Wie man aus den Unterschieden zwischen Deutschen und Franzosen eine unterhaltsame Sendung machen kann, zeigt das ARTE-Format "Karambolage". Die Macherin Claire Doutriaux spricht mit Marte Kräher über deutsche und französische Eigenheiten und gibt Tipps zur Vermeidung von echten Karambolagen.
fluter.de: Bis in die 1970er-Jahre hatte man in Deutschland noch ein recht einheitliches Bild von den westlichen Nachbarn: Alle Franzosen trugen eine Baskenmütze auf dem Kopf, rauchten Gauloise und hatten selbst auf dem Velosolex noch ein Baguette unter dem Arm. Diese schönen Klischees sind schon lange entlarvt, nicht zuletzt auch durch die deutsch-französische TV-Kooperation ARTE. Liebe Claire Doutriaux, gibt es im Zeitalter der Globalisierung inzwischen überhaupt noch typisch französische Differenzierungsmerkmale?
Ja, ich vermute, die gibt es. Allerdings versuche ich eben nicht, in diese Klischees zu verfallen, und würde daher nie sagen, die Franzosen verhalten sich so und die Deutschen sind so.
Dein Erfolgsrezept im Rahmen der medialen Völkerverständigung ist das Betrachten der Alltagskultur. Was genau nimmst du unter die Lupe?
Ich gehe von ganz konkreten Momenten aus, die aus der Sicht eines Franzosen oder eines Deutschen, der ins jeweilige Nachbarland kommt, seltsam sein müssen. Das kann alles Mögliche sein, ein gewöhnlicher Gegenstand wie der Eierpieker oder ein Ritus wie das Galette-Essen am Dreikönigstag oder ein Kleidungsstück. Bei der Betrachtung solcher Details kann man einiges verstehen und auf größere Zusammenhänge stoßen. Ich muss immer wieder feststellen: Im Kleinen bleibt alles unterschiedlich – trotz Globalisierung!
Wenn ein Deutscher nach Frankreich kommt, ist wahrscheinlich die Sprache zunächst die größte Herausforderung, vor allem dann, wenn es für bestimmte Worte keine 1:1-Entsprechung gibt. Welche sind deiner Meinung nach erklärungsbedürftig?
"Heimat", "gemütlich" oder "mutterseelenallein" sind zum Beispiel Wörter, die mit "patrie", "confortable" oder "tout seul" nur unzureichend zu übersetzen sind, weil sie kulturell so verankert sind. Kürzlich haben wir einen Beitrag über das Wort "abendfüllend" gesendet, ein Wort, das, wenn man anfängt darüber nachzudenken, in philosophische Abgründe führen kann. Im Französischen sagt man einfach "long métrage", wörtlich "langes Maß" für die Länge der Filmrolle. Ich weiß noch, dass ich damals – vor meiner Zeit bei ARTE – als Leiterin eines deutschen Programmkinos dieses Wort nur ungern sagte, weil ich gar nicht den Anspruch hatte, den Zuschauern dabei zu helfen, ihren Abend zu füllen oder ihre Zeit totzuschlagen. Es ist immer sehr spannend, auf solche Momente zu stoßen und Kapitel der jeweiligen Kulturgeschichte zu entdecken. Es gibt aber auch Unterschiede, die einfach nur witzig sind.
Zum Beispiel?
Ich habe kürzlich ein Stück über Wortpaare gemacht, also Begriffe, die in der Übersetzung ganz verschiedene Bilder hervorrufen. Die "Schublade", also eine Lade, die man in Deutschland schiebt, nennt man im Französischen "tiroir", was von tirer, ziehen, kommt. Ein "Stillleben" heißt übersetzt "nature morte", das heißt "tote Natur", und für "Lebensgefahr" sagt man auf Französisch "danger de mort", wörtlich: Todesgefahr. Solche Dinge fallen einem auf, wenn man zwei Sprachen spricht. Das bringt mich zum Schmunzeln, es muss nicht alles immer eine tiefe Bedeutung haben.
Das würde vielleicht auch eher Fortgeschrittene interessieren. Anfänger würden sich ohnehin erst einmal mit real erlebten Fettnäpfchen herumschlagen – vor welchen sprachlichen Faux-Pas würdest du die Deutschen ganz spontan warnen?
Unser Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel hat einmal so genannte "falsche Freunde" präsentiert, also Wörter, von denen man meint, man würde sie verstehen, weil sie in der Fremdsprache gleich klingen, dort aber eine andere Bedeutung haben. Wenn ein Deutscher nach dem Essen im Restaurant einen Kräutertee trinken möchte, muss er in Frankreich eine "Infusion" bestellen, was für ihn sehr seltsam ist. Oder wenn er in eine französische Bäckerei geht und einen "Baiser" verlangt, bekommt er kein Eierschaumgebäck, sondern einen Kuss.
Hier lauert schon die nächste Herausforderung auf den deutschen Frankreichbesucher: Denn jeder, der sich an seine ersten sozialen Interaktionsversuche in Frankreich erinnert, weiß, wie kompliziert das “faire la bise“ ist.
