Thema – Klimawandel

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Wir verklagen die Regierung

Immer öfter wird der Klimawandel ein Fall fürs Gericht – auch in Deutschland. Aber lässt sich besserer Klimaschutz wirklich einklagen?

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Manchmal ist nicht wichtig, was man sieht. Sondern das, was man nicht sieht. Im Fall von Heiner Lütke Schwienhorst ist es das Heu. In seiner neu gebauten Heutrocknungshalle ist Platz, ungewöhnlich viel Platz. Wo sich sonst Futter für die 130 Kühe des Öko-Landwirts häuft, sind einzelne Kammern nur halb gefüllt, andere komplett leer. „Das muss bis Mai nächsten Jahres reichen“, sagt Lütke Schwienhorst und lässt seinen Blick schweifen.

 

Bei gutem Wetter kann er von seinem Grundstück in der Nähe des Spreewalds die Kühltürme des Kraftwerks Jänschwalde sehen, die sich am Horizont aus der Lausitzer Ebene schälen. Täglich werden hier bis zu 82.000 Tonnen Braunkohle verfeuert und in Energie umgewandelt. Macht gut 24.000 Tonnen CO2 im Jahr. Nach Berechnungen der britischen Klimaschutzorganisation Sandbag hatte das Kraftwerk Jänschwalde 2014 die vierthöchste Jahresemission in der gesamten EU.

 

Zwischen dem, was Lütke Schwienhorst sieht, und dem, was er nicht sieht, gibt es einen Zusammenhang: den Klimawandel. Lütke Schwienhorst kommen allmählich Zweifel an den grasenden Kühen, der eigenen Käserei und dem Hofladen, Zweifel an seinem Lebensentwurf.

Dreimal hatte es seit Mai ergiebig geregnet. Werden solche Klimaextreme zur Regel, geht es für ihn um die Existenz

Bis zu 20 Kilogramm Trockenfutter frisst jedes seiner Tiere täglich. Bei einer Herde von 130 Tieren sind das täglich 2,6 Tonnen. Ein Großteil des alten Ritterguts, auf dem die Familie seit 1991 lebt, wird ausschließlich für die Futterproduktion genutzt. Normalerweise reicht das, um den ganzen Stall satt zu bekommen. Ein Puffer ist dabei schon einkalkuliert. Nur war das Erntejahr 2018 eben alles andere als normal. 

„Dreimal hatte es seit Mai ergiebig geregnet. Jeweils 30 Liter Anfang Juni, Mitte Juli und Ende September“, erzählt Lütke Schwienhorst. Es klingt, als erinnere er sich an die  Geburtstagsfeiern guter Freunde. Dazu kamen die hohen Temperaturen, „viele, viele Tage über 35 Grad“. Bei den Tieren sorgten diese beiden Klimaextreme für Stress, bei den Landwirten für erhebliche Ertragseinbußen. Lütke Schwienhorst brauchte die Futtervorräte des Vorjahres auf und musste trotzdem Heu zukaufen. Da auch andere Regionen mit der außergewöhnlichen Dürre zu kämpfen hatten, stieg der Heupreis. Knapp 15.000 Euro zahlte Lütke Schwienhorst drauf. Werden solche Einbußen zur Regel, geht es für ihn um die Existenz.

   

Lütke Schwienhorst hat deswegen gegen die Bundesregierung geklagt. Im Oktober 2018 reichte er gemeinsam mit zwei weiteren Landwirten und Greenpeace eine Klage ein. Nun prüft das Berliner Verwaltungsgericht, ob die Bundesregierung genug gegen den Klimawandel unternimmt. „Fehlende Umsetzungsabsicht“ heißt das im Fachjargon. Denn die Bundesregierung wird ihre selbst gesteckten Klimaziele 2020 vermutlich verfehlen.

Eine Fehlplanung, die für die drei Landwirte laut Anklage zum Verhängnis wird. „Die Nutzungsmöglichkeiten ihres Eigentums werden durch den Klimawandel erheblich eingeschränkt“, heißt es. „Sie sind insgesamt in einer Situation, in der entweder Klimaschutz effektiv betrieben wird oder sie im Hinblick auf die Zukunft ihrer Betriebe fürchten müssen, diese langfristig nicht wirtschaftlich betreiben zu können.“ Dabei geht es Lütke Schwienhorst weniger um finanzielle Entschädigung als vielmehr darum, dass die Bundesregierung das Klima ambitionierter schützt. 

Mit ihrer Klage wurden die Landwirte um Lütke Schwienhorst Teil einer Bewegung: Weltweit versuchen Privatpersonen, dem drohenden Klimawandel juristisch zu begegnen, indem sie ihre Regierungen und auch die EU per Urteil zu mehr Klimaschutz verpflichten wollen. Vor 2015 gab es solche Klagen lediglich in den USA.

