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Das macht dann tausend Sternis

Das Spiel „Animal Crossing: New Horizons“ führt Kinder an ein friedliches Zusammenleben heran. Und an den Kapitalismus

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Animal Crossing New Horizons / Screenshot: Nintendo

Wer kennt das nicht: Alles ist prima, alle haben Spaß, bis die dicke Rechnung kommt. Eine Gruppe, die das nicht kennt, sind Kinder im ersten Lesealter. Bis jetzt. Selig grinsend sitzen wahrscheinlich einige von ihnen – neben Teenies und Erwachsenen – seit einer Woche vor „Animal Crossing: New Horizons“.

Das neue Nintendo-Switch-Spiel sieht sehr bunt aus, sehr idyllisch, die Marderhunde Nepp und Schlepp sind äußerst freundlich, und dann kommt ihr grinsender Chef Tom Nook und hat noch etwas Wichtiges, das er den Spielern feierlich überreicht. Ein Smartphone! Ach so – und die Rechnung.

 

Einen kurzen bösen Augenblick kippt der Ton der Erzählung. Genau ein Textfenster lang wirkt Tom Nook ehrlich bestürzt, irritiert, dass hier jemand meint, ohne die nötigen Sternis – so heißt die Währung in der niedlichen Welt – in ein Inselresort ziehen zu können.

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Vielleicht ahnen einige Kinder schon, dass ihre Eltern das Spiel sehr wohl bezahlt haben (es kostet 60 Euro) und dass sie in der kurzen Spielzeit nichts falsch gemacht haben können. Aber die kurze scharfe Spitze am Anfang dieser interaktiven Weltflucht führt bestimmt zu roten Wangen und weiten Augen in den jungen Gesichtern. Dann kommt die eigentliche Pointe: Tom Nook findet seinen fröhlichen Ton wieder. Natürlich ist das alles gar nicht schlimm, es gibt einen Plan, alles abzubezahlen – mit Lohnarbeit. Erledigt man Dinge für Nook, werden einem sogenannte „Nook-Meilen“ angerechnet. Die Lektion, die Spieler – egal welchen Alters – dabei lernen: Wer freundlich ist, der muss das nicht aufrichtig meinen. Vielleicht steckt einfach nur finanzielles Interesse dahinter.

Am 20. März ist „New Horizons“ für die Switch erschienen, die „Animal Crossing“-Serie (das neue Spiel ist das fünfte in der Reihe) hatte diese Pointe aber schon immer. Sie inszeniert die Idylle als Falle: Spieler wandern in ein Dorf aus, das von sprechenden Tieren bewohnt wird. Hier gehen sie spazieren, pflegen Freundschaften, angeln, jagen Insekten, fällen Bäume, jäten Unkraut. Alles in dieser Welt sieht nett und bunt aus. Misstöne? Gibt es kaum.

Grundkurs Kapitalismus, erste Vorlesung: Bedürfnisse wecken

Umso bedrohlicher ist die Figur des turbokapitalistischen Immobilienhais Nook. Er gibt allen Spielen der Serie den selben Rhythmus: Zuerst heißt er Spieler willkommen, dann gibt er ihnen einen Wohnraum, der anschließend abbezahlt werden muss. Doch kaum hat man eine Schuld getilgt, nervt Nook mit dem nächsten Extra, der nächsten Erweiterung, für die man sich in Schulden stürzt.

 

Dieser Zahlungsdruck lauert unter der Oberfläche jedes Spielzugs. Ein bisschen angeln gehen, sich Zeit lassen, die Stille genießen – das können die Spieler zwar. Aber wer trödelt, der bezahlt nicht einmal das Smartphone ab. Und wer faul ist, der kann sich auch kein Haus leisten. Der schläft im Zelt. Derweil haben die Nachbarn inzwischen ein Haus. Spricht man sie darauf an, prahlen sie, wie viel Platz sie jetzt hätten: Sie wohnen jetzt auf der Insel, statt hier nur zu hausen.

Natürlich macht das Eindruck. Natürlich will man jetzt auch ein Haus. Ab welchem Alter Spieler eine ironische Ebene erkennen können? Zumindest werden einige Kinder wohl merken, dass die Insel zwar schön, dass Schmetterlinge zu fangen toll und Dekorieren witzig, aber Tom Nook irgendwie doof ist.

Die Moral von der Geschichte? Nichts ist umsonst

Wie steht Nintendo zu seiner Figur? In einem Interview mit der Technikseite The Verge verteidigt der Produzent Hisashi Nogami den Immobilienhai: Er sei „fürsorglich“, aber eben „erwachsen“ und deswegen „vorsichtig im Umgang mit Geld“. Nogamis Gesichtsausdruck bei dem Interview ist nicht überliefert. Wenn er das ernst meint, begreift er den Kapitalismus wohl als Naturzustand und sein Spiel als ein Erziehungswerkzeug.

Denn: Wer möglichst viel interagiert, der wird belohnt. Das wirkt zuerst befreiend – schließlich gibt es unzählige Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Aber es ist auch ein schleichendes Gift: Jede Begrüßung, jedes selbst entworfene Design ist nicht nur Ausdruck der Freude, es ist auch eine kalkulierte Interaktion, um dringend benötigte Meilen zu verdienen. Die Spieler lernen: Nichts hat einen Wert an sich; Sternis und Meilen sind es, was zählt.

Dass einer von Nooks Lehrlingen Schlepp heißt, könnte aber die eine oder andere Stirn zum Runzeln bringen. Und auch, dass manche Jobs wirklich sinnlos sind und die Werbung für das Spiel als schmieriges Teleshopping inszeniert ist. Vielleicht erkennen Spieler die mehr oder weniger absichtlich eingestreute kritische Dimension. Die logische Konsequenz? Sie müssten aufhören, „Animal Crossing“ zu spielen. Das ginge dann aber doch sehr weit. Das Spiel hat schließlich 60 Euro gekostet.

„Animal Crossing“ ist am 20. März für Nintendo Switch erschienen.

Titelbild: Nintendo

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.