Gabi Waldhofs neuer Job kam bei manchen Freunden gar nicht gut an. Ob sie jetzt etwa mit der Agrarindustrie unter einer Decke stecke? Oder ihren Freundeskreis missionieren wolle? Dabei, sagt Waldhof, mache sie einfach nur ihre Forschungsarbeit, möglichst objektiv, auf Basis von Fakten.
Gabi Waldhof ist Sozialwissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung (IAMO). Sie will wissen, was die Menschen in einer Gesellschaft für Ansichten haben, wie sie zusammenleben und wie sie miteinander reden. Dafür macht sie Umfragen, analysiert Texte oder Posts in den Sozialen Medien. Zu ihrem derzeitigen Forschungsthema hat fast jeder eine Meinung: meist eine starke, oft eine negative. Es geht um die grüne Gentechnik – jene Methoden also, mit denen Wissenschaftler das Erbgut von Nutzpflanzen gezielt so verändern, dass sie bestimmte Eigenschaften mit sich bringen. Das kann mehr Widerstandskraft gegen Schädlinge sein oder auch mehr von einem bestimmten Vitamin in einem Reiskorn.
Der Glaubenskrieg um grüne Gentechnik
Befürworter sehen die grüne Gentechnik als ultimative Lösung gegen Hunger oder Naturzerstörung. Gegner fürchten hingegen um die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt und dass große Saatgutunternehmen kleine Bauern mit patentiertem Saatgut abhängig machen könnten. Dazwischen scheint es in öffentlichen Diskussionen wenig Raum zu geben.
„Mich hat überrascht, wie viel Frust und Emotionen ich auf beiden Seiten erlebt habe“, erzählt Waldhof. Statt einer Diskussion finde eher ein Glaubenskrieg statt: Egal ob Wissenschaftler oder interessierte Bürgerinnen, Gentechnikbefürworter oder -kritikerinnen, alle wollten immer nur darüber reden, ob Gentechnik an sich gut oder schlecht sei, berichtet Gabi Waldhof. Manche Veranstaltungen zur grünen Gentechnik endeten in lautem Streit.
Als grüne Gentechnik bezeichnet man gentechnische Verfahren an Pflanzen. Mit verschiedenen Methoden kann direkt in das Erbgut von (Nutz-)Pflanzen eingegriffen werden, um etwa einzelne Gene auszuschalten oder ganz neue Gene in das Erbgut einzuschleusen. So können gezielt bestimmte Eigenschaften der Pflanze verändert werden. Ziel ist etwa eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge, Spritzmittel oder Trockenheit. Andere Anwendungsbereiche der Gentechnik gibt es u.a. in der Medizin oder Industrie („rote“ und „weiße“ Gentechnik).
Kritikerinnen und Befürworter reden aneinander vorbei – das hat Waldhof in ihren Analysen gesehen. Sie sprechen noch nicht einmal über Gentechnik, sondern über die Werte und die Moral, die für sie damit verknüpft sind. Und sobald sich eine Diskussion um die Moral dreht, sind die anderen nicht nur anderer Meinung – sondern schlechte Menschen. Waldhof hat Aussagen von beiden Seiten in über 4.000 Textstellen ausgewertet. Die darin angeführten Argumente hat sie auf sechs „moralische Werte“ geprüft. „So spielt aufseiten der Kritiker eine große Rolle, dass der Mensch nicht mit Agrogentechnik in die Natur eingreifen soll: Gentechnik gefährde die Reinheit und Unversehrtheit der Natur. Befürworter halten dagegen: Gentechnik stelle kein Risiko für die Natur dar, sondern könne ihr sogar nutzen. Besonders häufig appellieren beide Seiten an den Wert „Schutz“. Auf der Kritikerseite etwa Eltern, die ihre Kinder vor gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln schützen möchten. Die Befürworter behaupten oft genau gegenteilig, dass sich aus gentechnisch optimierten Pflanzen gesündere Nahrungsmittel machen lassen. „Eigentlich wollen beide Seiten gesunde, umweltschonende Lebensmittel, von denen auch ärmere Menschen in Entwicklungsländern profitieren“, sagt Waldhof. Sie könnten sich nur nicht einigen, ob Gentechnik dafür das Mittel ist.
Ein Problem mit moralischen Überzeugungen ist, dass sie oft eng verknüpft sind mit einer Gruppenidentität – die um jeden Preis verteidigt wird, auch gegen Fakten und vernünftige Argumente. Gabi Waldhof sagt, sie habe auf beiden Seiten „moralischen Absolutismus“ nachgewiesen. „Damit ist eine Einstellung gemeint, die für sich selbst einen so hohen Wert hat, dass die Konsequenzen egal sind.“ Es werden dann alle Argumente gesammelt, die irgendwie die eigene Position stärken. „Um in der Diskussion weiterzukommen, müssen beide Seiten diesen Absolutismus aufgeben. Beide müssten sich auf ihre eigentlichen Ziele fokussieren – und anerkennen: Gentechnik ist kein Ziel an sich, sondern ein mögliches Mittel für bestimmte Zwecke.“
Gentechnik kann auch zur Biodiversität beitragen
Auch der Agrarwissenschaftler Urs Niggli weiß, wie hart um die Gentechnik gekämpft wird. Jahrelang war er als Direktor des schweizerischen Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) einer ihrer lautesten Kritiker. „Viele Argumente, die noch heute gebracht werden, habe ich damals entwickelt.“ Aber je mehr wissenschaftliche Erkenntnisse gesammelt wurden, desto mehr Zweifel hatte Niggli am Schwarz-Weiß-Denken über Gentechnik. Nach außen aber war seine Haltung klar: dagegen.
Für viele Menschen ist Gentechnik untrennbar verknüpft mit großen Agrarkonzernen und riesigen Monokulturen. Doch das muss nicht sein, findet Niggli heute. „Monokulturen sind nie nachhaltig. Auf die Vielfalt kommt es an! Wir brauchen Vielfalt in der Fruchtfolge, in den Sorten, in den Anbaumethoden. Und ein Teil dieser Vielfalt kann auch die Gentechnik sein.“ Denn noch immer bringt etwa der Biolandbau weniger Ertrag auf gleicher Fläche, erklärt Niggli „Deshalb bleibt er leider eine Nische, so gut er für die Umwelt auch sein mag.“ Darum träumt Urs Niggli von einem ganz neuen ökologischen Weg mit den besten Methoden aus beiden Welten.
Mehr zu Genen und den moralischen Fragen, die ihre Erforschung aufwerfen, lest ihr im fluter-Heft zum Thema Gene
Im direkten Gespräch zeigten sich zwar viele auf der Bioseite offen, berichtet Niggli, doch öffentlich dazu stehen würden sie nicht – zu viele Interessen hängen an der scharfen Kritik der Gentechnik. Biobauern nutzen sie als Verkaufsargument, NGOs sammeln damit Spenden. Als Niggli im Jahr 2016 mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit ging, wendete sich die Bioszene gegen ihn. Letztlich musste er seinen Posten als FiBL-Direktor räumen.
Nun hofft er auf den Weg in der Mitte, bei dem gentechnisch veränderte und nicht veränderte Pflanzen koexistieren und alle Beteiligten zusammenarbeiten. Nicht für die beste Ideologie, sondern für die besten Ergebnisse für Umwelt, Bauern und Verbraucher. Auch Gabi Waldhof sieht Chancen, dass beide Seiten zusammenkommen. „Dafür gibt es aber eine Grundvoraussetzung: der Wille, miteinander Lösungen zu finden.“ Vielleicht lässt sich so die Welt retten – gemeinsam eben.