Fluter.de: Herr Kika, was bedeutet der politische Wechsel in Simbabwe?
Musa Kika: Es hat sich nichts verändert in Simbabwe. Es gibt keinen Regierungs- oder Systemwechsel. Nur der Präsident, das Gesicht des Regimes, wurde ausgetauscht. Dieselben Leute, die sich 37 Jahre lang um Robert Mugabe versammelt haben, versammeln sich jetzt um den neuen Präsidenten Emmerson Mnangagwa.
Mnangagwa ist alles andere als ein politischer Neuling. Wie nahe steht er Mugabe?
Mnangagwa war Mugabes politischer Ziehsohn. Man kann nicht von Mugabes 37-jähriger Herrschaft sprechen, ohne Mnangagwa zu erwähnen. Während des Unabhängigkeitskriegs in den 1970er-Jahren war er Mugabes persönlicher Assistent. In den 1980er-Jahren befahl er das Massaker an Oppositionellen im Matabeleland. Er war mehr als 30 Jahre lang Minister. 2005 und 2008 organisierte er die Wahlen – und den Wahlbetrug – für Mugabe. Wann immer Mugabe seine Macht festigte, war Mnangagwa an seiner Seite. Das hat zwei Gründe: Einerseits stimmt Mnangagwa mit Mugabe grundsätzlich überein. Andererseits wollte er immer schon selbst Präsident werden. Er hat also Mugabes Macht gestärkt mit der Überzeugung, dass er als Nächstes dran ist.
Die Bevölkerung hat den Wechsel an der Spitze trotzdem gefeiert.
Die Mehrheit, auch ich, feierte. Aber nicht den Beginn einer neuen Ära, sondern dass Mugabe nach 37 Jahren endlich nicht mehr Präsident ist. Das hat Euphorie und Erleichterung ausgelöst.
Mnangagwa war zwar die rechte Hand Mugabes, aber es ist möglich, dass er sich anders verhalten wird. Einerseits hat er miterlebt, wie sich Armee und die Bevölkerung erheben können. Er könnte also seine Macht durchaus mit einer gewissen Angst, entmachtet zu werden, ausüben. Andererseits dürfte er daran interessiert sein, ein besseres Vermächtnis zu hinterlassen als Mugabe.
Mnangagwa hat in seiner Antrittsrede unter anderem versprochen, die vertriebenen weißen Farmer zu entschädigen. Wie glaubwürdig ist das?
Er sprach auch davon, das Land für ausländische Investoren zu öffnen und wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Mnangagwas Rede war schon mal eine Abweichung von Mugabes radikaler Politik. Dass er seine Versprechen ernst nimmt, ist fraglich.
„Bei Mugabes Abgang demonstrierten junge Leute selbstorganisiert und aus freiem Willen, in Simbabwe, aber auch weltweit, in der Diaspora, vor Botschaften. Das macht Hoffnung.“
Sie wurden stark untergraben durch die Wahl seines Kabinetts. Mugabe hat jahrzehntelang dieselben Minister recycelt, und auch Mnangagwa hat sich aus der alten Riege bedient. Leute, die in Korruption verstrickt sind und ihre Macht missbraucht haben. Zudem gab es Kontroversen, weil er Entscheidungen getroffen hat, die gleich mehrfach verfassungswidrig waren. In einem Versuch, das Problem zu lösen, hat er zwei Tage später sein Kabinett geändert. Aber nach wie vor gibt es verfassungswidrige Entscheidungen: Er hat aktive Militärkommandanten ins Kabinett geholt. Das widerspricht seiner versprochenen Agenda des Wandels. Aber vielleicht werden Mnangagwas Minister bei einer Änderung seiner Haltung gezwungen sein, sich anders zu verhalten als in der Vergangenheit.
Die Mehrheit der Simbabwer ist unter 35 Jahre alt, sie hat nie einen anderen Präsidenten außer Mugabe erlebt. Wie sieht sie die Veränderung?
