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Ein Ort schöner Begegnungen

Können eine Massage oder ein Henna-Tattoo zu einem „guten und herrschaftsfreien“ Leben beitragen? Zu Besuch im Leipziger Grand Beauty Salon, wo genau das geschehen soll, interkulturell und bei Bedarf auch kostenfrei

Grand Beauty Salon

„Spread more Beauty“, steht in roter Schrift im Eingangsbereich einer Villa im Leipziger Stadtteil Grünau. Ein dunkelblaues Sofa, ein Tisch mit Tee und kleinen Snacks, wallende Gardinen und Lichterketten: Man könnte meinen, gerade einen hippen Wellness-Salon betreten zu haben. Dabei geht es im Grand Beauty Salon um das genaue Gegenteil. Jeder darf sich hier die Haare schneiden oder die Nägel lackieren lassen – und muss dafür noch nicht mal zahlen. Die Idee: ein „radikal vielfältiger Schönheitssalon“, in dem sich Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte begegnen und solidarisch miteinander umgehen.

Aber wie kann eine Massage oder ein Henna-Tattoo wirklich zu einem „guten und herrschaftsfreien“ Leben beitragen, wie es der Grand Beauty Salon verspricht? „Schönheit ist weit, Schönheit ist vielfältig, Schönheit kennt keine Grenzen“, sagt Frauke Frech. Sie ist Künstlerin und hat 2014 das Konzept von „Grand Beauty“ entwickelt. Erst in Augsburg, später dann in Leipzig hat sie verschiedene Projekte und Pop-up-Beauty-Salons initiiert.

„Damals gehörte Augsburg zu den Städten, deren Einwohner etwa zur Hälfte einen Migrationshintergrund hatten beziehungsweise Ausländer waren, und ich hatte bereits Haareschneiden als skulpturale künstlerische Praxis in meinem eigenen Repertoire“, erzählt sie. Interkulturalität sieht sie als großen Zugewinn in der Beautybranche. „Es gibt lokaltypische Praktiken, die es anderswo nicht gibt, und es gibt Praktiken, die gibt es überall.“ Ein typisches Augen-Make-up im arabischen Raum könne sich von dem gängigen Make-up hierzulande unterscheiden. Die Vielfalt liefere Inspiration, außerdem suchten fast alle Menschen Schönheitssalons auf, unabhängig von Geschlecht oder Alter, wenn auch in unterschiedlicher Häufigkeit. Anders als in anderen Salons geht es beim Grand Beauty Salon also nicht in erster Linie um eine bezahlte Dienstleistung, sondern um eine schöne Begegnung – und das zwischen Personen und Communitys, die sich im Alltag vielleicht eher nicht über den Weg laufen.

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Grand Beauty Salon
In dieser verwunschenen Villa fand der Grand Beauty Salon im Herbst 2022 ein Zuhause. Derzeit ist er übergangsweise in einem Jugendzentrum beheimatet

Fast jeden Freitagnachmittag öffnen die Salontüren, und alle, die Lust auf Gespräche und Make-up, eine Massage oder eine neue Frisur haben, sind eingeladen vorbeizukommen. Ohne Termin, ohne Anmeldung, gratis oder, wer mag, gegen eine Spende.

Finanziert wird das Ganze durch Förderer und Sponsoren. Einige der Beauty Experts – so nennen sich die, die hier schminken, schneiden, frisieren, massieren – sind auf Minijob-Basis angestellt. Viele haben noch keine Arbeitserlaubnis und können im Grand Beauty ehrenamtlich ihrem Beruf nachgehen. Falls gewünscht, können die Erfahrungen hier auch als Praktikum angerechnet werden.

Kaum bin ich als Reporterin vor Ort, werde auch ich auf einen der Stühle vor einem großen Spiegel gesetzt, neben einen jungen Mann, der gerade von einem anderen jungen Mann die Haare geschnitten bekommt. Jessica Lopez kommt aus Mexiko, ist erst seit kurzem Teil des Teams und fragt mich, wie sie mich schminken darf. „Ich bin für alles bereit“, erwidere ich. „Dann kriegst du jetzt einen dramatischen Look“, sagt sie lachend und greift zu den Pinseln. „Ich finde, hier in Deutschland ist ein Friseurbesuch sehr teuer, und danach sieht es oft nicht mal gut aus“, sagt Lopez mit humorvoller Empörung. Von Bekannten habe sie vom Grand Beauty Salon gehört, wo man für wenig oder kein Geld, aber trotzdem mit einem großartigen Ergebnis rausgehe.

