ist „RuneScape“ ein gewöhnliches Online-Rollenspiel. Man erstellt einen Avatar, durchstreift eine Fantasy-Welt, sucht Rohstoffe, tötet Drachen … solche Sachen. Das „RuneScape“-Gold, die spieleigene Währung, mit der man Items und Rohstoffe kaufen kann, gewann aber in den vergangenen Jahren ganz realen Wert. Venezuela plagen politische und wirtschaftliche Krisen. Grundnahrungsmittel und Medikamente waren erst knapp, dann für die allermeisten unbezahlbar. Millionen Venezolaner sind geflohen. Wer geblieben ist, muss oft mit wenigen US-Dollar Wochenlohn auskommen. Oder mit: „RuneScape“-Gold.
Das blieb stabiler als der hyperinflationäre venezolanische Bolívar und machte „RuneScape“ von einer willkommenen Nebeneinkunft vieler Venezolaner zu einem lukrativen Wirtschaftszweig. Obwohl man fürs „Farmen“ gesperrt werden kann, gibt es verschiedene Wege, „RuneScape“-Gold anzuhäufen und auf speziellen Plattformen in „echtes“ Geld zu tauschen. Gerade gibt es für eine Million „RuneScape“-Gold umgerechnet 0,26 US-Dollar.