Wer zum ersten Mal den Namen der Huzulen hört, ist schon verzaubert. Huzulen – das klingt nach großer Ferne, nach Fabelwelt, dabei wohnen sie nicht einmal besonders weit weg von Hamburg oder Berlin. Näher jedenfalls als Rom oder Barcelona, und doch weiß kaum jemand, in welche Richtung er fahren sollte, um dort hinzukommen.
Jahrhundertelang lebten sie abgeschnitten von der Außenwelt in den Höhen der Karpaten. Woher sie stammen, ist nicht gut dokumentiert. Manche meinen, sie seien Nachfahren der Goten, der Skythen, vielleicht auch der Mongolen oder Kumanen. Andere glauben, der byzantinische Kaiser hätte sie in dem verlassenen Landstrich angesiedelt. Mit der fortschreitenden Modernisierung und der Erschließung der Karpaten nahm die Unterdrückung durch Großgrundbesitzer zu. Zahlreiche Herrschaftswechsel führten zu Aufständen des freiheitsliebenden Volks. Nachdem das huzulische Gebiet zeitweise zwischen der damaligen Tschechoslowakei, Polen, Rumänien und Ungarn aufgeteilt war, gehörte es nach dem Zweiten Weltkrieg fortan der Sowjetunion und nach deren Zerfall größtenteils der unabhängig gewordenen Ukraine an. Seit 2007 – als Rumänien der EU beitrat – verläuft die EU-Außengrenze durch das huzulische Gebiet und erschwert den Zusammenhalt des Volkes. Heute leben noch rund 60.000 Huzulen in den Tälern des Pruth und des Tscheremosch, ganz im Südwesten der Ukraine, und einige Tausend jenseits der Grenze in Rumänien.
Sogar beim Eurovision Song Contest haben die Huzulen schon abgeräumt
Aufgrund ihrer langen Abgeschnittenheit entwickelten die Huzulen eine eigenständige Kultur mit eigenen Bräuchen und Überlieferungen. Das Übersinnliche, Mythen und Märchen sind heute noch in den Traditionen ihres Volkes lebendig. Ihre Sprache: ein ukrainischer Dialekt mit vielen eigenen Wörtern und Ausdrücken. Ihre traditionelle Kleidung: bunt bestickte Hemden und Blusen – oft noch von Hand gefertigt aus Schafswolle. Ihr Glaube: griechisch-katholisch, ukrainisch-orthodox oder eine Mischung daraus, oder überhaupt nichts. Außerdem ist der Glaube an Waldgeister, Hexen und Zauberer weit verbreitet. Ihre Musik: folkloristisch und mit vielen Instrumenten. Nicht selten werden bei Dorffesten Zymbal, der Dudelsack Koza oder die Sopilka-Flöte ausgepackt.
Einmal, vor fast 20 Jahren, horchte sogar halb Europa vor dem Fernseher auf: Was war das für eine verzauberte Musik, die Sängerin Ruslana beim Eurovision Song Contest sang? Was für ein seltsam langes Horn wurde da anfangs von den Musikern geblasen? Die Huzulin Ruslana gewann den Wettbewerb von 2004, und viele hörten damals zum ersten Mal etwas von der Existenz dieses kleinen Volkes.
Seither ist es wieder stiller geworden rund um das touristische Zentrum der Huzulen, dessen Namen, Werchowyna, kaum jemand fehlerfrei aussprechen kann.
Viele der Schafhirten ziehen im Frühjahr wieder hinauf auf die Sommerweiden der Almen, und unten in den Tälern bereiten sie die kommenden Hochzeitsfeste vor. Und doch hat auch vor diesem Volk die Modernität keinen Halt gemacht. Viele junge Menschen ziehen in die Städte, um zu studieren oder zu arbeiten, und legen ihre traditionellen Trachten ab. Aber eines bleibt: Die Huzulen sollen zu den gastfreundlichsten Menschen der Erde zählen – das berichteten Reisende bereits vor über 150 Jahren, wenn sie in diesen abgelegenen Teil der Nordkarpaten kamen. Das ist heute nicht viel anders. Seit dem Kriegsausbruch wohnen nun auch Flüchtlinge aus Charkiw oder Kyjiw in den Dörfern. Es heißt, man hat sie aufgenommen wie gute Freunde.
Titelbild: Kathrin Harms/laif