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Von wegen Provinz

Die Initiative Dorfpride organisiert queere Paraden auf dem Land. Wir haben sie durch die Kleinstadt Ladenburg begleitet

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Dorfpride

Mühlhausen, Oftersheim, Ladenburg. Viele denken bei solchen Orten eher an die Jahrestagung eines Kleintierhalterverbandes als an den CSD. Die Dorfpride möchte das ändern: Vor zwei Jahren gründete sich die Initiative, um mit Umzügen durch Gemeinden in Baden-Württemberg für die Sichtbarkeit und Rechte queerer Menschen zu demonstrieren.

Seitdem fanden drei Dorfprides statt, über den Ort wurde jeweils online abgestimmt. Nach den Gemeinden Mühlhausen und Oftersheim zog die Pride dieses Jahr durch Ladenburg, eine Kleinstadt von knapp 12.000 Einwohner:innen. „Viele hier haben etliche CSDs hinter sich“, sagt Mitinitiatorin Anahita Azizi. „Und trotzdem haben sie Tränen in den Augen, wenn sie mit 2.000 Teilnehmer:innen durch Ladenburg laufen.“

„Das ist meine erste Demo, ich will einfach mal mitgehen. Ich mag die Idee der Dorfpride, weil sie offen ist für Leute, die nicht in Metropolen leben. Ich bin queer, aber habe Glück, weil ich mich im Alltag nicht sonderlich diskriminiert fühle. Dafür helfe ich anderen in meinem Umfeld, die es schwerer haben.“

Fabian, 14, Schüler aus der Nähe von Wiesloch

„Die Puppy-Szene habe ich beim CSD in Köln kennengelernt – und mir sofort eine Maske zugelegt. Seit vier Tagen bin ich nonstop als Puppy unterwegs. Maske an, Kopf aus! Das ist super. Nur aus einem Napf mag ich nicht essen, da ist jeder anders drauf und das ist total okay. Genau deshalb ist die Dorfpride wichtig: Die Menschen müssen wissen, was es alles gibt.“

Ronny aka Cookie, 40, Konditor und Kaufmann für Büromanagement aus Mannheim

„Wer queer ist, erfährt nicht immer die nötige Unterstützung. Wir sind kein Hype, schätzungsweise sieben bis zehn Prozent der Menschen in Deutschland sind queer. Sollen wir die sich selbst überlassen – oder wollen wir uns auf Akzeptanz und Sicherheit einigen? Die Dorfpride ist wirklich one of a kind, für die Gemeinden, Bürger:innen und Besucher:innen. Aber wir feiern hier nicht nur, wir laufen für die Rechte queerer Menschen.“

Anahita Azizi, Mitinitiatorin

Die Dorfpride sei wie die CSDs in Großstädten auch, sagt Azizi, nur handgemacht. Die Initiator:innen kennen das Leben auf dem Land. Sie wollen den Gemeinden keine schrillen Paraden überstülpen, sondern die Umzüge gemeinsam planen. Dafür sprechen sie sich mit den Verwaltungen, der Polizei und dem Ordnungsamt ab, gehen auf lokale Vereine zu.

Wenn es in Gemeinden keine Safe Spaces gibt, kein Gefühl für die Community und kein gutes Miteinander, würden queere Menschen leider einfach weiterziehen in die nächstgrößere Stadt. „Am besten wäre natürlich“, sagt Azizi, „wenn unsere Dorfprides irgendwann nicht mehr nötig sind.“

„Die Dorfpride ist toll, ein CSD in Handarbeit, ein echtes Original. Auf der Pride fühle ich mich gut. Aber die Hin- und Rückfahrt mit der Bahn macht mir Sorgen: Leider sind Diskriminierung und homophobe Angriffe wie gerade in Frankfurt immer wieder Thema. Man muss sein Queersein wieder mehr verstecken.“

Martin, 31, kommt aus Gießen, leitet einen Sozialen Dienst in einem Seniorenzentrum und macht als Flirty Flamingo eine CSD-Tour durch Deutschland

„Ich wohne in der Nachbarstadt, als Mann. Ich switche, weil es beruflich nicht anders geht. Das Konzept Dorfpride finde ich genau richtig, weil Queere so oft in die Städte wegziehen. Dabei glaube ich, einmal geoutet, lebt es sich auf dem Land leichter als in der Stadt. Die sozialen Bande sind stärker, man vereinsamt weniger. Was ich den Leuten sagen möchte? Lebt angstfrei, Angst frisst die Seele auf.“

Polly, 56

„Ich bin erst drei Jahre geoutet. Seither bin ich viel besser drauf. Überall haben sie mich akzeptiert, sogar in der freiwilligen Feuerwehr. Allen, die Angst haben vor dem Outing, kann ich nur zuraten. Sich zu verbiegen ist das Schlimmste, was es gibt.“

Winfred, 65, aus dem Westerwald

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.