 

In Kolumbien erzielten 25 junge Menschen einen juristischen Sieg gegen die Regierung, da diese nicht genug gegen die Abholzung des Regenwaldes unternahm. In Pakistan sah der Jurastudent und Landwirt Ashgar Leghari durch die immer häufiger auftretenden Überschwemmungen und Dürren die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser gefährdet. Er verklagte die Regierung auf entsprechende Klimaschutzmaßnahmen – und gewann. Zuletzt verbuchte die Umweltschutzorganisation Urgenda in den Niederlanden einen Erfolg: Die Richter verpflichteten die niederländische Regierung zur drastischen Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen.

„Es gibt derzeit einen riesengroßen Abstand zwischen wissenschaftlicher Realität und Handlungsnotwendigkeit und den Maßnahmen beziehungsweise Plänen der Regierungen“, erklärt Roda Verheyen die jüngsten Klagen. Die Hamburger Anwältin gilt als eine der profiliertesten Umweltjuristinnen in Deutschland und wird auch Lütke Schwienhorst vertreten.

Gerichte sollen nun das zögerliche Handeln der Politik geraderücken

Dass die Politik sich dem Klimawandel mit der notwendigen Konsequenz entgegenstellt –  viele Menschen glauben daran laut Verheyen nicht mehr. Dass die Regierungen zu langsam, zu zögerlich arbeiten, sollen nun die Gerichte geraderücken. „Sie sind im Rahmen der Gewaltenteilung Akteure, die in der Lage sind, zu verobjektivieren – sie können objektiv bewerten, was erforderlich ist“, sagt Verheyen.

Beachtung brachte ihr zuletzt der derzeit vor dem Oberlandesgericht Hamm laufende Prozess des peruanischen Landwirts Saúl Lliuya ein. Er verklagt den deutschen Energiegiganten RWE. Auch hier geht es um die Frage, ob einzelne Institutionen, im Falle von RWE ein Unternehmen, für fehlenden Klimaschutz haftbar gemacht werden können. Das Gericht ließ die Klage zu, startete die Beweisaufnahme.

 

Können deutsche Landwirte schärfere Klimagesetze einklagen? Viele Juristen winken da ab. In Deutschland gebe es für Privatpersonen im Unterschied zu anderen Ländern keine eigene Umweltgerichtsbarkeit, nur anerkannte Verbände. In dieser Hinsicht hinkt die rechtliche Durchsetzung des Umweltschutzes in Deutschland noch hinterher. Ein Klagebündnis vom Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV), dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und vielen Einzelklägern hatte im November 2018 wegen der deutschen Klimapolitik vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt – es war die erste Klage dieser Art in Deutschland.

Ihr Ziel ist es, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die die Menschen vor dem Klimawandel schützen. Die Verfassungsbeschwerde argumentiert, dass es für Klimaschutz ein Parlamentsgesetz geben müsse. In Deutschland gibt es aber kein Gesetz, das diesen allgemeinen Anspruch erfüllt, stattdessen fortlaufende Klimaschutzpläne. Die, fordert die Klage, müssten dann verbindlich sein.

Die Klagen sind juristisches Neuland, der Erfolg ist nicht garantiert

Verheyen geht vor dem Verwaltungsgericht einen anderen Weg: Sie argumentiert, dass die deutsche Regierung mit dem Aufgeben des Klimaziels 2020 bereits rechtsverbindliche Vereinbarungen gekippt hat. „Da mehrere Bundesregierungen dieses Ziel bestätigt haben, wurde hier ein Vertrauenstatbestand geschaffen“, sagt Verheyen. Demnach wäre der Abschied von diesen Zielen justiziabel, die Familien hätten einen konkreten Rechtsanspruch.

Einen Erfolg vor Gericht garantiert diese Interpretation nicht. Derzeit warten Lütke Schwienhorst und seine Mitkläger darauf, dass das Verwaltungsgericht den Prozess terminiert – und die Klage somit anerkennt. „Wir betreten mit diesen Klagen Neuland“, erklärt Verheyen. „Deshalb sind sie aber nicht weniger gerechtfertigt.“

Update: Ende Oktober 2019 wies das Berliner Verwaltungsgericht die Klimaklage gegen die Bundesregierung zurück. Das Gericht warb dafür, „die Handlungsspielräume der Exekutive zu respektieren“, ließ aber die Möglichkeit offen, dass die Kläger Berufung einlegen können.

Titelbild: Gordon Welters/laif

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