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Eine Frage der Haltung

Mit neuen Gütesiegeln wollen Handel und Politik über die Haltungsbedingungen von Tieren informieren. Aber sorgt das wirklich für mehr Transparenz und Tierschutz?

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Es ist schon paradox: Laut dem Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums will eine große Mehrheit der Verbraucher wissen, woher das Fleisch auf ihrem Teller stammt und wie es dem Schwein oder Hühnchen vor der Schlachtung erging. Ob es genug frische Luft, ausreichend Platz und Auslauf hatte. Laut der Umfrage wären 90 Prozent der Verbraucher bereit, mehr Geld für Fleisch von Tieren aus guter Haltung auszugeben.

Lohnt es sich, einen Hof auf Bio umzustellen? Christoph Dietzel hat es ausprobiert

Einziger Haken: Über die Herkunft und Vorgeschichte des Fleisches haben die Verbraucher im Supermarkt bisher fast nur bei Bioprodukten etwas erfahren – sie konnten sich sonst höchstens am Preis orientieren. Und auch dass einige große Supermarktketten ihre Produkte seit Mitte des Jahres freiwillig mit eigenen mehrstufigen Tierwohl-Labels kennzeichnen, hat die Situation nach Einschätzung vieler Experten nicht grundlegend verbessert. Die Labels unterscheiden sich je nach Discounter, basieren aber alle auf einem ähnlichen Stufenprinzip:

 

Die Stufe 1 entspricht der Massentierhaltung nach gesetzlichem Mindeststandard – viele Tiere auf engstem Raum, abgeschnittene Ringelschwänze, kein Sonnenlicht. Betonböden statt Stroh. Stufe 2 bietet für Schweine immerhin etwas mehr Platz – etwa die Abmessung eines DIN-A4-Blattes zusätzlich. Erst Stufe 3 sieht den Tierschützern zufolge nicht nur annehmbar viel Platz vor, sondern auch Stroh und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere. Die vierte und höchste Stufe entspricht Bioqualität. Ein ausgewachsenes Schwein hat nun bis zu 1,5 Quadratmeter Platz im Stall und ständigen Zugang zum Auslauf. Das Futter muss Bioqualität haben und gentechnikfrei sein. Kastrationen dürfen nur unter Betäubung durchgeführt werden. Stroh und Spielzeug zur Beschäftigung sind ebenfalls Pflicht.

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Tierwohlabels Lidl (was dieses im Detail bedeutet, liest du hier)

So sehen zum Beispiel die Labels von Lidl aus – der Discounter führte als erster ein 4-Stufen-Modell ein

(was dieses im Detail bedeutet, liest du hier)

Bisher beteiligen sich Lidl, Aldi, Netto, Penny und Kaufland an der Kennzeichnung der Haltungsbedingungen, Rewe und Edeka denken über ähnliche Siegel nach.

„Grundsätzlich ist die Initiative des Handels lobenswert“, sagt Jutta Jaksche, Referentin für Lebensmittelpolitik beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Allerdings falle es dem Verbraucher schwer, auf einen Blick das System zu verstehen und die einzelnen Stufen richtig einzuschätzen. Eine Verbesserung für die Tierhaltung bringen die Kennzeichnungen keinesfalls, denn die Etiketten sind erst mal nur der Versuch, die Realität abzubilden. Eine Realität, die manch einem Konsumenten den Appetit verdirbt: Über 90 Prozent des Fleisches in deutschen Supermärkten stammen aus Massentierhaltung, kostensparend produziert, ohne Rücksicht auf das „Wohl der Tiere“. Biofleisch hingegen bleibt eine Nische und ist deutlich teurer. Produkte zwischen diesen Extremen gibt es nur wenige, in vielen Läden sucht man Fleisch der Stufe 3 vergeblich. 

 

Verbraucherschützerin Jaksche hat eine Erklärung dafür: „Der Handel denkt in erster Linie wirtschaftlich. Nischen machen Arbeit und kosten mehr Geld.“ Doch einige Discounter haben inzwischen angekündigt, die Mindeststandards für ihre Partnerbetriebe anheben und mehr Geld für Fleisch aus besserer Haltung ausgeben zu wollen. Der Haken: Die Einhaltung dieser Standards soll nicht etwa vom Staat, sondern von den Supermärkten und durch von ihnen beauftragte Prüfunternehmen kontrolliert werden. 

