Contra: Ihr beruhigt doch nur euer Gewissen!
Ethischer Konsum entpolitisiert und ist keine Option für alle, sondern nur für diejenigen, die ihn sich leisten können. Engagiert euch lieber, meint Juliane Frisse.
Ich weiß noch genau, wie ich vor etwa zehn Jahren zur ethischen Konsumentin wurde. Damals fing ich einen Hiwi-Job an der Uni an, bekam elf Euro die Stunde – und hatte plötzlich jeden Monat ein paar hundert Euro mehr auf meinem sonst chronisch leeren Konto. Nachdem die drängendsten Wünsche erfüllt waren, fasste ich den Entschluss: Ab jetzt nur noch Bio-Lebensmittel. Denn: die Tiere! Die Pestizide! Überhaupt, der Klimawandel! Meine Entscheidung fühlte sich gut und richtig an.
Das Märchen vom ethischen Einkaufen klingt so schön weil es uns vieles so einfach macht
Im Bio-Supermarkt können wir die Welt retten – so lautet das Märchen vom ethischen Einkaufen. Es basiert auf einer simplen ökonomischen Tatsache: Die Nachfrage beeinflusst das Angebot. Darin besteht angeblich die Macht der Konsumenten, also die Macht von uns allen. Es braucht nur genügend wirtschaftlichen Druck, aufgebaut durch unsere kollektiven Einkaufsentscheidungen gegen billig produzierte Lebensmittel und Klamotten aus Sweatshops und für ethisch korrekte Alternativen – und schon liegen nur noch Bio-Eier und fair produzierte Pullis im Regal. Alles nur eine Frage der Zeit, bis Discounter und Fast-Fashion-Ketten einknicken.
Das Märchen vom ethischen Einkaufen klingt so schön, weil es suggeriert: Ich persönlich habe mit jeder Konsumentscheidung ganz konkret Einfluss darauf, dass die Welt ein besserer Ort wird. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings auch: Das Wohl der Näherinnen in Bangladesch und der Kaffeebauern in Guatemala ist von unseren Shopping-Entscheidungen abhängig. Davon, ob uns gerade wichtiger ist, dass niemand bei der Produktion unserer Hose ausgebeutet wird – oder dass uns die Waschung genau dieser Fast-Fashion-Jeans einfach besser gefällt und wie gut sie am Po sitzt. Man muss schon sehr prinzipienfest sein, um sich stets für die moralisch wertvollere Variante zu entscheiden.
Das sind politische Fragen - deshalb gehören sie auch in der politischen Sphäre geklärt
Ausbeutung oder faire Produktion – das sind keine Alternativen, zwischen denen wir abwägen wie zwischen Skinny Fit und Mom Jeans. Warum sollten wir überhaupt diese Auswahl treffen müssen? Ich persönlich kenne niemanden, der sich explizit eine Hose aus dem Sweatshop wünscht. Oder der es okay findet, Menschen für einen Hungerlohn schuften zu lassen, 14 Stunden an 6 Tagen die Woche. Trotzdem nehmen viele Menschen das still in Kauf, wenn sie Klamotten kaufen, weil ihnen andere Kriterien wichtiger sind. Deshalb sollte die Verantwortung darüber auch nicht der unsichtbaren Hand des Marktes überlassen und den Konsumenten zugeschoben werden. Welche Arbeitsbedingungen okay sind, ob und wie man Tiere hält, das sind politische Fragen. Deshalb gehören sie auch in der politischen Sphäre geklärt.
Arbeiter in Textilfabriken brauchen Gewerkschaften. Sie würden viel schneller von unseren ethischen Überzeugungen profitieren, wenn wir, statt faire T-Shirts zu kaufen, politischen Druck aufbauen: demonstrieren gehen, in einer NGO mitarbeiten, Petitionen aufsetzen, verbreiten und unterzeichnen (ja, manchmal bringt das was). Öffentlicher Druck wirkt stärker als die unsichtbare Hand. Und: Das können auch Menschen, die sich keine Bio-Produkte leisten können. Regierungen könnten faire Minimalstandards für Importe von Kleidung, Elektronik und Lebensmittel festlegen. Ein Gesetz, dass das Schreddern männlicher Küken verbietet, ist effektiver, als darauf zu bauen, dass sich genügend Konsumenten für das Bruderhahn-Ei entscheiden.
Der Bio-Einkauf hat in der ethischen Bilanz auf allen Ebenen nicht viel bewirkt – außer dass sich der Konsument besser fühlt.
