Thema – Reichtum

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Wie gerecht ist Erben in Deutschland?

Über diese Frage wird schon lange gestritten. Bald soll das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden. Zeit, sich die Debatte mal genauer anzuschauen

Erbschaftssteuer

Im Oldenburger Land, in dem kleinen Ort Essen in Niedersachsen, sitzt ein vielfach als „Innovationsführer Deutschland“ ausgezeichnetes Unternehmen, das kaum jemand kennt: das Familienunternehmen Vogelsang, das weltweit Maschinentechnik unter anderem für die Abwasserbehandlung und -aufbereitung verkauft. „Sie können in Deutschland auf nahezu keine Zugtoilette gehen, ohne dass unsere Pumpe das Ganze hinterher verwertet“, erklärt Geschäftsführer Hugo Vogelsang.

Seit 1929 wird das Unternehmen von der Familie geführt und beschäftigt 1.000 Mitarbeiter in Deutschland und etwa 1.300 weltweit. Es machte 2023 nach eigenen Angaben einen Umsatz von etwa 200 Millionen Euro und einen Gewinn von etwa 20,8 Millionen Euro. Die Brüder Hugo und Harald Vogelsang haben vor drei Jahren damit begonnen, Unternehmensanteile an die nächste Generation zu „übertragen“, so nennt man das juristisch. Im Jahr der Übertragung machte das Unternehmen einen Gewinn von rund 12 Millionen Euro. Die Erben, junge Erwachsene, wurden zu Eigentümern. Diese Übergabe stellte sie, so die Brüder Vogelsang, aber vor eine große Herausforderung: die Erbschaftsteuer.

„Die Erbschaftsteuer für Familienunternehmen geht an die Substanz“

Die Diskussion darüber, ob das Erben in Deutschland gerecht geregelt ist, schwelt schon lange. Derzeit beschäftigt sich – mal wieder – das Bundesverfassungsgericht damit. Aber worüber genau wird da gestritten?

Um das zu verstehen, hilft es, sich erst einmal die aktuelle Regelung anzuschauen. Die besagt: Beim Erben wird der Staat prinzipiell durch Steuern am Nachlass beteiligt. Allerdings kann jeder der Brüder Vogelsang an jedes seiner Kinder alle zehn Jahre 26 Millionen Euro Unternehmensvermögen steuerfrei übertragen. Wenn jemand also drei Kinder hat, kann er drei Mal Unternehmensvermögen im Wert von 26 Millionen Euro steuerfrei verschenken. Die Bedingung dafür ist, dass die Nachfolger das Unternehmen die nächsten sieben Jahre nicht verkaufen und die Löhne insgesamt nicht sinken. Soll an ein Kind mehr als 26 Millionen Euro Unternehmensvermögen vererbt werden, fallen maximal 30 Prozent Erbschaftsteuer an. Doch auch das ist nicht immer der Fall. Wenn die Erben nachweisen, dass sie die Erbschaftsteuer aus ihrem Privatvermögen nicht zahlen können, wird ihnen die Steuer erlassen.

Viele Unternehmen haben auch Kapital, das nicht zum eigentlichen Betrieb gehört – zum Beispiel vermietete Grundstücke, kleinere Anteile an Kapitalgesellschaften bzw. Aktienvermögen oder Luxusgegenstände. Dieses sogenannte Verwaltungsvermögen kann nur bis zu bestimmten Höchstgrenzen von der Steuer befreit werden. Auch finanzielle Reserven und Kundenforderungen zählen nicht zu dem Unternehmensvermögen, das von der Steuer verschont wird. 

Und das ist es, was die Brüder Vogelsang so emotional bei dem Thema macht. Laut Vogelsang mussten im Jahr der ersten Übertragung an die Kinder rund 6,5 Millionen Euro Steuern gezahlt werden – die beinhalten nicht nur die Erbschaftsteuer, sondern auch Kapitalertragsteuern. Aus Sicht der Brüder ist die Firma jetzt weniger wettbewerbsfähig. „Die Erbschaftsteuer für Familienunternehmen geht an die Substanz“, betont Hugo Vogelsang. Laut den Brüdern Vogelsang seien in den Folgejahren Investitionen zurückgestellt worden, und damit seien weniger Arbeitsplätze entstanden, als ohne die Steuer möglich gewesen wäre.

Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit sieht das anders. „Wenn das Unternehmen im Jahr der Schenkung einen Gewinn von rund 12 Millionen Euro gemacht hat und 6,5 Millionen Euro Steuern zahlen musste, konnten die Erben die Steuern ja aus dem Gewinn eines einzigen Jahres bezahlen. Davon können Nichterben bei der Abzahlung von Krediten nur träumen“, sagt sie.

Um die Erbschaftsteuer bei Unternehmensübergaben gab es schon immer viel Streit. Die einen empfinden sie als gefährlich für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Familienunternehmen. „Ein Damoklesschwert, das über den Unternehmen hängt“, so sagt es Roland Franke von der Stiftung Familienunternehmen und Politik beispielsweise. Anders als bei börsennotierten Unternehmen stehe bei Familienunternehmen nicht das Renditemaximum im Fokus, sondern vor allem die Existenz, der Fortbestand des Unternehmens und die Verantwortung für die Mitarbeitenden.

