Thema – Angst

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Und raus bist du

Wie Mobbing an Schulen erlebt wird

Mobbing

Dies sind Geschichten über Mobbing. Sie könnten an Schulen überall in Deutschland spielen und jedem passieren: Mobbing gilt als die häufigste Form von Gewalt an Schulen. In einer bundesweiten Umfrage der Techniker Krankenkasse unter Schülerinnen und Schülern war fast jede und jeder Sechste von Mobbing betroffen. Tatsächlich dürften es noch mehr sein: In Umfragen und Studien gilt Mobbing als das, was Lehrkräfte, Eltern und Schülerinnen und Schüler darunter verstehen

Lena, 21, hat immer noch Flashbacks, wenn jemand länger nicht antwortet

„Als ich gemobbt wurde, hab ich’s erst gar nicht bemerkt. Ein paar Mädchen aus meiner damaligen Klasse waren die Süßesten, die man sich vorstellen kann – bis die Schule nachmittags vorbei war. Dann haben sie gar nicht mehr mit mir gesprochen und mich bei WhatsApp komplett geghostet. Um dann wiederum die ganze Nacht hindurch im Minutentakt Nachrichten zu schicken. Ein ständiges On-Off, das hat mich irre gemacht. Ich wollte zu ihnen gehören, hatte aber gleichzeitig null Vertrauen. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was ich falsch gemacht haben könnte. Schlimm ist, dass ich bis heute Panik schiebe, wenn mal jemand länger nicht antwortet. Da krieg ich Flashbacks, dabei hat der andere vielleicht einfach gerade keinen Akku. In Serien oder den Fällen, die wir im Ethikunterricht besprochen haben, bekommt man ein falsches Bild von Mobbing. Da sind das meist offensichtliche Angriffe von Small-Dick-Energy-Typen, die sich nur selbst fühlen, wenn sie andere abfucken und bedrohen.“

Jan, 18, will nach der Schule selbst mal in einer Mobbing-Hilfestelle arbeiten

„Bei mir fing das Mobbing klassisch an: Ich wurde vor versammelter Klasse beleidigt, sie haben mich nachgeäfft und sind in den Pausen immer weitergegangen, wenn ich mich zu einer Gruppe dazustellen wollte. Wenn ich morgens in die Schule kam, wusste ich schon, dass irgendwann was passieren wird. Wann, wie, warum, keine Ahnung, aber ich werde mich wieder wie der letzte Vollidiot fühlen. Das ging alles von einem Mitschüler aus, der beweisen wollte, dass er damit davonkommt. Der hat die ganze Klasse hinter sich versammelt. Irgendwann hat er nachts bei uns angerufen und immer gleich aufgelegt, da haben meine Eltern etwas davon mitbekommen. Die haben mir glücklicherweise zugehört und waren für mich da. Aber in der Schule haben sie getan, als hätte ich einen Streit mit dem Typen. Wir saßen ständig bei der Schulleiterin im Büro, und es hieß: ‚Jetzt vertragt euch mal.‘ Das war aber kein Streit mit zwei Seiten, es gab ihn, den Täter, und mich, sein Opfer. Alle haben so lange so getan, als müssten wir uns zusammennehmen und die Hände geben, dass ich selbst irgendwann unsicher war, ob ich ihm einen Grund gegeben hatte, mich zu mobben.“

Sandra, 28, arbeitet als Sozialassistentin an einer Berliner Schule

„Erfahrungsgemäß schlagen sich nur ganz wenige Schülerinnen und Schüler auf die Seite des Täters oder des Opfers. Der Großteil schaut zu. Wir Pädagogen nennen die Bystander: Sie greifen nicht ein und sagen niemandem Bescheid, obwohl sie verstehen, dass gerade ein Mitschüler leidet. Es gibt eine Hemmschwelle, einzugreifen. Gerade in den unsicheren Jahren der Pubertät orientiert man sich eher an anderen: Greift niemand ein, ist die Situation anscheinend nicht so schlimm. Greife ich ein, werde ich womöglich selbst angegriffen. Dass Mobbing von allein aufhört, habe ich noch nie erlebt. Das löst du am besten, indem die Gruppe selbst interveniert. Man muss Kinder und Jugendliche ermutigen, hinzusehen und einzugreifen. Dazu gehört viel Selbstbewusstsein, das muss man richtig trainieren. Dafür brauchen die Lehrkräfte und wir Sozialassistenten die Kapazitäten.“

