Das Heft – Nr. 78

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Verdammter Schatz

Der Nebelregenwald von Ecuador gehört zu den artenreichsten Flecken der Welt. Doch unter dem Dschungel liegt Kupfer im Wert von Milliarden. Reise in ein umkämpftes Gebiet

Nebelregenwald von Ecuador

Zur letzten großen Dorfparty im Dschungel hatte sich Grima Rosero ein Kleid aus Plastikflaschen gebastelt. „Das war der Knaller“, sagt sie und zeigt die Fotos. Jetzt sitzt die 22-Jährige im Bus nach Quito, der Hauptstadt Ecuadors. Es geht vorbei an fast unwirklichem Grün, dicht bewachsenen Hängen, über tiefe Schluchten und durch die Wolken des Nebelregenwaldes. Grima kommt aus dem Intag-Tal, einem der artenreichsten Flecken der Erde, in dessen Boden sich ein Schatz befindet: Kupfer im Wert von Milliarden Dollar. Für die einen bedeutet das die Hoffnung auf Wohlstand, für die anderen die Furcht vor der Zerstörung der einzigartigen Natur.

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Grima Rosero

Grima Rosero glaubt, dass die Mine Wohlstand brächte, auch für sie

Grima und ihre Freunde wollen in der Hauptstadt vor dem Bergbauministerium demonstrieren – nicht gegen die Mine, sondern dafür. Auf einem ihrer Transparente steht: „Für einen nachhaltigen Bergbau! Wir unterstützen Codelco!“ Codelco ist das Bergbauunternehmen, das im Intag-Tal eine Mine von der Größe einer Kleinstadt bauen will. Kupfer ist eng mit Innovationen verknüpft, die die Welt grüner machen sollen: E-Mobilität, Windkraft und Solarenergie. Fast überall, wo Strom fließt, ist Kupfer das Leitmaterial, auch in Handys und Laptops. In einem Elektroauto ist sogar drei- bis viermal so viel Kupfer verbaut wie in einem Benziner, dazu kommen die Ladestationen und Kabel. Bis 2030 könnte der Kupferbedarf weltweit um 28 Prozent ansteigen. Um den künftigen Bedarf zu decken, dringen Minenunternehmen in artenreiche Regionen vor. Es ist ein Dilemma: Das, was dazu beitragen soll, die Erde zu retten, droht sie in manchen Gegenden zu zerstören.

Schäden für Menschen und Umwelt: der Wasserspiegel sinkt, manche Arbeiter bekommen eine Staublunge

Im Regenwald des Intag-Tals leben viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Dass das chilenische Staatsunternehmen Codelco ausgerechnet hier ein großes Kupfervorkommen erschließen will, sorgt seit Jahren für Proteste. Codelco betreibt unter anderem in der chilenischen Atacamawüste eine der größten Kupferminen der Welt. In einer Studie des Umweltbundesamtes wurde bereits 2014 über Schäden für Menschen und Umwelt berichtet. Der Wasserspiegel sank beträchtlich, einige Arbeiter bekamen eine Staublunge.

Nebelregenwald von Ecuador

Im Intag-Tal hat Codelco bereits mit dem Bau von Straßen begonnen, man hat Bürogebäude und Lagerhallen errichtet und rund 100 Probelöcher gebohrt. Grima und ihre Freunde haben davon profitiert. Manche arbeiteten auf den Baustellen, Grima selbst in einem Restaurant, das plötzlich viel mehr Kundschaft hatte. Doch seit 2018 ruhen die Arbeiten, weil es illegale Abholzungen und Wasserverschmutzungen gegeben haben soll. Auch die Umweltverträglichkeitsstudie ist noch nicht abgeschlossen. Erst wenn die vorliegt, kann das Kupfer abgebaut werden. Davon werde dann die ganze Region profitieren, hofft Grima. Es würde weitere Straßen geben, Schulen, Krankenhäuser, Internet und Autos. Und vielleicht verdiene sie ja irgendwann sogar so viel, dass sie sich eine Fernreise leisten könne.

Rund 17.000 Menschen leben in der Region, die flächenmäßig anderthalbmal so groß ist wie Berlin – ein Gebiet voller Regenwald und kleiner Plantagen, auf denen vor allem Kaffee, Kakao und Bananen wachsen. Grima glaubt nicht, dass der Bergbau die Natur zerstören würde: „Sie machen Untersuchungen mit der Technologie von heute“, sagt sie. Ihr Lieblingsplatz ist ein schattiger Flecken am Rio Magdalena, einem der vielen Flüsse, die den Intag wie ein Adernetz durchziehen. „Hauptsache, sie vergiften nicht unser Wasser und unsere Flüsse.“

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Azul und Kevin

Azul und Kevin sind aus der Hauptstadt Quito in das Intag-Tal gezogen, um sich den Protesten gegen die Mine anzuschließen

Während Grima nach Quito fährt, um für die Mine zu demonstrieren, sind Azul und Kevin, 18 und 19 Jahre alt, den umgekehrten Weg gegangen. Das junge Paar ist gerade aus der Hauptstadt in Grimas Dorf Chontal gezogen, in ein Häuschen, zusammengezimmert aus Holzbrettern und einem Wellblechdach. Kevins Vater ist einer der Koordinatoren im Widerstand gegen den Bergbau, Azuls Familie gehört zu den Cofán, einer der ältesten indigenen Gruppen im ecuadorianischen Amazonasgebiet, die seit langer Zeit gegen Öl- und Bergbaufirmen kämpfen. „Unsere Kinder sollen eine gesunde und saubere Umwelt haben, keine vergifteten Flüsse“, sagt Azul.

