Einmal im Jahr, nämlich am 26. Januar, feiert Australien sich selbst. Im Hafen von Sydney gibt es eine große Regatta mit historischen Segelschiffen, die „Australier des Jahres“ werden im Darling Harbour gekürt, unzählige Grillpartys geschmissen und der Nachthimmel am Abend in Feuerwerksfarben getunkt. Fällt der Nationalfeiertag auf ein Wochenende, kriegen alle am Montag darauf frei. Nur: Einem Teil der Bevölkerung ist überhaupt nicht zum Feiern zumute.
Vor einem Jahr bat die britische Zeitung „The Guardian“ die Australier, drei Begriffe zu nennen, die sie mit ihrem Nationalfeiertag – dem sogenannten Australia Day – verbinden. „Barbecue“, „Fest“ und „Feiertag“ wurden am häufigsten genannt. Den Nachfahren der indigenen Bevölkerung des Kontinents, der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner, fielen andere Wörter ein: „Invasion“, „Überleben“, „Mord“.
Das Datum erinnert an jenen Tag vor 230 Jahren, als der Engländer Arthur Phillip seinen Fuß in den Schlamm einer kleinen Bucht von Port Jackson setzte, nur einen Steinwurf von dem Ort entfernt, an dem heute das berühmte Opernhaus in Sydney steht. Ein Fahnenmast markiert noch heute die ungefähre Stelle. Phillip war Kapitän der sogenannten First Fleet: elf britische Schiffe, mit 550 Mann Besatzung an Deck und etwa 760 Strafgefangenen in ihren Bäuchen.
Bei den wenigsten von ihnen handelte es sich um Schwerverbrecher. Die 21-jährige Esther Abrahams etwa wurde ans Ende der Welt verbannt, weil sie eine halbe Rolle Seide gestohlen hatte. Ruth Baldwin, 26, hatte fünf Löffel geklaut. Beide wurden zu sieben Jahren Haft verurteilt. In ihrer Heimatstadt London aber waren die Gefängnisse voll. Es war billiger, sie mit auf die Boote zu schicken, als auf Staatskosten anderwärtig unterzubringen und zu ernähren.
Die britischen Kolonisten ermordeten Zehntausende Aborigines und Torres-Strait-Insulaner
Der 26. Januar 1788 machte die Verurteilten zu Siedlern. Aus Sicht der britischen Krone waren sie die ersten Menschen in einem Land, das sie als Terra nullius bezeichneten: unbewohntes Niemandsland. Dass die Geschichte der Aborigines zu jenem Zeitpunkt schätzungsweise mehr als 60.000 Jahre zurückreicht, war ihr egal. Bei blutigen Auseinandersetzungen und Massakern durch Kolonisten wurden in den folgenden Jahren Zehntausende Aborigines und Torres-Strait-Insulaner ermordet, viele wurden in die Armut getrieben und starben durch Krankheiten und Hunger – manche Historiker sprechen von Völkermord.
Seit einigen Jahren wird die Opposition zu diesem Feiertag hörbar lauter, vor allem, seit Kevin Rudd vor zehn Jahren in seiner ersten Rede als Premierminister das Leid der indigenen Bevölkerung offiziell anerkannte und um Entschuldigung bat. Flugzeuge kritzelten das Wort „Sorry“ in den Himmel über Sydney. Im Namen des Staates bat Rudd insbesondere die Kinder der Stolen Generations um Verzeihung: Zwischen 1909 und 1969 ließ die australische Regierung Kinder von Ureinwohnern aus ihren Familien reißen und oft Tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt in Waisenhäusern oder weißen Familien unterbringen. Dort sollten sie „wie Weiße“ erzogen werden, um später ein Arbeitsleben in der weißen Gesellschaft aufzunehmen. Besonders oft wurden sogenannte Half-Caste Children von ihren Familien getrennt: Kinder, bei denen ein Elternteil (meist der Vater) weiß war. Zeitweise wurde die Kinder in „A- und B-Kategorien“ unterteilt, je nachdem, wie deutlich man ihnen ansah, dass sie indigene Vorfahren hatten. Die Präferenz der adoptionswilligen Eltern war eindeutig.
Während die einen den Australia Day feiern, Garnelen brutzeln und kühles Blondes trinken, begehen die anderen den „Invasion Day“ oder auch „Mourning Day“: den Trauertag. Dieses Jahr fanden Demonstrationen in mehreren Städten statt, allein in Melbourne protestierten geschätzt 60.000 Menschen für Chancengleichheit und Selbstbestimmung für die indigene Bevölkerung – mehr, als bei den offiziellen „Australia Day“-Paraden mitliefen.
Seit Rudds Entschuldigung habe sich für die indigenen Gemeinden gar nichts verbessert, sagt June Mills. Sie gehört zu den Stammesältesten der Larrakia, die dort lebten, wo sich heute die Stadt Darwin befindet. „Die Zahl der Aborigenes und Torres-Strait-Insulaner in Gefängnissen steigt stetig. Die Zahl der Kinder, die von ihren Eltern weggenommen und in staatlichen Einrichtungen untergebracht werden, ist momentan besonders hoch. Die Geschwindigkeit, mit der unser Land und unsere heiligen Orte von Bergbauunternehmen in Besitz genommen werden, ist alarmierend.“
Tatsächlich hat fast jeder dritte Häftling in australischen Gefängnissen indigene Wurzeln, in der Gesamtbevölkerung sind es nur drei Prozent. Und über 36 Prozent aller Pflegekinder stammen aus Aborigine- oder Torres-Strait-Insulaner-Gemeinden. Beim Jugendarrest liegt ihr Anteil bei 53 Prozent.
Wäre für manche zumindest ein Anfang: den Nationalfeiertag auf ein anderes Datum legen
Mehrere Aktivisten und Politiker, unter anderem der Parteivorsitzende der Grünen, Richard Di Natale, aber auch Prominente wie Tennislegende Pat Cash fordern nun, den Australia Day auf ein anderes Datum zu verlegen. Laut einer Erhebung des Thinktanks The Australia Institute hätten 56 Prozent der Australier nichts dagegen. Nur weniger als die Hälfte wusste, an welches Ereignis der 26. Januar überhaupt erinnert.
Die Bloggerin Eugenia Flynn, die selbst Aborigine ist, ist gegen ein neues Datum. Indem man den Feiertag verschiebe, würde man die tatsächliche Unterdrückung der Ureinwohner leugnen. „Es würde suggerieren, dass wir einfach darüber hinwegkommen und uns als Teil der multikulturellen Gesellschaft Australiens fühlen, die es so gar nicht gibt“, schreibt Flynn. Sie will den 26. Januar lieber beibehalten, um des Leides ihrer Vorfahren weiterhin prominent gedenken zu können.
June Mills dagegen plädiert dafür, den Australia Day auf einen anderen Tag zu verlegen. Zwar würde das nicht die großen Probleme lösen. Aber sie würde es zumindest als Erleichterung empfinden, wenn der Rest des Landes nicht an jenem Tag feiert, der ihr vor Augen führt, wie benachteiligt sie in ihrem Land ist. „Es wäre zumindest ein Anfang“, sagt Mills und schlägt den 3. Juni vor. An jenem Tag im Jahr 1992 räumte das höchste australische Gericht den Urvölkern nach zehnjährigem Prozess das Recht auf öffentliches Land ein. Erst damit wurde offiziell: Zum Zeitpunkt der Kolonisation war Australien längst kein Niemandsland mehr.
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Titelbild: Asanka Brendon Ratnayake/Anadolu Agency/Getty Images