„Wir haben seit über fünfzehn Jahren ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht“

Diejenigen, die für die Erbschaftsteuer sind, betonen dagegen die große Vermögensungleichheit in Deutschland – 25 Prozent der Bevölkerung besitzen kein Vermögen oder haben Schulden, während die reichsten 1,5 Prozent über 85 Prozent der Betriebsvermögen verfügen. Sie kritisieren die großen Freibeträge und betonen, dass bei vielen Unternehmensübergaben gar keine oder kaum Steuern anfallen. Unternehmen könnten nur erfolgreich werden, weil sie gut ausgebildete Arbeitskräfte, eine gute Verkehrsinfrastruktur und ein funktionierendes Rechtssystem in Deutschland vorfinden – all das sei finanziert durch den Staat, also durch Steuern, so die Argumentation.

In einem aktuellen Fall vor dem Bundesverfassungsgericht hat ein Mann aus Nordrhein-Westfalen geklagt. Er hatte von seiner Tante ein Aktien- und Wertpapierdepot in Höhe von 67.000 Euro bei der Sparkasse geerbt. Im Oktober 2019 teilte ihm das Finanzamt dann mit, dass hierauf Erbschaftsteuern anfallen. Angesichts der weitreichenden Privilegien von Unternehmenserben empfindet er das als ungerecht und klagt nach Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

In einem kleinen Büro in Berlin sitzt Gerhard Schick vom Verein Finanzwende. Er verfolgt die Debatte seit langem: „Wenn man sich über die Jahre anguckt, was da passiert ist, wird eigentlich deutlich, dass so etwas nicht vorkommen darf in einem Rechtsstaat. Wir haben seit über 15 Jahren ein verfassungswidriges Erbschaftsteuerrecht.“

Mehrmals befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Erbschaftsteuergesetz, unter anderem 2014. Das Gericht stellte da fest: Verschonungen von Unternehmensvermögen für kleinere und mittlere Betriebe sind grundsätzlich möglich. Was aber unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig ist, ist die Verschonung von Großbetrieben, von Konzernen, ohne zu prüfen, ob diese Verschonung wirtschaftlich notwendig ist. Erneut musste der Bundestag das Erbschaftsteuergesetz reformieren. Er tat dies Ende 2016, änderte aber kaum etwas an den Privilegien für Unternehmenserben.

Ist Unternehmensvermögen wie Geld zu behandeln?

Nun wird dieses Gesetz wieder vor dem Bundesverfassungsgericht diskutiert. „Endlich, aber zu spät“, findet Gerhard Schick. Laut den beiden aktuellen Subventionsberichten des Bundes wurden allein in den vergangenen fünf Jahren durch die Verschonungsregelungen über 25 Milliarden Euro an möglichen Steuern nicht eingenommen.

Die Unternehmer Hugo und Harald Vogelsang sehen das sehr anders. In ihren Augen sollte gar keine Erbschaftsteuer auf den Wert eines bestehenden Unternehmens anfallen. Unternehmensvermögen sei kein Bargeld, sondern gebunden in Maschinen, Lagerhallen, Technik. Das mache es schwierig, Erbschaftsteuer zu zahlen, argumentieren sie.

Ihr Vorschlag stattdessen: Solange sich Erben nur von den Wertzuwächsen eines Unternehmens Geld auszahlen ließen, sollten diese wie bisher als Einkommen besteuert werden. Sollten sich die Erben aber am Wert des Unternehmens bedienen, also zum Beispiel Teile des Unternehmens verkaufen, müssten sie darauf eine erhöhte Einkommensteuer bezahlen. Ganz nach dem Motto: „Du erbst hier was. Aber wenn du dich an dem Unternehmen bedienst, dann wird es richtig teuer“, so die Brüder.

„Niemand in Deutschland sagt, Unternehmensvermögen sind gleich Cash auf der Bank und dass beim Übergang sofort 30 Prozent Steuern gezahlt werden sollen“, argumentiert dagegen Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Sie plädiert für eine „echte“ Erbschaftsteuer, wie sie es nennt: Statt der hohen Freibeträge und komplizierten Verschonungsregeln schlägt sie eine Steuer vor, die über einen langen Zeitraum in Raten gezahlt werden könnte, falls das Geld im Privatvermögen fehle. „Die Steuer kann dann über viele Jahre aus dem Gewinn gezahlt werden. Ebenso wie Nichterben bei Unternehmensgründung einen Kredit aufnehmen und ihn dann abbezahlen.“

 

Diesen letzten Punkt hat auch schon die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, angemerkt. Sie kritisiert Deutschland dafür, dass innovative, leistungsfähige Nichterben wirtschaftlich deutlich schlechter gestellt seien als Unternehmenserben, die keine Leistung erbracht hätten.

Vermehrt äußern sich auch Unternehmenserben selbst. Junge Menschen, die mit der Organisation taxmenow – besteuere mich jetzt – dafür kämpfen, selbst höher besteuert zu werden. Dass der Bestand ihrer eigenen Familienunternehmen durch eine höhere Erbschaftsteuer in Gefahr sei, halten sie für einen Mythos. Ob das Bundesverfassungsgericht das genauso sieht, wird sich wohl bald zeigen, ein Urteil zu dem Thema wird in nächster Zeit erwartet.

Illustration: Renke Brandt

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