Ein staatlich kontrolliertes Label wird es frühestens 2020 geben – auf freiwilliger Basis 

Aus Sicht von Jaksche wäre ein offizielles und staatlich kontrolliertes Label der deutlich bessere Weg. Bei Eiern habe man damit bereits gute Erfahrungen gemacht. Die müssen in der Europäischen Union seit zwölf Jahren mit Ziffern von 0 bis 3 gekennzeichnet werden: 0 steht für Bio, die Hühner haben Auslauf und Platz zum Scharren – 3 entspricht Massentierhaltung im engen Käfig. Von einem solchen System ist man beim Fleisch noch recht weit entfernt. Frühestens 2020 wird mit einem Tierwohl-Label aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium gerechnet

Im Mai dieses Jahres hat Bundesagrarministerin Julia Klöckner erste Eckpunkte vorgestellt. Die Kennzeichnung soll demnach drei Stufen haben, wobei die Eingangsstufe über den heutigen Mindeststandards läge – genaue Kriterien sind noch nicht bekannt. Kritik von Tierschützern und Verbraucherverbänden gibt es trotzdem schon: etwa daran, dass die Teilnahme am Label für die Landwirte freiwillig sein soll. Betriebe, die weiterhin nur die Mindeststandards einhalten und auf Massentierhaltung setzen wollen, könnten das ohne Probleme tun. Durch die Freiwilligkeit des staatlichen Tierwohl-Labels stehe das hochwertigere und damit auch teure Fleisch weiter in Konkurrenz zum Billigfleisch und habe weniger Chancen am Markt, befürchtet Angela Dinter, Nutztier-Referentin bei Provieh. Nur ein verpflichtendes Kennzeichnungssystem führe aus ihrer Sicht zu fairen Wettbewerbsbedingungen und damit auch zu ehrlichen Anreizen für Bauern, die ihre Tierhaltung verbessern wollen. Genau das habe das Beispiel der Eier deutlich gezeigt. 

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Biosiegel

Das deutsche staatliche Bio-Siegel (links) und das europäische (rechts) darf nur verwenden, wer nachweislich bestimmte Standards einhält

Im Landwirtschaftsministerium verweist man dagegen auf die Erfolge des ebenfalls freiwilligen Biosiegels. „Wir können auch ein Mehr an Tierwohl sichtbarer machen und den Verbrauchern eine verlässliche Orientierung geben, wie viel Tierwohl in den Produkten steckt“, so Klöckner. „Und das, ohne diejenigen zu diskriminieren, die sich zwar gesetzeskonform verhalten, aber lediglich die vorgeschriebenen Mindeststandards bei der Tierhaltung einhalten.“ Die Verbraucher könnten selbst an der Kasse entscheiden, was ihnen Tierwohl wert sei. Auch für die Bauern will die Ministerin das Label möglichst attraktiv machen, zum Beispiel durch staatliche Förderungen beim Stallumbau. 

Nach dem gesetzlichen Mindeststandard steht einem über 100 Kilo schweren Mastschwein kaum mehr Platz zu, als es auch in einer Telefonzelle finden würde. Die Enge sorgt für Stress bei den Tieren, und um Verletzungen zu vermeiden, werden ihnen oft die Eckzähne gezogen und der Schwanz abgeschnitten – obwohl das in der Europäischen Union nur in Einzelfällen erlaubt ist. Vollspaltböden aus Beton sind weiterhin erlaubt, Stroh und Heu sind keine Pflicht. Ähnlich schlecht steht es um die Mindeststandards bei Geflügel und Rindern. Und selbst diese niedrigen Standards werden von Landwirten regelmäßig unterlaufen, prangern Tierschützer an. „Es gibt viel zu wenig staatliche Kontrollen. Ob sich das mit dem neuen Label ändert, ist fraglich“, sagt Dinter von Provieh. In vielen Bundesländern bekommen Landwirte nur selten Besuch von Kontrolleuren. In Thüringen im Schnitt nur alle 10 Jahre, in Brandenburg alle 16 Jahre und in Hessen sogar nur alle 24 Jahre.

Titelbild: Daniel Pilar/laif 

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