6800 Kilometer, 400 Bahnhöfe, sechs Zeitzonen: Oda und Sven aus Berlin sind 19 Tage mit dem Zug von Moskau nach Peking unterwegs. Was sie auf der längsten Bahnstrecke der Welt und der Hauptschlagader Russlands erleben, berichten sie in dieser Serie. Heute steht die letzte Etappe an. Es geht von Ulan Bator nach Peking, den Zielbahnhof.
Hektik am Morgen, bloß den Zug nicht verpassen, Abfahrt um 7.15 Uhr. Also fix ins Taxi, das aus unerfindlichen Gründen die Hälfte kostet wie auf der Hinfahrt zum Hotel. Am Bahnhof lässt es die mongolische Eisenbahn locker angehen. Abfahrt eine Stunde später, angeblich der Zeitzone Chinas entsprechend, aber wer weiß das schon.
Weil der Zug von Ulan Bator nach Peking nur zweimal wöchentlich verkehrt, sammelt er hier viele Reisende auf, die bisher auf verschiedenen Strecken der Transsib unterwegs waren. Beim ersten Stopp reihum großes Hallo – das ist jetzt wirklich travellermäßig, wie sich die Holländer und Mexikaner die Schwedinnen aus Irkutsk mitten in der Wüste Gobi wiedertreffen. Auch das italienische Pärchen vom Baikalsee ist wieder da. Es hat die komplette Route ohne ein Wort Russisch oder Englisch gemeistert. Auch uns begegnen alte Bekannte: die 25 Koreaner, die sich noch immer über die Langsamkeit der Reise wundern, aber dabei viel gute Laune verbreiten. Jedenfalls bis wir an die Grenze nach China kommen. Der fast achtstündige Aufenthalt, während dessen niemand den Zug verlassen geschweige die Toilette benutzen darf, bricht selbst den Höflichsten von ihnen. In einem Moment der Unbeherrschtheit verdreht er die Augen. Darüber hilft auch nicht die aufwendige Eisenbahnshow hinweg, die hier geboten wird: Der ganze Zug wird aufgebockt und bekommt waggonweise ein neues Fahrwerk verpasst, denn Russland und die Mongolei laufen auf einer anderen Spurweite als der Rest der Welt.
China aus dem Zugfenster: Nach der Grenze überall Felder. Jeder Quadratmeter noch so unwegsamen und kargen Landes ist bestellt. Auf den Parzellen, ganz dicht an den Gleisen, immer wieder Gräber – kleine Hügel, mal mit, mal ohne Grabstein, manchmal knallbunt geschmückt. Am anderen Ende stehen die Wohnhütten. Leben und sterben auf dem Acker. Zum Finale schlängelt sich der Zug durchs Heng-Shan-Gebirge: 50 Brücken und Tunnel kündigen imposant die chinesische Hauptstadt an.
Nach 6.000 Kilometern, 200 Teebeuteln, 108 Abteilgenossen, acht Zügen und sieben herrlichen Zwischenstationen sind wir am Ende unserer Reise angekommen. Russland hat uns überrascht. Positiv. Das Land ist riesig, komplex, eine andere Welt als unsere. Aber eine verwandte Welt. Wehmut mischt sich mit Vorfreude auf die Weltstadt. Der Winter ist hier endgültig vorbei, Kirschblüten statt Eisblumen, Kaiserwetter in Peking. Auf dem Bahnhofsvorplatz gefühlt 100.000 Menschen, die anstehen, um zu den Gleisen zu kommen.
Ob wir beim nächsten Mal etwas anders machen würden? Ja, den Flug nach Berlin canceln und mit dem Zug zurückfahren.
Die ganze Reise auf einen Klick:
Go East, Teil 1: Ganz Russland in einem Zug
Go East, Teil 2: Menschen, die auf Birken starren
Go East, Teil 3: Herrscherin eines ratternden Reichs
Go East, Teil 4: Onkel Tomsk Hütte