6800 Kilometer, 400 Bahnhöfe, sechs Zeitzonen: Oda und Sven aus Berlin sind 19 Tage mit dem Zug von Moskau nach Peking unterwegs. Was sie auf der längsten Bahnstrecke der Welt und der Hauptschlagader Russlands erleben, berichten sie in dieser Serie. Heute geht es über die Grenze zur Mongolei und weiter in die Hauptstadt Ulan Bator.
25 Koreaner, ein italienisches Pärchen, zwei Deutsche und eine Slowakin warten auf dem Bahnsteig, bis sie die Provodniza in den Waggon lässt. Sie ist kräftig, groß und lächelt selbstgewiss. Noch sind die Koreaner guter Dinge. Es sind Ingenieure und Lokführer auf Dienstreise für ein Unternehmen, das den verwegenen Plan verfolgt, eine Eisenbahn von Südkorea nach Europa zu bauen. Im Moskau-Peking-Express nehmen sie Anschauungsunterricht. Kaum fährt der Zug an, ist auch den neu Zugestiegenen klar, wer im Zug das Sagen hat. „Picture no!“, blafft die Provodniza einen Koreaner an, der Details der Ausstattung auf dem iPad festhält. Fotografieren solle man durchs Fenster. Die Landschaft ist atemberaubend. Von Irkutsk geht es steil bergauf, die Strecke windet sich in schier endlosen Serpentinen. Im Minutentakt wechselt das Wetter. Plötzlich wird durch eine Schlucht die Sicht zum Baikalsee frei. Es geht wieder abwärts. Die nächsten drei Stunden fahren wir am Südufer des Sees entlang, der so groß ist wie Baden-Württemberg. Die riesige Eisfläche ist zum Greifen nah, aber im Zug ist es warm und heimelig. Ein Gefühl, das an der Grenze zur Mongolei rapide abnimmt.
Da wird es frostig. Der erste Kontrolleur auf russischer Seite wirft einen flüchtigen Blick auf uns, der zweite prüft gewissenhaft zehn Minuten lang die Pässe. Der dritte, ein kahl Geschorener im Tarnanzug, nimmt das Abteil komplett auseinander. Zuvor sind schon eine Hundestaffel und einige strenge Damen mit spitzen Schuhen durch den Zug marschiert. Auf mongolischer Seite erfolgt nochmal ein ähnliches Prozedere – mit weniger Schärfe, dafür aber mit deutlich mehr Dokumenten. Bitte kreuzen Sie an, wann Sie das letzte Mal Bauchweh hatten. Eben gerade jetzt. Muss ich das ausfüllen? Die Provodniza winkt ab und lächelt wieder selbstgewiss.
Ankunft in der kältesten Hauptstadt der Welt, in Ulan Bator – kurz UB, wie die Einheimischen ihre Stadt nennen. Minus sieben Grad, geht doch. Was gar nicht geht, ist an einer grünen Fußgängerampel die Straße zu überqueren. Im Schnitt kommen noch vier bis fünf Autos über die längst rote Ampel gebrettert. Bremsen würde keines von ihnen, stehen geblieben wird nur im Stau oder wegen des Fahrverbots, das der Staat wegen des Smogs regelmäßig verhängt: immer wochentagsweise für bestimmte Nummernschilder.
Ulan Bator, übersetzt: „Roter Held“, ist noch nicht alt, wächst aber rapide. Unser Stadtplan scheint veraltet, manche Straßen suchen wir ewig. Als wir glauben, in einem Hinterhof endlich die Mongolian National Modern Art Gallery gefunden zu haben, stolpern wir in den ersten Plattenladen der Mongolei, den ein Mann namens Bold hier vor zwei Wochen mit seiner eigenen Sammlung sowjetischer Pressungen eröffnet hat. Zwei seiner Freunde legen Beats auf. Schwer zu sagen, ob er oder wir überraschter sind, bei ihm gelandet zu sein – jedenfalls machen wir erstmal Fotos voneinander.
Als wir abends zurück ins Hotel gehen, beißt es im Hals. Doch Smog? Nein, das ist der Rauch der Jurten am Stadtrand, der bei Minustemperaturen wie eine Glocke über UB hängt.
Die ganze Reise auf einen Klick:
Go East, Teil 1: Ganz Russland in einem Zug
Go East, Teil 2: Menschen, die auf Birken starren
Go East, Teil 3: Herrscherin eines ratternden Reichs
Go East, Teil 4: Onkel Tomsk Hütte