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Von wegen Traumjob

Gerade für junge Menschen scheint die Filmbranche nicht mehr den Glanz von einst zu versprühen. Woran liegt das? Und wie können Jobs hinter der Kamera wieder attraktiver werden?

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Filmklappe

„Das war wirklich extrem.“ Die Produzentin Roxana Richters sitzt in einem belebten Café in Berlin-Kreuzberg und erzählt von ihrem nächsten Kinofilm, Drehstart ist in drei Wochen. Seit vier Jahren arbeitet die 33-Jährige bei der kleinen Berliner Produktionsfirma Chromosom Film, und eigentlich wirkt sie so, als könne sie so leicht nichts aus der Ruhe bringen. Die Personalsuche für das Spielfilmprojekt aber hat sie einige Nerven gekostet. Das Projekt hat Regionalförderung erhalten, was bedeutet, dass in dem entsprechenden Bundesland ein Mindestbetrag ausgegeben werden muss, zum Beispiel für Personal. „Und natürlich wäre es schön, wenn wir viele Teammitglieder von dort hätten. Aber es gab einfach nicht genügend ausgebildetes Personal, das zur Verfügung stand. Irgendwann haben wir gemerkt: Es funktioniert nicht, wir müssen unser Team aus mehreren Bundesländern zusammensuchen.“

Dass die Filmindustrie inzwischen in so gut wie jedem Gewerk hinter der Kamera nach Fachkräften sucht, ist längst kein Geheimnis mehr. Die Produzentenallianz, einer der beiden großen deutschen Produzentenverbände, hat dazu im Sommer 2022 bei über 100 Produktionsunternehmen eine Umfrage durchgeführt. Das Ergebnis: Im Produktionsbereich, der für alle organisatorischen und finanziellen Fragen bei einem Filmprojekt zuständig ist, sind die Nachwuchssorgen besonders groß. Hier haben in den Gewerken der Aufnahmeleitung und der Produktionsleitung gut 50 Prozent der Produktionsunternehmen einen großen bis sehr großen Mangel angegeben, in der Filmgeschäftsführung sind es sogar 60 Prozent. Aber auch in technischen Bereichen wie Editing oder Ton fehlt es an Personal.

Einer der Gründe für den akuten Mangel ist dabei einfach die gestiegene Nachfrage nach audiovisuellen Inhalten, besonders seitdem Streamingdienste wie Netflix oder Amazon zunehmend in Deutschland produzieren. 

„Als Aufnahmeleiter bist du als Erster und Letzter am Set“

Für Berufseinsteiger*innen ist das erst einmal eine attraktive Ausgangsposition. Gerade weil an vielen Stellen das Personal fehlt, bekommen auch junge Menschen mit verhältnismäßig geringer Erfahrung schnell Jobs angeboten, die relativ verantwortungsvoll und gut bezahlt sind. Gleichzeitig bedeutet die hohe Verantwortung auch großen Druck. Den verspürt auch Joscha Stracke. Er ist 29 und befindet sich gerade in den letzten Zügen seines Studiums in Film- und Fernsehproduktion an der Filmuniversität Babelsberg. Parallel dazu hat er bisher vor allem als Aufnahmeleiter gearbeitet, also auf einem der Posten, die auf der Mangelliste der Produzentenallianz ganz oben stehen: „Ganz ehrlich, das ist ein Knochenjob. Als Set-Aufnahmeleiter bist du als Erster und Letzter am Set, den ganzen Tag auf Abruf, musst für alle aufkommenden Probleme Lösungen finden und trägst die Verantwortung, auch für die Sicherheit.“

Er erinnert sich an einen Drehtag mit 70 Kompars*innen, als er einem Hauptdarsteller hinterherlaufen musste, der plötzlich das Set verlassen hatte, weil ihm das Catering nicht schmeckte. „Du hast den ganzen Tag mit Menschen zu tun, die überarbeitet, übermüdet und deshalb manchmal auch unfreundlich sind. Das musst du alles abfedern, das landet ja nicht bei der Regie.“ Langfristig hätte Joscha Lust, als Producer Projekte länger und inhaltlich zu begleiten. In der Position seien zudem Festanstellungen üblicher und deshalb der Druck nicht so hoch, sich während eines laufenden Projekts schon nach dem nächsten umzusehen.