Carlos Zorrilla war von Anfang an im Widerstand dabei. Zweimal habe er untertauchen müssen, weil von den Firmen angeheuerte Paramilitärs nach ihm suchten. Zusammen mit Kevins Vater arbeitet er für die Umweltschutzorganisation „Decoin“ (Defensa y Conservación Ecológica de Intag), die für den Erhalt des Regenwaldes Flächen ankauft und die Bevölkerung über Naturschutz aufklärt. In ecuadorianischen Behördenpapieren wird Decoin nur als „sogenannte Umweltorganisation“ bezeichnet.

Der Widerstand sucht Hilfe bei BMW

Rückblende: Im Sommer 2019 fliegt Carlos Zorrilla nach Deutschland – zu einem Treffen mit Managern von BMW. Der deutsche Autokonzern setzt wie die Konkurrenz verstärkt auf E-Mobilität und benötigt für die Umsetzung seiner Vorhaben Rohstoffe. 2018 startete BMW zusammen mit Codelco eine Initiative für nachhaltiges Kupfer.

Zorrilla hat sich für die Reise den weißen Bart getrimmt und sein bestes Hemd angezogen. Drei Stunden spricht er mit den Automanagern über seine Heimat, den Regenwald, die bedrohten Arten und das Kupfer. Danach geht er mit einem guten Gefühl in einen Münchner Biergarten und trinkt ein Helles.

Paramilitärs
Bewaffnete Paramilitärs gehen mit Pfefferspray gegen die Widerständler vor

„BMW hat auf mich einen verantwortungsvollen Eindruck gemacht“, erinnert er sich. „All diese Firmen wollen jetzt der Welt zeigen, dass sie an diese Rohstoffe kommen, ohne Menschenrechte zu verletzen oder die Umwelt zu zerstören. Sie sind schon besorgt, welche Auswirkungen die riesige Nachfrage nach solchen Produkten haben wird.“ Doch das gute Gefühl hat Zorrilla inzwischen verlassen. Er hätte sich gewünscht, dass die deutschen Autobauer Codelco von dem Vorhaben im Intag-Tal abbringen. „Dann hätte Codelco verstanden, dass es das nicht wert ist, dafür die Verbindung mit BMW zu riskieren.“

In Deutschland muss bislang nicht offengelegt werden, woher die Rohstoffe eines Unternehmens stammen und wie sie abgebaut wurden. Es gibt bislang auch keine gesetzliche Regelung für Menschenrechte oder Umweltschutz in den Lieferketten von Zulieferern aus dem Ausland – doch das könnte sich ändern. Im März hat das Kabinett den Entwurf eines Lieferkettengesetzes beschlossen. Deutsche Unternehmen sollen damit zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltvorgaben in ihren weltweiten Lieferketten verpflichtet werden. Auch auf EU-Ebene soll es noch in diesem Frühjahr die Vorlage für ein entsprechendes Gesetz geben.

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Carlos Zorrilla

Carlos Zorrilla hingegen fürchtet die Zerstörung der Natur. Er wurde sogar schon von Paramilitärs verfolgt, die von einer Bergbaufirma angeheuert wurden, um die Proteste zu beenden

BMW engagiert sich inzwischen vor allem in der Rohstoffinitiative IRMA, die zusammen mit Zivilgesellschaften weltweit verantwortungsvolle Bergbaustandards entwickelt. Johanna Sydow von der NGO Germanwatch war 2019 mit Zorrilla in München und berät die Politik zum Thema Rohstoffe. Von IRMA hält sie viel, von der Copper-Mark-Initiative hingegen wenig – weil sie die betroffenen Menschen vor Ort kaum einbinde und vor allem die Unternehmensseite berücksichtige. Dass bis heute noch kein Lieferkettengesetz verabschiedet wurde, findet sie verantwortungslos. Und den aktuellen Entwurf zu zahnlos.

In Ecuador haben der sinkende Ölpreis und die Corona-Pandemie derweil die Staatsschulden steigen und die Wirtschaft dramatisch einbrechen lassen. Der kleine Andenstaat steht vor der größten Krise seit seiner Gründung. Die Rohstoffe in der Erde wären eine gute Möglichkeit, den Haushalt zu entlasten. Ob das wirklich passiert, hängt auch vom Ausgang der Präsidentschaftswahl ab. Nach dem ersten Wahlgang liegt Andrés Arauz knapp vorn. Er war Minister unter Rafael Correa und gilt als dessen Zögling. Unter Correa wurde Codelco die Erlaubnis für den Bergbau erteilt, er selbst wegen Korruption verurteilt. Im belgischen Exil entzieht er sich einer Haftstrafe und übt weiter politischen Einfluss aus.

Arauz muss im April in einer Stichwahl antreten – womöglich gegen Yaku Pérez, eine Führungsfigur der indigenen Bewegung Ecuadors und ein erklärter Bergbaugegner. Das Ergebnis der Stichwahl wird wohl auch über die Zukunft des Intag-Tals entscheiden. Wird es eine neue Umweltverträglichkeitsstudie geben? Wie geht sie aus? Und stoppt ein Gerichtsurteil die Mine im Nebelregenwald?

Kevin und Azul rechnen noch mit einem längeren Protest und richten sich in ihrem neuen Zuhause im Dschungel wohnlicher ein. „Es wird nicht einfach“, sagt Kevins Vater, „aber ich hoffe, dass die beiden durchhalten.“

Grima würde am liebsten nach Spanien fliegen, wenn sie irgendwann einmal eine Fernreise machen könnte. Da sei nämlich ihr Vater, und schön solle es da ja auch sein. Wenn die Mine nicht genehmigt wird, will sie vielleicht einfach dortbleiben.

Die Geschichte wurde vom Netzwerk Recherche e.V. und Radio Utopistan e.V. gefördert

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.