Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat sich vergangenes Jahr schon durch eine Anspielung auf dieses Buch einen Shitstorm eingehandelt. „Wir planen gerade, wie man eine Pipeline in die Luft jagt“, sagte sie lachend in einem Instagram-Video. Später löschte sie den Post und erklärte im Ernst, sie wolle natürlich nur verhindern, dass noch mehr Pipelines gebaut werden.
In dem besagten Sachbuch „How to Blow Up a Pipeline“ (auf Deutsch: „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“) des schwedischen Humanökologen Andreas Malm geht es allerdings um mehr als eine Metapher. Statt einer Anleitung zum Angriff auf fossile Energieträger liefert Malm eher eine Herleitung. Seine – durchaus umstrittene – These: Soziale Bewegungen haben schon oft Sabotage, also die Zerstörung wirtschaftlicher Infrastruktur, als Protestform eingesetzt – und der Klimaaktivismus sollte das auch.
Malm erinnert zum Beispiel an die Suffragetten, die vor über 100 Jahren beim Kampf für das Frauenwahlrecht Fensterscheiben von Geschäften kaputt schlugen und Briefkästen sprengten. Er argumentiert, dass Protestbewegungen zum Sand im Getriebe werden sollten, weil es trotz der erhöhten medialen Aufmerksamkeit, trotz der erdrückenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und trotz der mittlerweile auch global sichtbaren Verschärfung der Klimakrise in den vergangenen beiden Jahren weltweit die höchsten CO2-Emissionen der Geschichte gab. In der aktivistischen Praxis beziehen sich die „Tyre Extinguishers“, die geparkte SUV mit platten Reifen zurücklassen, schon direkt auf Malm. Kritiker*innen werfen dem Wissenschaftler von der Universität Lund gar vor, er könne mit seinen Ideen einen neuen Linksterrorismus inspirieren.
Eine linksradikale Version von „Ocean’s Eleven“
Der US-amerikanische Regisseur Daniel Goldhaber, der Drehbuchautor Jordan Sjol und die Schauspielerin und Drehbuchautorin Ariela Barer jedoch finden Malms Argumente überzeugend. Sie hätten sein Sachbuch als Dokumentarfilm adaptieren können: mit Interviews, Fakten zur Klimakrise und einem Exkurs zur Geschichte sozialer Bewegungen. Stattdessen ist ihre fiktionale Vision von „How to Blow Up a Pipeline“ einer der spannendsten Kinothriller seit Jahren geworden; die Art von Film, bei dem sich Zuschauende den Gang zur Toilette versagen und in dessen leisen Szenen man eine Stecknadel im Saal fallen hören könnte. In körnig-rauen 16-mm-Bildern und nach der Dramaturgie eines klassischen Heist-Movie zeigt der Film eine Gruppe von Menschen, die an einem komplizierten illegalen Plan arbeiten. Man könnte „How to Blow Up a Pipeline“ auch als linksradikale Version von „Ocean’s Eleven“ bezeichnen. Nur dass es hier nicht um einen Raubüberfall von kriminellen Masterminds auf ein Casino geht, sondern um die ökologisch motivierte Sabotage einer Ölpipeline in Texas.
Malms Überzeugung, dass die fossile Infrastruktur zum Ziel eines wirkungsvolleren Klimaprotests werden muss, ist also der common sense der Gruppe. Während die Beteiligten sich in einer Hütte in der texanischen Wüste zusammenfinden, um Sprengsätze herzustellen und das Gelände zu erkunden, erzählen elegant verschachtelte Rückblenden von ihrer individuellen Radikalisierung. Da ist die Studentin Xochitl (gespielt von Co-Autorin Barer), deren Mutter während einer Hitzewelle in Kalifornien verstarb. Der indigene Bombenbastler Michael aus North Dakota und der texanische Arbeiter Dwayne, deren Land jeweils zugunsten von Ölfirmen enteignet wurde. Oder der Filmstudent Shawn, dem aktivistische Umweltfilme einfach nicht mehr genug sind.
Im Gegensatz zu anderen Spielfilmen über linke Bewegungen, die oft die Gewaltfrage ins Zentrum stellen und dann eine gemäßigte Position einnehmen, macht sich „How to Blow Up a Pipeline“ die radikale Haltung seiner Figuren zu eigen. Das Warum stellt der Film nie infrage. Eine solche Botschaft wie ein trojanisches Pferd in einen handwerklich und schauspielerisch hervorragenden Thriller hineinzuschmuggeln wird sicherlich kontroverse Reaktionen hervorrufen: Hat Daniel Goldhaber einen Propagandafilm gemacht – oder streitbare politische Kunst? Die Strategie dürfte klimabewusste Menschen jedenfalls auf einer viel direkteren emotionalen Ebene ansprechen als ein Sachbuch mit rationalen Argumenten. Undifferenziert ist der Film trotzdem nicht. Was Sabotage von Terrorismus unterscheidet, wie die Gefährdung von Menschenleben vermieden werden kann und welche Folgen solche Aktionen haben – für die Aktivist*innen, die Unternehmen und die unbeteiligte Bevölkerung: Das alles diskutiert „How to Blow Up a Pipeline“ in Wort und Bild. Das Versprechen des explosiven Titels löst der Film allerdings deutlicher ein als die Buchvorlage.
„How to Blow Up a Pipeline“ ist ab dem 8. Juni in den deutschen Kinos zu sehen.
Bilder: Fugu Filmverleih