Für uns unter 35-Jährige ist die Situation tatsächlich neu. Mehr als 90 Prozent der Simbabwer sind arbeitslos. Radikale Veränderungen oder neue Jobs erwarten wir nicht. Es gibt aber die Hoffnung, dass ein neuer Präsident eine andere Politik verfolgt.
Wie politisch ist Simbabwes Jugend?
Die Jugend, insbesondere die Studenten, waren mal politisch sehr aktiv. Die meisten Politiker der Opposition, vor allem in der MDC (Movement for Democratic Change), haben ihre politische Karriere als Aktivisten in Studentenbewegungen begonnen. Aber die Dinge haben sich seit Beginn der Nullerjahre verändert. Die Repression an Unis hat zugenommen, Proteste wurden niedergeschlagen. Der Aktivismus ist im Wesentlichen tot. Es ist beunruhigend, wie wenig sich die Jugend politisch engagiert, besonders im Vergleich zu Südafrika, wo ich lange gelebt habe. Es gibt sehr viel Apathie nach 37 Jahren des Mugabe-Regimes.
Ändert sich das gerade durch den Abgang Mugabes?
Das scheint sich seit vergangenem Jahr zu ändern, da gab es die #ThisFlag-Bewegung. Ein junger Pastor postete ein Video auf Twitter und Facebook, in dem er sich über die Regierung aufregte. Junge Leute gingen daraufhin auf die Straße, wurden politisiert. Seitdem wird an Unis wieder über demokratische Teilnahme und politische Prozesse gesprochen. Und es gibt eine Zahl an politisch unabhängigen jungen Kandidaten für die Parlamentswahl nächstes Jahr. Bei Mugabes Abgang demonstrierten junge Leute selbstorganisiert und aus freiem Willen, in Simbabwe, aber auch weltweit, in der Diaspora, vor Botschaften. Das macht Hoffnung.
Simbabwe hat 2013 eine neue Verfassung bekommen – als Resultat einer Einheitsregierung aus Mugabes ZANU-PF und der MDC. Was hat sich verändert?
Eine Menge. Die Verfassung ist vergleichbar mit progressiven Verfassungen wie in Südafrika oder Namibia. Zum ersten Mal sind umfassende politische, sozioökonomische und kulturelle Rechte festgeschrieben. Der Präsident hat weniger Macht, die Judikative ist unabhängiger, zumindest auf dem Papier. Das Problem ist die Umsetzung. Die neue Verfassung wurde 2013 verabschiedet, am Ende der gemeinsamen Regierung von ZANU-PF und MDC. Danach regierte ZANU-PF wieder alleine. Es fehlt der politische Wille, die Verfassung durchzusetzen.
Wie geht es der MDC, der Haupt-Oppositionspartei?
Die MDC ist im schwächsten Zustand seit ihrer Gründung 1999. Morgan Tsvangirai, der die Partei seit damals führt, ist krank. Er scheint aber hartnäckig an der Spitze bleiben zu wollen und zu glauben, dass es ohne ihn keine Partei gibt. MDC-Mitglieder haben sich abgespalten und kleinere Parteien gegründet, die keine Wurzeln schlagen konnten. In den Jahren 2009 bis 2013 war die MDC an der Regierung der nationalen Einheit beteiligt. Natürlich war ihre Handlungsmacht durch die ZANU-PF eingeschränkt. Aber einige führende MDC-Politiker sind durch Korruption aufgefallen. Die Partei hat viele Unterstützer verloren. Sie ist heute pleite. Nächstes Jahr finden Wahlen statt, aber der MDC fehlen die Ressourcen für eine Wahlkampagne.
Simbabwe war in den vergangenen Jahren international isoliert. Wird sich das ändern?
Das hoffen wir. Die Machtübernahme war ein klarer Coup, aber keiner unser internationalen Partner hat sie so bezeichnet. Vielmehr gratulierten viele Staaten, darunter die USA und Großbritannien. Der internationalen Gemeinschaft scheint es weniger darum zu gehen, wer an der Macht ist, sondern darum, dass eine politische Umgebung geschaffen wird, die es ihr ermöglicht, wieder Gespräche aufzunehmen.
Fotos: Belal Khaled / picture-alliance / newscom