Auf Shirin Davids erstem Album spielten Luxusmarken, teurer Schmuck und Geld eine enorm wichtige Rolle. So tanzte die als YouTuberin bekannt gewordene Rapperin in einem Musikvideo vor Louis-Vuitton- und Chanel-Geschenkboxen, nannte einen Song „Brillis“ und rappte Zeilen wie „Mein bester Freund ist Geld, Money-Bags sind die Vibes“. Heute, rund anderthalb Jahre später, muss man auf ihrem aktuellen Album „Bitches brauchen Rap“ länger nach solchen Zeilen suchen. In den neuen Songs wird es tiefgründiger, so geht es zum Beispiel um Feminismus, Empowerment – und um Shirins Werdegang. Und da kommt das Thema Geld doch wieder auf: „Von Struggeln an der Alster mit Sicht auf das Atlantic / zu von meiner Terrasse Ausblick auf den Atlantik / Vom Anstehn in der Schlange mit Mama vorm Hartz-Vier-Amt / zu ich stell Frauen, die zwanzig Jahre älter sind, bei mir an.“
Shirin David ist bei ihrer alleinerziehenden Mutter in Hamburg-Bramfeld aufgewachsen. Das Geld war knapp, wie sie in Interviews verrät. Und das sei auch der Grund, warum sie trotz ihrer neuen Rolle als Neofeministin, die die männlich dominierte Hip-Hop-Szene aufmischt, in ihren Texten immer noch darüber rappt, was sie sich heute alles leisten kann. „Das kommt aus dieser Zeit. Wir hatten einfach für nichts Geld“, sagt sie im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“. „Wenn mir in einem Magazin ein Outfit gefallen hat, dann habe ich es ausgeschnitten und an meine Zimmerwand geklebt. Das war wie ein Moodboard. Wie eine Vision: So soll es später mal sein“, erzählt die Rapperin.
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Ihre Geschichte vom Aufstieg aus der Armut in den Reichtum steht exemplarisch für die Biografien vieler erfolgreicher Rapper: So ist zum Beispiel Capital Bra als Kind mit seiner Familie vor der Armut aus der Ukraine nach Berlin geflohen und wuchs im Stadtteil Hohenschönhausen auf, weit weg von Glanz und Glamour.
RIN, der sich mit der Zeile „Es ist Donnerstag, ich kauf mir Supreme“ in das Gedächtnis vieler Jugendlicher gerappt hat, bezeichnete seine oft protzigen Texte mal als „Komplexbewältigung“. Der Offenbacher Rapper Haftbefehl brach die Schule ab und war im Jugendarrest, heute steht er auf den großen Bühnen deutscher Hip-Hop-Festivals. Auch in seinen Texten geht es oft um Geld und Status wie im Song „Leuchtreklame“: „Ah, statt Zufriedenheit zu zeigen / pack ich lieber lila Scheine in die Tasche von Hermès / Kann mich wieder nicht entscheiden / Hol ich lieber einen weißen oder schwarzen Turbo S?“ Allerdings tauchen auch bei ihm mittlerweile kapitalismuskritische Zeilen auf: „Während Kinder verhungern, sind wir Pelz am Tragen, Ge-Ge-Geld am Sparen, Be-Be-Benz am Fahren.“
Haftbefehl, RIN, Shirin: Sie alle haben es mit ihrer Musik geschafft, sich aus der Armut zu befreien. Auch wenn sie sich in ihren Texten gern als Mitglieder einer „gehobenen Klasse“ inszenieren – was es bedeutet, ausgegrenzt zu werden, wissen sie oft nur zu gut. Schließlich hätten sie selbst oft Klassismus – also Abwertung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozial benachteiligten Klasse – gepaart mit Rassismus erfahren, meint Falk Schacht. Der Journalist gilt als Experte für deutschen Rap und Jugendkultur und sagt: „Die Texte dieser Rapper und Rapperinnen sind eine Art der Kompensation. Viele von ihnen haben schmerzhafte Armutserfahrungen gemacht – also Erfahrungen mit Mangel, die sie heute ausgleichen wollen.“
„Natürlich besteht die Gefahr, dass man solche Texte hört und denkt, dass es wichtig ist, die teuersten Schuhe zu haben“
Andere Rapper bemühen sich hingegen, das „Flexen“ – wie das Angeben und Prahlen genannt wird – ironisch zu brechen. Bei LGoony heißt es: „Brauch keine Rakete, brauch kein Shuttle, denn ich fahr einfach in meinem Bugatti bis zum Mars“ oder „Ich schmeiße lila Scheine durch die Lobby, Birdman, Big Ballin’ is my hobby“. Inspiriert vom US- amerikanischen Hip-Hop, aber auch vom Wiener Rapper Money Boy, fing LGoony an, das Thema Geld und Reichtum in seinen Texten zu überzeichnen. „Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich mit einem Bugatti bis zum Mars fahre, ist ja jedem klar, dass das überspitzt ist“, sagt er im Gespräch. Im Jahr 2014 hatte LGoony seinen Texten zufolge auch schon die Playstation 5 und das iPhone S6, die es damals beide noch gar nicht gab.
LGoony ist sich sicher, dass seinen Hörerinnen und Hörern die Ironie und der Witz seiner Texte bewusst sind. Aber er weiß auch: „Natürlich besteht trotzdem die Gefahr, dass man solche Texte hört und denkt, dass es wichtig ist, die teuersten Schuhe zu haben.“ Aus seiner Sicht ist das mit der Vorbildfunktion in der Musik aber eine komplizierte Angelegenheit: „Es ist auch wichtig, in seiner Kunst frei zu sein und das zu machen, was man will. Wer sich mit mir als Person beschäftigt und zum Beispiel Interviews anschaut, weiß ja, dass ich in meiner Musik als Kunstfigur auftrete.“ Trotzdem widmet er sich jetzt auch etwas anderen Themen, ohne dabei zu vergessen, wofür seine Fans ihn feiern: Auf seiner jüngsten EP, die den Namen „Go Green“ trägt und pünktlich zur Bundestagswahl erschienen ist, betreibt LGoony die Geldzählmaschine mit Windkraft und cruist mit dem Tesla durch die Stadt.
Titelbild: Photopress Müller/IMAGO