Spätestens seit der Corona-Pandemie, während der viele Filmschaffende erwerbslos waren, weil die Branche in Zeiten von Drehstopps keine dauerhafte Beschäftigung gewährleisten konnte, ist die Kritik an den prekären Strukturen und den schwierigen Arbeitsbedingungen gestiegen. Wie für Joscha sind für viele in seinem Arbeitsfeld Überstunden, Wochenend- und Nachtdrehs die Regel, und sehr intensive Drehperioden wechseln sich ab mit Leerlauf bis zum nächsten Projekt. „Das schreckt auch junge Kollegen ab“, so Hikmat El-Hammouri, Gewerkschaftssekretär der FilmUnion Berlin-Brandenburg von ver.di. „Das wissen wir von Infoveranstaltungen, die wir für Studienanfänger an den Filmunis geben. Ein ganz großer Punkt sind da Ängste in Bezug auf die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf.“ 

Bei den nächsten Tarifverhandlungen sollen die Arbeitszeiten wieder auf die Tagesordnung

Was die Arbeitsbelastung angeht, sind laut El-Hammouri in den vergangenen Jahren zumindest einige Verbesserungen zu verzeichnen: „So extreme Arbeitszeiten wie noch vor 15 Jahren sind nicht mehr üblich, sicher sind sie aber noch immer zu lang.“ Inzwischen sind Zuschläge für Wochenendarbeit vorgesehen und zwei aufeinanderfolgende Ruhetage mindestens dreimal im Monat. Bei den nächsten Tarifverhandlungen sollen auch die Arbeitszeiten wieder auf der Tagesordnung stehen, „denn die sind auch bei jungen Menschen Thema“, so El-Hammouri.

Roxana Richters berichtet ebenfalls von einem wachsenden Bewusstsein bei diesen Fragen: „Wir bemühen uns wirklich um normale Arbeitszeiten. Alles andere macht langfristig keinen Sinn, weil die Leute einfach irgendwann ausgebrannt sind.“ Allerdings sei das auch eine finanzielle Herausforderung, denn kürzere Drehtage bedeuten insgesamt längere Dreharbeiten, und jeder Drehtag kostet eine Menge Geld. Unter dem Strich werden Produktionen dadurch teurer – und das bei einem eng kalkulierten Budget. Letztlich kommt es laut Richters auf die Verteilung der Finanzierungsmittel und Fördergelder an und ist somit auch eine politische Frage.

Ähnlich wird das auch bei ver.di gesehen: „Die Produktionsfirmen“, so El-Hammouri, „stehen unter extrem viel Druck, hier sind genauso die Förderanstalten, öffentlich-rechtlichen Sender und Streamingdienste in der Verantwortung. Es muss ein Umdenken in der gesamten Filmindustrie stattfinden.“ Sprich: Wenn sich alle einig sind, dass Filmschaffende besser behandelt werden müssten, sollten sich auch alle Branchenakteure an den Mehrkosten beteiligen.

„Egal wie du es drehst und wendest, ist es immer noch ein anstrengender Job“

Dass die Arbeit beim Film bald zum Nine-to-five-Job wird, glaubt aber keiner, auch nicht Roxana Richters: „Egal wie du es drehst und wendest, ist es immer noch ein anstrengender Job. Wenn du eine Szene hast, die nachts spielt, dann musst du halt in der Nacht drehen.“ Gleichzeitig haben die anstrengenden Hochphasen für Richters auch etwas Positives: Man arbeitet eng im Team, lernt neue Orte und Menschen kennen: „Das öffnet schon den Horizont, und das in jedem Department. Wir hatten zum Beispiel einen Dreh in Ghana, da arbeitest du mit den Leuten vor Ort zusammen und sitzt nicht zu Hause vor deinem Computer.“

Inzwischen bemüht sich auch die Filmindustrie selbst immer stärker, das Nachwuchsproblem zu lösen. Die PAIQ, eine Initiative der Produzentenallianz zur Nachwuchsförderung, Aus- und Weiterbildung, hat beispielsweise den „Career Guide Film“ veröffentlicht, der verschiedene Filmberufe vorstellt und Wege in den Job skizziert.

Roxana Richters hat die Initiative „Film macht Schule“ mitgegründet, die Workshops von Nachwuchsfilmschaffenden für Schulkinder organisiert. „Das bietet natürlich auch eine Gelegenheit, den Kindern und Jugendlichen Berufe zu zeigen, denen man nachgehen könnte. Aber in erster Linie soll die Faszination für filmisches Erzählen geweckt werden.“ Während mehrere kleine Produktionsfirmen einen Beitrag zu der Finanzierung leisteten, war es mit der Förderung schwieriger: „Da gab es begrenzt Interesse an solchen Projekten, weil das Fördersystem sich nicht so richtig zuständig fühlte. Das war schon eine Herausforderung, und es wäre natürlich schön, wenn es in dem Bereich mehr Nachwuchsförderung gäbe.“ Richters meint damit nicht nur den eigenen Filmnachwuchs, sondern auch die Zuschauer*innen. Denn wer sich als junger Mensch nicht dafür begeistert, Filme zu schauen, wird als Erwachsener wohl kaum auf die Idee kommen, welche zu machen.

Titelbild: Jan Q. Maschinski

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