Ethischer Konsum entpolitisiert aber nicht nur genuin Politisches. Er ist außerdem keine Option für alle, sondern nur für diejenigen, die ihn sich leisten können. Man kann es falsch finden, unter welchen Bedingungen Fünf-Euro-T-Shirts hergestellt werden (und wohlgemerkt auch viele, die 50 Euro kosten) – aber einfach nicht genug Budget für die faire Alternative haben. Alleinerziehenden oder Hartz-IV-Empfängern zu predigen, sie müssten nur die eigenen Prioritäten als Konsument neu justieren, dann könnten auch sie die Welt retten, ist bizarr.
Menschen, die starke ökologische Überzeugungen haben, sind oft nur in bestimmten Bereichen umweltfreundlich
Ich will niemanden davon abbringen, Bio-Paprika zu kaufen oder als regenwaldfreundlich zertifiziertes Briefpapier. Sondern nur darauf hinweisen, dass man besser nicht darauf vertrauen sollte, dass diese Art nachhaltigen Konsums auch nachhaltig Wirkung zeigt. Sozialwissenschaftler kennen ein Muster, das sie den „Patchwork-Charakter“ des Umweltverhaltens nennen. Damit ist gemeint, dass auch Menschen, die starke ökologische Überzeugungen haben, sich oft nur in bestimmten Bereichen umweltfreundlich verhalten. Ihre Öko-Bilanz hat – eben wie eine Patchwork-Decke – dunkle und helle Flecken. Ein Patchwork-Öko kauft womöglich konsequent im Biomarkt ein, fliegt aber jeden Winter guten Gewissens auf die Südhalbkugel. Der nachhaltige Bio-Einkauf hat dann in der ethischen Bilanz auf allen Ebenen nicht viel bewirkt – außer dass sich der Konsument besser fühlt.
Juliane Frisse arbeitet als Journalistin vor allem für ZEIT ONLINE und den Bayerischen Rundfunk. Seit sie nicht mehr in der Nähe eines Bio-Supermarkts wohnt, sondern schräg gegenüber von Lidl, hat sich die Bio-Quote in ihrem Einkaufswagen deutlich reduziert. Immerhin bezieht sie inzwischen Öko-Strom.
Pro: Du hast ein bisschen Macht, also nutze sie!
Ethischer Konsument zu werden ist anstrengend. Immer alles "richtig" zu machen geht kaum, das ist aber auch gar so nicht schlimm, findet Lisa Neal.
Als ich von zu Hause ausgezogen war, führte mich mein erster Einkauf in einen Bioladen. Wie vom elterlichen Kühlschrank gewohnt, kaufte ich Produkte von Demeter und Zwergenwiese ein. Mein Korb war mit Sachen für die nächsten drei Tage befüllt. Beim Bezahlen war dann das Geld für den halben Monat weg.
Ein paar Tage später ging ich das erste Mal zu Aldi, ein bisschen beschämt und verbarrikadiert unter meinen Kopfhörern. Ich wollte doch Bio-Lebensmittel, weil ich richtig und gerecht einkaufen wollte. Aber etwas anderes als Discounter, die sich erst später dem Druck der Nachfrage beugen und Bio-Produkte in ihr Sortiment aufnehmen sollten, konnte ich mir nicht leisten. Gewohnheiten und Geldbeutel passten nicht zusammen, ich musste mich neu sortieren.
Jede Kaufentscheidung ist politisch und deshalb haben wir viel Verantwortung
Ethischer Konsument zu werden ist anstrengend. Denn es bedeutet: Genügsamkeit lernen. Klar ist ein neues Kleid schön, es macht Spaß, beim Abendbrot zwischen verschiedenen Brotaufstrichen wählen zu können und im Urlaub durch die halbe Welt zu jetten. Sich umgewöhnen ist unbequem. Aber es lohnt sich, denn die Macht als einzelner Konsument mag sich zwar klein anfühlen, aber verbündet mit anderen kann sie einiges bewirken. Jede Kaufentscheidung hat einen politischen Wert, und damit haben wir alle ziemlich viel Verantwortung im Alltag. Ich kann mit meinen Bio-Möhren zwar nicht sofort die Welt retten, aber ich kann dazu beitragen, dass sich längerfristig Druck auf Unternehmen und Politik aufbaut. Jeder Einkauf trägt ein kleines bisschen zu einer Nachfrage nach fairen Herstellungsbedingungen und verbindlichen Richtlinien für Produkte bei.
Bist du ein besserer Mensch, weil du alles biologisch, unverpackt, fair gewebt und CO2-frei konsumierst? Nein!
