Es blinkt überall blau-weiß-rot in der Arènes-Halle von Metz: Die Fans des Front National tragen Leuchtanstecker in den Farben Frankreichs, darauf nur ein Vorname: Marine. Als Marine Le Pen die Bühne betritt, rufen ihn viele auch und schwenken „Marine Présidente“-Fähnchen.

Die Präsidentschaftsbewerberin tritt ans Rednerpult. „Meine Freunde“, sagt Marine Le Pen und spricht dann davon, was sie dem Volk wieder zurückgeben will. Den Franc. Die Macht zur eigenen Entscheidung, welche die Eliten, die EU und die „wilde Globalisierung“ den Franzosen genommen hätten. Die Sicherheit, die durch die „unkontrollierte Einwanderung“ und die Parallelgesellschaften in ständiger Gefahr sei. Sie will wieder Grenzkontrollen und kündigt ein Referendum zum Ausstieg aus der EU an, sollte sie am 23. April und 7. Mai zur Präsidentin gewählt werden.

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Wahlkampfveranstaltung von Marine Le Pen in Nantes (Foto: Adrien Selbert/VU/laif)

„Marine Présidente“? Auch in Nantes im Westen Frankreichs hoffen die Anhänger des Front National auf den Sieg ihrer Präsidentschaftskandidatin

(Foto: Adrien Selbert/VU/laif)

Reden, das kann sie gut. So wie ihr Vater Jean-Marie Le Pen, der den rechtsextremen Front National (FN) gegründet hat. Die Populistin weiß, wie sie die Ängste der Menschen für sich nutzen kann: Le Pen sieht Immigranten das Land „überschwemmen“. Sie schimpft gegen die Deutschen, die eineinhalb Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben. Die Regierung versage bei der Terrorbekämpfung. „Millionen von Franzosen haben täglich Angst“, ruft sie, und ihre tiefe, rauchige Stimme schlägt plötzlich in die Höhe.

Die Parolen kommen an. „La France aux français“, Frankreich den Franzosen, ruft jemand in der Halle, andere Zuhörer darauf: „On est chez nous.“ Auf Deutsch etwa: Wir haben hier das Sagen. Marine Le Pen genießt den Jubel, streicht sich das blonde Haar hinter das Ohr. Die guten Umfragewerte machen sie selbstbewusst. Etwa 26 bis 30 Prozent könnte sie bei der Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang bekommen – und damit in die Stichwahl einziehen.

Papas Werk, Papas Hass, Papas Prozesse

Für diesen Erfolg hat sie hart gearbeitet, seitdem sie 2011 den Parteivorsitz von ihrem Vater Jean-Marie übernommen hat. Der frühere Algerienkämpfer hatte den Front National 1972 gegründet. Bis zu Anfang der 1980er-Jahre war die Partei ein Sammelbecken für verschiedene nationalistische und rechtsextreme Gruppierungen. Jean-Marie Le Pen hetzte gegen Ausländer und Einwanderer. Gerichte verurteilten ihn im Laufe der Jahrzehnte mehr als 25 Mal wegen rassistischer Beleidigung, Verleumdung, Morddrohungen oder gar Körperverletzung. Erst im vergangenen Jahr wurde er zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro verurteilt, weil er – wieder einmal – die Gaskammern als „Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ abtat.

Fünf Mal trat Jean-Marie Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen an. 2002 schaffte er das, wovor sich viele Franzosen fürchteten: den Einzug in die Stichwahl um das Amt des Präsidenten. Entsetzen im Land, spontane Demonstrationen in vielen Städten. Letztlich gewann der konservative Kandidat Jacques Chirac mit 82 Prozent der Stimmen.


 

Jetzt startet Tochter Marine einen neuen Anlauf in Richtung Élysée-Palast. Die gelernte Anwältin und zweimal geschiedene Mutter dreier Kinder hat ihren Vater lange bewundert. Mehr als 40 Jahre lang hat sie ihn unterstützt und gegen Kritik und Gegner verteidigt. Er habe sie stark gemacht, sagte sie einmal. Er ermöglichte ihr ein angenehmes Leben, mit ihren beiden Schwestern wuchs sie sehr privilegiert auf: Vater Jean-Marie hatte nämlich – unter etwas mysteriösen Umständen – von einem Industriellen ein schlossähnliches Anwesen im reichen Pariser Vorort Saint-Cloud und 30 Millionen Franc geerbt.

Doch als Parteichefin wurde ihr klar: Mit den eindeutig rassistischen Parolen ihres Vaters verbaut sich die Partei den Weg in die Zukunft. Ihre Strategie: „dédiabolisation“, Entdämonisierung. Das heißt: die Partei wählbarer machen, ihr ein demokratisches, modernes, braves Image geben.

