Was wir Kunden oft nicht ahnen, wenn wir im Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt einen Sack Kartoffeln beäugen: Hightech ist in der Landwirtschaft längst angekommen. Es gibt Drohnen, die zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden, und solche, die ein Auge auf die Herde halten. Es gibt Melkroboter, die mit Laserstrahlen Kuheuter abtasten und Hunderte Daten über Tier und Milch speichern. Da sind Traktoren, die mit Satelliten kommunizieren und autonom über die Felder fahren. Ackerroboter, die Nutzpflanzen von Unkraut unterscheiden und letzterem eigenständig den Garaus machen. Oder auch mit Sensoren bestückte Halsbänder, die dem Bauern eine SMS schicken, sobald eine Kuh fruchtbar und bereit für die Besamung ist.
Die Bauernhofidylle aus dem Kinderbuch ist längst der industriellen Landwirtschaft gewichen. Ist es wünschenswert, dass die jetzt auch noch immer smarter wird und Drohnen und Roboter die Nahrungsmittelproduktion übernehmen?
Glaubt man den Befürwortern unter den Experten, dann ja – zugunsten einer weiter gesteigerten Effizienz und damit sogar der Lösung des Welternährungsproblems: Vor 100 Jahren konnte ein Landwirt in Deutschland vier Menschen ernähren. Heute füttert er rund 150 durch: Der Ertrag aus einem Hektar Weizen ist heute viermal so hoch wie vor 100 Jahren. Doch da wir Menschen immer mehr werden, genügt auch das noch nicht. Soll die Weltbevölkerung auf Dauer gesättigt werden, muss der durchschnittliche Landwirt seinen Ertrag noch einmal erheblich steigern.
Vereint man all diese Technologien, dann wird die Landwirtschaft so ertragreich wie nie zuvor
In „Smart Farming“ werden große Hoffnungen gesetzt: weniger säen, aber mehr ernten. Gesündere Pflanzen bei weniger Pestiziden. Glückliche Tiere, weil verständnisvolle Maschinen. Kurz: Vereint man all die neuen Technologien, dann wird die Landwirtschaft so ertragreich wie nie zuvor.
Bei diesem Optimismus handelt es sich keineswegs um die Schwärmerei irgendwelcher Nerds. „Smart Farming“ ist im öffentlichen Diskurs angekommen: Bundesagrarminister Christian Schmidt postuliert etwa, dass dadurch Ressourcen effizienter genutzt werden und die Tierhaltung verbessert werden könnte. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft lud im Februar unter dem Titel „Landwirtschaft 4.0 oder Big Data?“ zu einer Tagung nach Berlin. Die EU finanziert Fokusgruppen wie „Mainstreaming precision farming“. Forschungseinrichtungen wie etwa das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering richten eigene Abteilungen mit Namen wie „Smart Rural Areas“ ein.
Auch wenn in Deutschland bisher nur jeder fünfte Bauer mit vernetzten Systemen arbeitet: Der globale Markt für die Digitalisierung auf dem Bauernhof boomt und soll einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger zum Thema „Precision Farming“ zufolge sein Volumen zwischen 2014 und 2020 sogar nahezu verdoppeln.
Entsteht hier eine neue digitale Kluft, die arme Bauern noch ärmer und reiche noch reicher macht?
Ist also das Feld bestellt für eine blühende Zukunft, in der es keinen Hunger mehr gibt? Es gibt da ein praktisches Problem: Intelligente Systeme sind nicht nur besonders präzise, sie sind auch ausgesprochen teuer. Eine gute Drohne, die Bilder mit Satellitendaten verknüpft, Wildtiere aufspürt und dem Landwirt zeigt, wo gerade die Erdbeeren auf seinem Feld austrocknen, kostet bis zu 70.000 Euro. Ein Melkroboter über 100.000 Euro. Dass sich solch eine Anschaffung schon für eine Herdengröße von 60 bis 70 Tieren lohnt, macht „Smart Farming“ für viele Landwirte dennoch interessant – aber eben hauptsächlich für die Landwirte wohlhabender Länder.