Ja, für Deutsche ist es manchmal extrem schwierig, sich bei der "bise" richtig zu verhalten, die die Franzosen unermüdlich untereinander austauschen. Es kann sehr peinlich für einen Deutschen werden, wenn ein Franzose mit offenen Armen auf ihn zukommt. Das habe ich bei "Karambolage" anhand der Treffen zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy beobachtet. In Medienaufnahmen sieht man, dass er vielmehr auf Körper und Kontakt aus ist als Merkel, die von seiner Art anfangs völlig genervt schien. Mittlerweile hat sie eine Art gefunden, darauf zu antworten, und legt jetzt immer ihre Hand auf seinen Arm.
Jedenfalls muss sie keinen Handkuss mehr über sich ergehen lassen …
Der ehemalige Präsident Jacques Chirac hatte tatsächlich eine besondere Art, sie zu begrüßen. Das konnte der Karambolage-Zuschauer in einer Bildanalyse von dem ersten Treffen zwischen ihm und Merkel im Hof des Elysée Palasts beobachten. Ich finde, dass der Handkuss von Chirac ziemlich gekonnt und natürlich war. Merkel zeigte ein schönes Lächeln und schien es mit Fassung und Witz zu nehmen. Ich glaube nicht, dass sie, die protestantische Pfarrerstocher, darauf vorbereitet war.
Auch für mich scheint die Geste wie aus einer anderen Zeit. Genauso erstaunlich finde ich es, dass der Begriff “Mademoiselle” erst kürzlich offiziell abgeschafft wurde – wie passt diese späte Emanzipierung mit dem avancierten Frauenbild in Frankreich zusammen?
Manche Leute sind sich einfach ihrer eigenen Unterdrückung nicht bewusst. Aber meiner Erfahrung nach war es im Alltag nur noch eine Spielerei im Umgang zwischen Männern und Frauen. Dort, wo ich jeden Tag mein Gemüse einkaufe, sagt mir der Verkäufer seit rund zwanzig Jahren: "Oh, ma chère Mademoiselle! Wie nett und wie schön Sie heute aussehen!" Das gehört einfach dazu, und ich vermute, wenn ich noch älter bin, wird er es immer noch sagen. "Fräulein" wird im Alltag einfach als witzige Anmache benutzt. Ich bin allerdings wirklich erleichtet, dass es zumindest aus den offiziellen Formularen verschwunden ist.
Wo man wiederum in Frankreich überhaupt keinen Spaß versteht, ist das Lehrsystem, das Karambolage schon mit vielen Beiträgen bedacht hat. Welche Aspekte haben dich dabei besonders interessiert?
In Frankreich ist es beispielsweise üblich, die Abi-Ergebnisse am Zaun vor verschlossener Schule öffentlich auszuhängen. Das finde ich sehr brutal und es erzählt viel über das gesellschaftliche Verhältnis zur Schule, welches viel mehr auf Autorität und Hierarchien basiert als in Deutschland. Das kann man auch am Unterricht beobachten, der in Frankreich meist frontal ist und darin besteht, den Lernstoff auswendig zu lernen. Die Deutschen werden viel mehr zur Autonomie erzogen, Rituale wie den Abiball oder den Abistreich wären in Frankreich undenkbar! Genauso wenig könnte man mit rosaroten Haaren an einer "Grande École" studieren, wo die zukünftige Elite herangezogen wird.
Dazu hast du einen Beitrag gemacht. Die Studentin kam in Berlin – wo auch sonst – auf die Idee, sich die Haare zu färben. Während sie in Berlin kaum auffiel, befürchtete sie, an der Pariser “Grande École” schräg angeschaut zu werden.
Ich finde, ihr Erlebnis erzählt einiges über die Freiheiten, die man im Zusammenleben in Deutschland hat. Ich selbst muss nach wie vor staunen, dass man dort zum Beispiel in alle möglichen Baggerseen springen kann, auch wenn die Wasserqualität hin und wieder schlecht ist. In Frankreich werden solche Badeerlebnisse immer offiziell verboten. Immer! Ich vermute, dass sich in Deutschland nach dem Krieg gewisse Formen der Freiheit entwickeln konnten, die ich persönlich im alltäglichen Leben sehr angenehm finde.
Und was lockt deiner Ansicht nach deutsche Jugendliche nach Frankreich?
Frankreich hat immer einen großen Reiz auf Ausländer ausgeübt: die Architektur, Pariser Flair und französisches Leben, das tatsächlich ganz angenehm ist. Allerdings würde ich deutschen Jugendlichen, die etwas aufbauen wollen oder kreativ sein wollen, nicht unbedingt raten, nach Paris zu kommen. Vor allem, was die Kultur anbelangt, habe ich das Gefühl, dass es hier nicht so viel Platz für die Jugendkultur, alternative Kultur oder persönliche Entwicklung gibt. Wie können sich junge Leute hier in Paris entfalten? Jeder Quadratmeter kostet so viel. Ich glaube, der Hauptreiz von Berlin ist der verfügbare und günstige Raum, auch wenn die Preise langsam steigen. Das sind natürlich verlockende Bedingungen für kreative, junge Leute, übrigens auch für viele französische Künstler … Für mich scheint es im Moment fast spannender über Deutschland und Berlin zu sprechen.
Marte Kräher arbeitet derzeit bei Kulturprojekte Berlin und war von 2003 bis 2004 als Produktions- und Regieassistentin bei "Karambolage" tätig.