fluter.de: Sie geben Tipps, wie man mit Stammtischparolen umgehen kann. Was sind denn überhaupt solche Parolen? 

Klaus-Peter Hufer: Stammtischparolen sind selbstgerechte, selbstherrliche, oft rassistische oder fremdenfeindliche Sprüche, die überall im Alltag vorkommen. Meistens kommen sie plötzlich und unerwartet und werden fast diktatorisch vorgetragen, also nicht mit der Absicht, sich auf eine Diskussion einzulassen. 

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Haben Sie ein Beispiel? 

Über Jahre hinweg war der gängigste Spruch: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ Mittlerweile sind auch solche Sprüche hoch im Kurs: „Die Flüchtlinge sind gar nicht wirklich in Gefahr in ihrer Heimat, sie plündern unseren Sozialstaat. Wieso haben die alle ein Smartphone?“ Im Allgemeinen geht es immer um Gruppen, gegen die da gehetzt wird. Das sind „die Ausländer“, „die Muslime“, „die Obdachlosen“, „die Homosexuellen“, „die Juden“, aber auch „die Politikerinnen und Politiker“. Und diesen Gruppen wird unterstellt, es ginge eine Bedrohung von ihnen aus.

Woher nehmen Sie diese Beispiele?

Das sind Parolen, die ich aus etwa 300 Trainings und Vorträgen seit 2001 kenne, sie werden mir von den Seminarteilnehmern und -teilnehmerinnen mitgeteilt. Die sind – wenn Sie wollen und wir den Begriff großzügig auslegen – empirisch gesichert. Und es gibt Literatur, die die Validität der Stimmungen hinter den Sprüchen belegt, beispielsweise die zehn Bände „Deutsche Zustände“ von Wilhelm Heitmeyer. Dort werden rechtspopulistische Einstellungen detailliert belegt.

„Man kann auch durchaus mal eine Brücke bauen, indem man sagt: Ja, die Welt verändert sich, auch ich bin nicht immer mit allem einverstanden“

Man kann solche Sprüche ja auch in der Familie hören. Wie geht man am besten damit um – klassisches Beispiel: beim Mittagessen mit Oma und Opa?

Das Problem besteht darin, dass man die Oma ja mag. Da will man jetzt keine aggressive Kontrastellung einnehmen. Am besten fragt man einfach konsequent nach: Woher weißt du das denn? Hast du so was schon erlebt? Betrifft das wirklich alle Ausländer? Was ist denn mit dem türkischen Gemüsehändler, zu dem du immer gehst? Man muss diese allgemeine Gültigkeit, die diese Aussagen vorgaukeln, auflösen und konkret werden. 

Das klingt nach einem harten Verhör. 

Man kann auch durchaus mal eine Brücke bauen, indem man sagt: Ja, die Welt verändert sich, auch ich bin nicht immer mit allem einverstanden. Dann kann man die Frage stellen, was die Alternative wäre. Oder man stellt sich einfach dumm: Oh, ich habe so was noch nicht erlebt, erzähl mal, woher du das weißt. Ich finde aber, wenn jemand wirklich einfach nur aggressiven Rassismus von sich gibt, muss man auch entsprechend hart kontern. Das wird die Oma jetzt vielleicht nicht machen. 

Stammtischparolen

Wie verhalte ich mich denn Fremden gegenüber, die Stammtischparolen von sich geben?

Da gibt es ein tolles Beispiel, von dem ich immer in Seminaren erzähle: In der Straßenbahn saß ein in Deutschland sehr renommierter Professor, der zum Thema Rechtsextremismus forscht. In der Straßenbahn saßen auch zwei ältere Frauen und noch weitere Menschen. Der Professor wurde Zeuge eines Gesprächs, in dem die beiden sehr lautstark und provokativ fremdenfeindliche Sprüche von sich gaben. Alle saßen da und schwiegen, und er saß da auch und sagte im Nachhinein: „Mir ist dazu nichts eingefallen.“ Und der hatte ja alle Rechtsextremismus-Theorien im Kopf. Aber er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Beim Aussteigen ist er dann zu den beiden hin und hat gesagt: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen Preis gewonnen.“ „Was für einen Preis?“, haben die Frauen gefragt. „Den Preis dafür, dass man zwischen zwei Haltestellen so viel Blödsinn erzählen kann.“ Ich will damit jetzt nicht sagen, dass das eine geeignete intellektuelle Konfrontation ist. Ich will nur deutlich machen, dass diese Blockade normal und nicht einfach zu überwinden ist. Und die Pointe der Geschichte ist: Die Menschen in der Bahn fingen an zu klatschen. Jede Reaktion ist besser als keine Reaktion. 