Kamille, 17, kriegt triggernde Emojis geschickt

„Ich war mal richtig dick. Das ist Jahre her, und heute bin ich ganz zufrieden mit meinem Körper. Ich hab bei Insta viele geblockt, fettfeindliche Nachrichten kriege ich eigentlich nur noch von Fremden unter alten Fotos. Aber manche meiner Mitschüler machen bis heute ‚Witze‘. Die schicken mir Fotos von der Wurstauslage im Supermarkt oder wenn es in der Mensa Schnitzel gibt. Und manche setzen bei Nachrichten ein Emoji dahinter, das mit Essen zu tun hat: die Pizza, Messer und Gabel oder das Stück Torte. Es sind immer dieselben Emojis. Manchmal bin ich trotzdem unsicher, ob das überhaupt beleidigend gemeint ist. Selbst wenn: Solange sie mich für einen Körper shamen müssen, den ich nicht mehr habe, scheine ich nicht viel falsch zu machen.“

Marion, 43, arbeitet für eine schulpsychologische Beratungsstelle in Berlin

„Mit dem Smartphone und den sozialen Medien hat sich Mobbing radikal verändert. In der Beratung hören wir immer weniger von Schülern, die geschlagen oder angespuckt werden. Stattdessen ist Onlinemobbing ein Riesenproblem: Das Mobbing über digitale Medien hört nicht mit Schulschluss auf. Die Täter sind enthemmt, weil sie ihren Opfern nicht mal mehr gegenübertreten müssen, um sie zu schikanieren. Viele Schulen verweigern die Unterstützung, weil Taten außerhalb der Schulzeit nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen würden. Vor allem aber wohl, weil sie gar nicht wissen, wie sie das Onlineverhalten ihrer Schüler regulieren sollen.“

Dieser Text ist im fluter Nr. 91 „Streiten“ erschienen

Maryam, 15, über gefakte Nacktbilder

„Ich muss leider sagen, dass bei uns vor allem die Mädchen richtig gut darin sind, andere runterzumachen. Die erzählen ausgedachte Geschichten oder posten schlechte Fotos von anderen. Wir hatten auch schon Fälle, in denen Fotos oder peinliche Nachrichten mit Photoshop gefakt wurden. Mir ist das zu dumm, und ich hab auch gar kein Smartphone mehr. Bei meiner Cousine an der Schule gingen Nude-Apps rum. Da lädt man Fotos von Mitschülerinnen hoch, und dann sieht es aus, als hätten die sich ausgezogen oder in einem Porno mitgemacht. Solche Pics rumzuschicken ist illegal. Aber was bringt dir das, wenn die einmal im Umlauf sind? Wer weiß, wer die alles sieht.“

Cem, 18, kennt als Vertrauensschüler viele Mobbingfälle

„An meiner Schule tun alle, als wäre Mobbing kein Problem, weil kaum jemand beweisen kann, dass er oder von wem er gemobbt wird. Es ist einfach: Du entfolgst jemanden oder schreibst harte Nachrichten und sagst dann, dass dein Account gehackt wurde. Du legst immer wieder neue Accounts an und übergießt Leute mit Hass, bis sie dich nicht mehr blockieren, sondern es einfach fressen. Oder alle verlassen gleichzeitig den Gruppenchat, damit das Mobbingopfer dort allein ist. Bei uns wurde auch schon damit angegeben, in einem besonders exklusiven Gruppenchat zu sein. Den gab es gar nicht, aber das ist egal: Schon das Gefühl, nicht dabei zu sein, ist scheiße.“

Titelbild: Simon Gerlinger

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.