Marine Le Pen poltert also selten direkt, sie verpackt Fremden- und Islamfeindlichkeit, Intoleranz und Abschottung als Patriotismus und verspricht: „Frankreich zuerst“. Antisemitische Ausfälle wird man aus ihrem Mund nicht hören. Aufgrund dieser neuen Ausrichtung wird darüber diskutiert, ob der Front National als rechtspopulistische Partei oder weiterhin als rechtsextrem einzustufen ist. „Marine Le Pen schafft das Unmögliche: einen ‚normalisierten‘ FN, der radikaler ist denn je“, sagte die Literaturprofessorin Cécile Alduy der Zeitschrift „L’Obs“. Die hohe Arbeitslosigkeit in Frankreich, die Flüchtlingsdebatte, die Terroranschläge und die Kriminalität in den Vorstädten spielen ihr seit Jahren in die Hand.

Familienfehde, Politdrama

Doch vor allem einer torpediert den Imagewandel für die Partei: Vater Jean-Marie. Immer wieder provozierte er mit antisemitischen, rassistischen Ausfällen. 2014 wird es seiner Tochter zu bunt: Sie nimmt seine Videobotschaften von der Partei-Webseite. Der Vater tobt, fängt an, seine Tochter zu siezen und sie „unmenschlich“ zu nennen. Letztlich macht Marine Le Pen kurzen Prozess: Die Partei wirft 2015 ihren Gründer raus. Der zieht vor Gericht – und hat einen Teilerfolg. Der Ausschluss ist zwar rechtens, aber ein „Ehrenvorsitz auf Lebenszeit“ kann ihm nicht genommen werden. 

Das seifenopernwürdige Drama im Le-Pen-Clan scheint dem Parteimarketing der Tochter nicht geschadet zu haben: Die Wähler nähmen den 88-jährigen Störenfried-Papa nicht mehr ganz ernst, sagt der Politikwissenschaftler und FN-Experte Jean-Yves Camus. „Er stellt kein Hindernis mehr dar für den FN mit seiner neuen Ausrichtung.“ Alle Arbeit, die Marine Le Pen seit 2011 getan hat, solle zeigen, dass sie anders ist als ihr Vater. Bei den Wählern komme das an, „obwohl wir feststellen, dass es eine Kontinuität im Programm gibt“.

Die dritte Generation

Viele FN-Anhänger sehen die Zukunft der Partei aber eher in den Händen der nächsten, dritten Generation – bei der heute 27-jährigen Marion Maréchal-Le Pen, der Enkelin von Jean-Marie und Nichte von Marine Le Pen. Sie, die auf einer ultrakonservativen katholischen Schule im reichen Westen von Paris war und Jura in Assas studiert hat, gilt als große Hoffnungsträgerin. Schon als kleines Kind war Enkelin Marion im Jahr 1992 gemeinsam mit Opa auf Wahlplakaten abgebildet. Sie habe mehr Talent als alle anderen zusammen, sagte Patriarch Jean-Marie Le Pen einmal. 

Wenn Marion Maréchal-Le Pen über die Wochenmärkte in der Provence spaziert und Flugblätter verteilt, bleiben viele Leute stehen. Der Südosten Frankreichs ist eine Hochburg des FN, man kennt und bewundert sie. Sie wetterte beim Regionalwahlkampf gegen Flüchtlinge und die Regierung, die angeblich lieber Baugenehmigungen für Moscheen vergebe, als den ländlichen Regionen zu helfen.

Schon 2010, mit gerade mal 20 Jahren, trat Marion Maréchal-Le Pen erstmals als FN-Kandidatin bei den Regionalwahlen an – ohne Erfolg. Mit 22 dann die Überraschung: Als jüngste Abgeordnete Frankreichs zieht sie in die Nationalversammlung ein.

Viele in der Partei sehen sie als eigentliche Erbin des Gründers: weil sie – im Gegensatz zu Marine – den Opa kaum kritisiert und den rechten Flügel der Partei vertritt. FN-Aktivisten schätzen sie, weil sie jung ist, gut aussieht und rechte, streng katholische Positionen vertritt.

Manche vermuten, dass sie irgendwann die Tante aus dem Weg räumen wird – so wie Marine ihren Vater. Denn mit Marine und Marion treffen innerhalb der Partei zwei unterschiedliche Richtungen aufeinander.

Das zeigte sich zum Beispiel beim Thema Homo-Ehe. Als die konservative katholische Bewegung La Manif pour tous gegen das geplante Gleichstellungsgesetz für Homosexuelle eintrat, hielt sich Marine Le Pen von deren Demos fern – wohl um schwule und lesbische Wähler nicht zu vergraulen. Nichte Marion dagegen demonstrierte mit und stellte sich so gegen ihre Tante. Von den drei Le Pens sei sie diejenige, die am weitesten rechts stehe, sagte der Präsident der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur, Christian Estrosi, 2016 im französischen Fernsehen: „Sie ist die gefährlichste.“

Titelbild: Vincent Nguyen/Riva Press/laif