Und so befürchten Kritiker, dass hier eine neue digitale Kluft entsteht, die arme Bauern noch ärmer und reiche noch reicher macht. Bei den „Smart Farming“-Befürwortern indessen ist der Glaube an die Technik groß genug, dass sie auch diesen drohenden Missstand mit technologischen Mitteln auszuräumen gedenken. Etwa durch einfache Agrar-Apps, die auch für Analphabeten verständlich sind und Landwirten in Entwicklungsländern angeblich helfen, noch auf den kärglichsten Böden etwas zum Wachsen zu bringen. Oder durch vergleichsweise günstige Produkte wie die „Farm in a Box“ des Landgeräteherstellers AGCO: Der 50-PS-Schlepper der Marke Massey Ferguson ist inklusive fünf Anbaugeräten für weniger als 20.000 Dollar zu haben. 20.000 Dollar? Für einen äthiopischen Bauern beispielsweise immer noch eine utopische Anschaffung.
Doch tun sich Interessierte genossenschaftlich zusammen und gibt es vielleicht auch noch Geld aus der Entwicklungshilfe, sieht es schon etwas anders aus. AGCO arbeitet mit der NGO Cultivating New Frontiers in Agriculture zusammen und betrachtet das Projekt „Farm in a Box“ somit als Armutsbekämpfung. Der Verdacht jedoch, dass hier nicht nur die Nutzpflanzen schneller wachsen sollen, sondern auch die Abhängigkeit der kleinen Bauern von den großen Firmen, schießt bei kritischen Beobachtern ins Kraut.
Da stören noch viele offene Fragen das neue, idyllisch anmutende Bild des Robo-Bauernhofs
Überhaupt stören da noch viele offene Fragen das neue, idyllisch anmutende Bild des Robo-Bauernhofs, das die Befürworter mitunter zeichnen. Damit die Vernetzung von Geräten und Sensoren funktioniert, bedarf es erst einmal flächendeckender Netze. Schon allein ein Blick auf die ländlichen Regionen Deutschlands zeigt: Die digitale Infrastruktur ist dort oft noch schlecht ausgebaut. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur startete deshalb im vergangenen Jahr Deutschlands erstes Förderprogramm für den Breitbandausbau. Doch wem sollen eigentlich die unzähligen Daten gehören, die in der Landwirtschaft gedeihen werden, wenn sie smart wird? Dem Landwirt? Dem Hersteller der Geräte? Der Softwarefirma, die aus den Tausenden Messdaten brauchbare Informationen macht? Oder vielleicht sogar dem Kunden, der wissen will, wer die Kuh war, deren Milch er jetzt trinkt? Wer wird aus den Daten Profit schlagen?
Da sind sich selbst die Hersteller der „Smart Farming“-Technologie uneinig. Einerseits gibt es Unternehmen wie 365FarmNet, eine Claas-Tochter mit Sitz in Berlin: Sie entwickelt herstelleroffene Software und setzt auf „Kooperation statt Monopol“. Und dann gibt es Unternehmen wie die von ehemaligen Google-Mitarbeitern gegründete Climate Corporation: Die US-amerikanische Firma hat massenhaft Felder in den USA digital kartiert und mit Wetterdaten verknüpft – und wurde schließlich 2013 von dem Agrarmulti Monsanto gekauft. Droht da ein agrarisches Datenmonopol?
Bundesagrarminister Schmidt warnt vor einer „Vergoogelung“ der Landwirtschaft und will Server deshalb dezentral aufstellen, verteilt auf Agrargenossenschaften. Aber es sind nicht nur politische Akteure, die sich in Sachen Informationsschutz engagieren: Agrar-Jurist Christian Halm beispielsweise berät Landwirte, wie sie ihre Daten schützen können. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Daten jener Menschen, die die Maschinen bedienen. Machen sie Fehler? Wie oft machen sie Pause und wie lange?
Ob die Landwirtschaft der Zukunft wirklich viel mehr Nahrung erzeugen kann, dafür steht der Beweis noch aus. Eins ist aber jetzt schon sicher: Sie wird deutlich mehr Informationen hervorbringen. Und wer diese beackern darf, das wird eine der ganz zentralen Fragen sein.