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Linda wird geschminkt
Gutes Make-up, noch bessere Gespräche: Unsere Autorin wird geschminkt

Eigentlich hat Jessica Lopez Kommunikationswissenschaften studiert, doch bereits in Mexiko belegte sie Make-up-Kurse. Davor habe sie schon gerne gemalt, und Make-up sei für sie eine ganz ähnliche Kunstform, erzählt sie. Während sie mir mit faszinierend ruhiger Hand verschiedene Blautöne rund um meine Augen aufträgt, wird unser Gespräch immer privater. Ich war zwar noch nicht in Mexiko, habe aber viel Zeit in anderen lateinamerikanischen Ländern verbracht. Was mögen wir an der jeweils anderen Kultur? Und wie läuft Dating hier und dort ab? Immer wieder setzt sie den Pinsel ab, und wir lachen herzlich. Es fühlt sich natürlich an, und trotzdem bin ich danach überrascht, wie sehr ich mich einer mir unbekannten Person geöffnet habe.

Als ich fertig bin, komme ich ins Gespräch mit Frida, die vor mir geschminkt wurde. Sie verbringt noch etwas Zeit im Eingangsbereich mit anderen Besucher:innen und den Beauty Experts. Frida heißt eigentlich anders, aber ihren echten Namen möchte sie nicht nennen.

„Ich fühle mich geschminkt wie ein komplett anderer Mensch“, sagt sie. Normalerweise schminke sie sich gar nicht. Nicht mal mit einem Lidstrich, beteuert sie. Das habe mit ihrem Trauma zu tun: „Ich habe in meiner Kindheit ganz furchtbare Gewalt erlebt und bin für die Männer geschminkt worden“, sagt sie mit wackeliger Stimme. „Und deshalb war Schminken für mich immer untrennbar mit diesen Erinnerungen verbunden.“ Doch im Grand Beauty Salon versuche sie, parallel zu ihrer Therapie, einen neuen Zugang zu Make-up und ihrer eigenen femininen Seite zu finden. Die Begegnungsstätte tue ihr gut. „Einige aus dem Team hier haben in der Vergangenheit zwar auch Gewalt erlebt, aber hier steht weder die Gewalt noch die Gewaltverbergung im Vordergrund“, sagt Frida.

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Eine Frau bekommt vor dem Salon die Haare geflochten
Konkrete Cornrow-Kompetenz findet sich ebenfalls im Salon

2021 hat der Grand Beauty Salon den „Power of the Arts“-Award gewonnen, ein Preis, der an Kunst- und Kulturprojekte vergeben wird, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen. Das Konzept des Salons soll nun auch in andere Städte gebracht werden. Frauke Frech und ihr Team schreiben bereits an einem Methodenhandbuch. Es gäbe schon ein Team in Großbritannien, mit dem sie in Kontakt stünden. Man könne die Idee auch noch weiterdenken: „Wenn sowieso die Zugänge zum Arbeitsmarkt erleichtert werden sollen, wäre es ein toller Ansatz, wenn man lokale Friseurmeisterinnen mit zugewanderten Schönheitsexpertinnen in einem leer stehenden Friseursalon zusammenbringen würde.“

Zu Ibtissam Zaher wollen heute viele. Trotzdem nimmt auch sie sich zwischendurch Zeit für mich und meine Haare. Sie erzählt mir, dass sie 2015 ihre Heimat Libyen verlassen musste. Dort hatte sie zuvor viele Jahre ihren eigenen Beauty-Salon. Vor über eineinhalb Jahren ist Zaher zum Grand-Beauty-Team gestoßen. „Ich bin darüber sehr froh. Das Team ist nett, und ich kann wieder meinem Beruf nachgehen“, sagt sie. Ihre Kolleg:innen kommen aus Venezuela, Palästina, Äthiopien, Mexiko, Deutschland oder Afghanistan. Die einzige gemeinsame Sprache unter allen Beauty Experts ist Deutsch. Zaher sieht den Grand Beauty Salon deshalb auch als Gelegenheit, sich sprachlich zu verbessern.

Den Austausch und die Begegnungen mit den Kolleg:innen genieße sie sehr, erzählt sie, aber ein Moment bleibe für sie der schönste: „Alle Frauen, denen ich die Haare schneide, sagen nachher: ‚Danke schön, das ist schön geworden.‘ Es ist großartig, ihre glücklichen Gesichter zu sehen.“ Dann hat sie auch mein Haar fertig geschnitten und voluminös nach hinten geföhnt. Wir strahlen uns an.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.