Noch vor rund 15 Jahren waren Bioläden abgelegen und eher etwas für Birkenstock-Träger (die waren mal so unfassbar uncool) mit selbst gestrickten Pullundern. Heute gibt es in den Innenstädten viele Bioläden, faire Bekleidungsläden und regionale Essensretter-Restaurants. Genauso müssen sich Textilhändler H&M und andere Unternehmen den Erwartungen beugen und nachhaltige Produkte anbieten, Flohmärkte und Secondhand sind wieder hip. Auto oder Bohrmaschinen muss man nicht mehr besitzen, sondern können geteilt werden. Der ethische Konsum ist raus aus der Nische. Aber damit ist die Arbeit noch nicht getan, denn oft reichen die Veränderungen nicht. Die Bedingungen, unter denen massentaugliche Produkte hergestellt werden, sind allzu oft immer noch mies oder schmecken nach Reinwaschung. Das heißt: Unternehmen geben sich in der Öffentlichkeit verantwortungsbewusst, ohne es wirklich zu sein.
Es kommt nicht darauf an, sich alles leisten zu können. Sondern darauf, bewusst zu konsumieren
Um sich dadurch nicht entmutigen zu lassen, muss jetzt mal mit den drei nervigsten Irrtümern aufgeräumt werden:
Erstens: Du bist ein besserer Mensch, weil du alles biologisch, unverpackt, fair gewebt und CO2-frei konsumierst. Bist du nicht! Denn das ist oft eine Frage des Geldbeutels, und damit diskriminiert es Studenten und Auszubildende, Großfamilien, Rentner. Die Überheblichkeit, die manchen zu Kopf steigt, weil sie es sich leisten können, gegenüber denen, die es nicht tun – oder auch einfach nicht wollen –, führt zu immer mehr sozialer Ausgrenzung und Arroganz. Es kommt nicht darauf an, sich das alles leisten zu können. Sondern vielmehr darauf, einfach bewusst zu konsumieren. Zu überlegen, was man braucht, und sich darin zu üben, auf den einen oder anderen Wunsch zu verzichten – das kann jeder. Nicht kopflos konsumieren, sondern abwägen lernen und ein Gespür für die Arbeit bekommen, die in Produkten und Dienstleistungen steckt.
Zweitens: Wenn du Vegetarier bist, kannst du auch gleich Veganer sein. Wenn du vegan lebst, dann musst du auch aufs Fliegen verzichten. Und wenn du nicht fliegst, darfst du sowieso nur noch das Fahrrad benutzen und Gemüse aus dem eigenen Garten essen. Nein! Ethisch zu konsumieren ist ein Prozess und kein starres Korsett, in das man sich, wenn man es versucht, sofort und ausnahmslos und für immer pressen muss. Ich muss dazu stehen, wenn ich Kleidung nur gebraucht kaufe, aber zu Weihnachten nach Italien fliege. Integrität heißt nicht, komplett frei von Widersprüchen zu sein. Wichtiger ist es, den Mut zu haben, sich auch kritisch mit den eigenen Entscheidungen auseinanderzusetzen. Empör dich auch mal über dich selbst! Und dann kann man sich immer weiter sortieren, mal verzeihen und Diskussionen führen, wie bewusstes Verhalten und Gewohnheiten zusammenpassen.
Keine Gutmenschen-Almosen, sondern das wesentlichen Prinzip von ethischem Konsum: dem Teilen.
Drittens: Ethisches Konsumieren ist nur meine Sache. Bei sich selbst anfangen ist gut, aber sich moralisch oder praktisch darauf auszuruhen, das geht leider nicht. Denn ethisches Konsumieren muss noch viel politischer und sozialer werden. Zum Beispiel kann der Druck von Konsumentenseite größer sein. Mit großer Kraft kommt große Verantwortung, sagt Peter Parkers Onkel Ben (Spider Man). Boykottiert Nestlé (Kauf von umfangreichen Wasserrechten), Zara (Plagiatsvorwürfe), Fast Fashion und was weiß ich noch alles. Wenn der Kunde König ist, ist der Konsument ein verdammt mächtiger Diktator. Glaubt ein bisschen mehr an David und hört auf, Angst vor Goliath zu haben! Meckern über die Bioladen-Einkäufer bringt nichts. Es erleichtert vielleicht kurz euer eigenes schlechtes Gewissen. Meckert lieber darüber, dass die Sozialleistungen zu niedrig sind, um zumindest die Wahl zu haben, wo eingekauft werden soll. Das geht! Dafür müssen wir uns zusammentun.
Wenn es am Ende des Tages nicht mehr für den Protest reicht, dann kann man immer noch eine Extraportion mitkochen und dem Rentner-Nachbarn geben oder Klamotten, die man nicht mehr trägt, verschenken. Das sind keine Gutmenschen-Almosen, sondern gehört zu einem wesentlichen Prinzip von ethischem Konsum: dem Teilen.
Lisa Neal ist seit sie fünf ist Vegetarierin, hat aufgehört zu rauchen und macht viel Sport. Ansonsten ist sie auch ziemlich langweilig. Immerhin bringt sie die Bio-Kekse von ihrer Oma mit in die fluter-Redaktion.
Collagen: Renke Brandt