6800 Kilometer, 400 Bahnhöfe, sechs Zeitzonen: Oda und Sven aus Berlin sind 19 Tage mit dem Zug von Moskau nach Peking unterwegs. Was sie auf der längsten Bahnstrecke der Welt und der Hauptschlagader Russlands erleben, berichten sie in dieser Serie. Heute machen sie Station in der Stadt Tomsk.
Tomsk wirbelt unser westliches Bild russischer Städte ganz schön durcheinander: Tief in Sibirien finden wir: little San Francisco! Wunderschöne bunte Holzhäuser, hügelige Straßen und eine historische Straßenbahn, die dort auf und ab juckelt. Überall Bäume, kleine Parks und die hippen Studenten der vier Universitäten, deren klassizistische Fakultätsgebäude die Prachtstraße zum Leninplatz säumen.
Dichter Anton Tschechow muss wirklich sehr malade und übellaunig gewesen sein, als er 1890 auf seiner Reise durch Russland kein gutes Haar an der Stadt, ihren Bewohnern und deren Umgangsformen ließ. Wir erleben sie als sehr herzlich, glücklich und stolz über jeden Besucher ihrer schönen Stadt, die gerade ihr 410-jähriges Jubiläum feierte. Die 400-Jahr-Feier wurde wegen der tragischen Geiselnahme von Beslan ausgesetzt. Kurz vor unserer Abfahrt an den Baikalsee beginnt es zu schneien. Tomsk verwandelt sich in ein sibirisches Winterwonderland.
Wieviel Uhr ist es eigentlich? Im Zug reisen Körper und Geist in gleicher Geschwindigkeit. Bis die Zeitzonen dazu kommen, von denen Russland neun hat — wir durchqueren fünf. Alle Züge fahren nach Moskauer Zeit, aber an Board tickt die lokale Uhr. Spätestens seit Tomsk sind wir trotz zweier Uhren restlos verwirrt: Schlafen oder doch noch einen Tee? In Moskau ist doch erst Mittag. Ja, aber wo wir ankommen ist es nochmal zwei Stunden später als jetzt. Wann sind wir denn da? Kommt drauf an, nach welcher Zeit man fragt. Dieser „Trainlag“ macht vor allem Touristen zu schaffen, also nur uns. Denn außer russischen Schulklassen auf Skifreizeit und dem aufgeregten Eishockey-Nachwuchs aus Novosibirsk auf dem Weg zum Auswärtsspiel sind uns bislang keine begegnet. Apropos Auswärtsspiel: 2004 begann das Fussballmärchen des FC Tom Tomsk, der in die erste Liga aufstieg. Mannschaft und Fans mussten 2.000 Kilometer reisen, um beim nächstgelegenen Gegner anzutreten. Zum Anpfiff waren sie dafür gut ausgeschlafen, denn als östlichstes Team der Liga mussten sie nach Westen und da bekommt man durch die Zeitverschiebung Stunden geschenkt. Immerhin zehn Jahre hat „Tom Tomsk“ davon profitiert. Seit letztem Jahr kickt das Team wieder zweitklassig.
Die ganze Reise auf einen Klick:
Go East, Teil 1: Ganz Russland in einem Zug
Go East, Teil 2: Menschen, die auf Birken starren
Go East, Teil 3: Herrscherin eines ratternden Reichs
Go East, Teil 5: Große Portion Eis spendiert