Das klingt aber nicht besonders entschieden und lösungsorientiert. 

Man darf in so einer kurzen Begegnung keine Wunderdinge erwarten. Aber das Nachdenken ist ja mit dem Ende des Gesprächs nicht zu Ende – so eine Auseinandersetzung wirkt noch nach. Wichtig ist ein authentischer Auftritt. Man muss standhaft nachfragen. Es gibt da einen schönen Satz: „Belehrung kommt gegen Erfahrung nicht an.“ Und die Erfahrung zu machen, dass jemand, der sich mit meiner „Feindgruppe“ solidarisiert, trotzdem sympathisch und souverän auftritt, das schafft Irritation. Damit kann man schon einiges erreichen.

„Das Internet ist ein öffentlicher Platz geworden, wenn man da den Falschen das Feld überlässt, dann entsteht eine ewige Schleife der Selbstbestätigung“

Die beiden Damen in der Straßenbahn wurden durch den Auftritt aber sicher nicht von ihrer Meinung abgebracht. Wäre das nicht das eigentliche Ziel? 

Das erste Ziel ist es, für einen selbst was zu tun. Es ist ein dämliches Gefühl, sich so etwas anzuhören und nichts dagegen zu unternehmen. Das zweite Ziel ist, dass man sagt: Nein, stopp, dies ist eine demokratische Gesellschaft, und die verteidige ich. Der dritte Punkt ist, diejenigen zu motivieren, die noch zugegen sind. Außerdem gibt es von der verbalen zur physischen Aggressivität einen fließenden Übergang. Der muss gestoppt werden – das wäre Punkt vier. Erst der letzte Punkt ist es, diejenigen, die sich so äußern, von einer anderen Sicht der Dinge zu überzeugen.

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Klaus-Peter Hufer

Klaus-Peter Hufer hat ein Training gegen Stammtischparolen entwickelt. Er ist außerplanmäßiger Professor an der Universität Duisburg-Essen

Gibt es Situationen, in denen es auch besser ist, nichts zu sagen?

Ganz klar: wenn es gefährlich wird. Wären diese beiden alten Damen vier bedrohlich aussehende junge Männer gewesen, wäre es definitiv besser, die Klappe zu halten. Da kann man höchstens flüsternd dem Nachbarn sagen, dass man das nicht gutheißt. Es gibt übrigens auch Gespräche, die man nicht führen darf: Wenn jemand sagt, Auschwitz sei eine Lüge. Da ist rigorose Abgrenzung erforderlich. So ein Gespräch muss ich sofort abbrechen und mich gar nicht erst auf eine Diskussion einlassen.

Welche Möglichkeiten habe ich zum Beispiel auf Facebook, wo das Ganze schriftlich in Kommentarfeldern und öffentlich stattfindet?

Unbedingt kommentieren. Der nächste Schritt wäre: Ich setze mich jeden Abend eine Stunde hin und antworte auf solche Parolen. Das reichen drei Worte, wie zum Beispiel: „Das ist Quatsch.“ Ich kenne junge Leute, die das machen. Das imponiert mir sehr. Das Internet ist ein öffentlicher Platz geworden, wenn man da den Falschen das Feld überlässt, dann entsteht eine ewige Schleife der Selbstbestätigung. 

Wie überprüfen Sie den Erfolg Ihrer Trainings? Ist das überhaupt möglich?

Da kann ich mich nur auf die Plausibilität meiner Begründung und die positiven Reaktionen der zahlreichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen bei den Veranstaltungen verlassen. Ich habe nach den Veranstaltungen immer wieder Rückmeldungen bekommen, dass „es so klappt“, mit Stammtischparolen umzugehen. 

Illustrationen: Raúl Soria