Gabriele Galimberti möchte Geflüchtete als das zeigen, was sie sind: Menschen. Als der Fotograf vor drei Jahren auf Gruppen traf, die auf dem Weg in die Schweiz in der norditalienischen Stadt Como festhingen und am Bahnhof in Zelten hausten, beschloss er, sie so abzulichten, wie sie es sich wünschen. Galimberti fotografierte sie in ihrem Traumjob – und zeigte die Zelte, in denen sie lebten.
„Ich finde es traurig, wie viele Leute hier denken, wir Geflüchtete hätten keine Kompetenzen“
Osman Jalloh, 28, Busfahrer aus Sierra Leone
Ich wurde schon zweimal in der Schweiz erwischt und zurück nach Como gebracht. Die Schweiz, Deutschland, Frankreich – mir egal, wo genau. Das Wichtigste ist, dass ich arbeiten kann. Ich finde es traurig, wie viele Leute hier denken, wir Flüchtlinge hätten keine Kompetenzen. Ich bin kein Loser! Neun Jahre bin ich Busfahrer, unfallfrei, obwohl es in Sierra Leone kaum Ampeln gibt. Ich vermisse es, zu fahren, aber noch mehr vermisse ich meine zwei Jahre alte Tochter.
„In Como haben wir zum ersten Mal seit langem unseren Frieden gefunden“
Cherish, 18, und Blessing John, 24, Friseurinnen aus Nigeria
Blessing John: Ich wäre diesem Mann niemals gefolgt, wäre mir klar gewesen, was mich erwartet. Er hatte mir versprochen, dass ich in Libyen als Friseurin arbeiten kann – stattdessen zwang er mich und meine Schwester in die Prostitution. Nach einem halben Jahr gelang mir mithilfe eines Kunden die Flucht. Ich musste meine Schwester zurücklassen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört. Ich wusste, ich könnte bei der Fahrt übers Mittelmeer ertrinken. Aber ich wäre lieber ertrunken, als so weiterzuleben. Cherish habe ich auf dem Boot kennengelernt. Mit 13 wurde sie von der eigenen Tante an fremde Männer verkauft. Mit 17 ist sie geflohen. In Como haben wir zum ersten Mal seit langem Frieden gefunden. Hier wollen wir bleiben.
„Wir wollen nicht viel, nur Fußball spielen“
Essa Bah, 16, und Moussa Saidi, 17, Profifußballer aus Gambia
Essah Bah: Ich war an der National Football Academy in Gambia. Moussa hat für einen Verein in der dritten Liga gespielt. Es war nicht einfach, in die Akademie zu kommen, und ich vermisse es sehr. Aber nach dem Tod meines Vaters konnte ich meine Ausbildung dort nicht finanzieren. Hier ist es schrecklich für uns beide. Wir können nur zweimal die Woche trainieren, haben kein Feld, nicht mal einen eigenen Ball. Wir wollen nicht viel, nur Fußball spielen. Mein Herz geht auf, wenn ich spiele, und alle Sorgen und Ängste verfliegen.
„Irgendwann will ich einen BMW besitzen“
Aliola Samba, 24, Mechaniker aus dem Senegal
Irgendwann will ich einen BMW besitzen. Es muss kein neues oder besonders schickes Modell sein – mich beeindruckt die Genauigkeit der Motoren. Zu Hause im Senegal war ich Mechaniker. Den Job habe ich mir nicht ausgesucht: Es war der einzige, den ich kriegen konnte. Ich mag es, mit den Händen zu arbeiten. Ich würde gerne nach Spanien. Ein Freund von mir lebt dort und arbeitet auf einem Boot. Er meinte, die Leute dort seien freundlicher als in Italien und man findet leichter einen Job. Vielleicht lerne ich dort eine Frau kennen. Das fände ich gut: eine Frau und ein Auto.
„Wenn sie mich ließen, würde ich die Schweizer als Polizist schützen“
Jafar Ali, 27, aus Äthiopien, und Abdul S., 23, aus Eritrea, Polizisten
Jafar Ali: An den Baum über meinem Schlafplatz habe ich eine Schweizer Flagge gehängt. Während der Polizeischule habe ich zum ersten Mal von der Schweiz gehört: funktionierende Demokratie, vorbildliche Polizei. Das hat mich beeindruckt, und ich dachte: Dort will ich hin. Ich bin Polizist geworden, um meinem Volk zu dienen – nicht dem äthiopischen Staat. Ich gehöre zur Ethnie der Oromo und arbeite für die Regionalpolizei. Seit Jahren kämpfen die Oromo für ihre Unabhängigkeit, deswegen gibt es eine Art kalten Krieg zwischen der Bundespolizei und der regionalen. Letztes Jahr hat sich die Lage verschärft. Die Bundespolizei hat meine Wohnung durchsucht und mich verhaftet. Als ich aufgrund mangelnder Beweise freigelassen wurde, bin ich mit meiner Schwester und meinem besten Freund nach Europa geflohen. Wir sind zu Fuß nach Libyen und haben von dort ein Boot genommen. Wir trieben 15 Tage lang auf dem Meer herum, bekamen jeden Tag nur einen kleinen Schluck Wasser und nichts zu essen. Von 60 Passagieren sind vier oder fünf gestorben. Eine Frau war schwanger. Es war schrecklich. Wenn sie mich ließen, würde ich gerne die Schweizer als Polizist schützen. Als wären sie mein eigenes Volk.
Das Titelbild zeigt Alhagie Gaye, 19, Verkäufer aus Gambia:
Mein Onkel hatte ein Modegeschäft in Gambia. Schöne Dinge verkaufen, die Damen beraten: Es war super, dort zu arbeiten. Aber mein Onkel wurde alt und musste das Geschäft verkaufen. Danach fand ich keinen neuen Job, deswegen bin ich hier. Mein Bruder wollte nachkommen. Ich habe ihm abgeraten. Europa ist nicht, wie wir es uns vorgestellt haben. Ich habe nicht mal ein Zelt zum Schlafen, geschweige denn einen Job.
Protokolle: Anja Conzet, aus dem Englischen übersetzt von Nikita Vaillant