Für eine Endstation ist in Duisburg eine Menge los. Wenn die 30 bis 35 Güterzüge pro Woche am Hutchison-Terminal ankommen, haben sie 11.000 Kilometer zurückgelegt. Der Hafen in Westdeutschland ist ein von China auserwählter Brückenkopf in einem einmaligen Verkehrswegenetz, das von Chinas Ostküste bis an den Atlantik reicht und auch Afrika mit einschließt. Duisburg ist nur eine von vielen globalen Verteilerstationen in diesem Wegegeflecht. Der Landweg auf Schienen ist deutlich schneller, als ein Schiff sein kann – die angelieferten Container setzen ihre Reise in alle Himmelsrichtungen fort; was den „Duisport“, Europas größten Binnenhafen, noch lebendiger macht. In der Ruhrstadt erzählt man sich, in China existierten Karten von Europa, in denen Duisburg größer eingetragen sei als Paris oder London.
Duisburg ist Teil der sogenannten Neuen Seidenstraße. Seitdem Xi Jinping im Jahr 2013 zum Staatspräsidenten Chinas gewählt wurde, verfolgt er dieses Projekt. Die im Englischen „Belt and Road Initiative“ (BRI) genannte Initiative will einen großen asiatisch-europäischen Wirtschaftsraum schaffen und soll ein Investitionsvolumen von rund einer Billion Dollar umfassen, wobei die chinesische Regierung dazu aber keine genauen Angaben macht.
Neue Standards – Made in China?
Dabei beruft sich diese Neue Seidenstraße mit ihrem Namen auf eine alte: Von der Antike bis ins 15. Jahrhundert umfasste die alte Seidenstraße ein Netz von Karawanenstraßen, welches das Mittelmeer mit Zentralasien und Ostasien verband – sie war für viele Menschen nicht nur ein Symbol des blühenden Handels, sondern auch der Ausbeutung und Entrechtung. Zahlreiche Sklavinnen und Sklaven wurden die Seidenstraße entlang verschleppt. Erst als sich China auf den Seehandel konzentrierte, aber auch als neue Märkte in Südostasien entstanden und sich in arabischen Ländern dadurch der Zoll erhöhte, erlebte die alte Seidenstraße einen Niedergang.
Die aufstrebende Weltmacht China sucht schon seit Ende der 1970er-Jahre erneut den globalen Handel. Mit den vielen neuen Straßen, Gleisen und Häfen, die in den letzten Jahrzehnten gebaut wurden, verbreitet China weltweit auch die eigenen Standards und Technologien, die Kontakte überhaupt nehmen zu. Das Forschungsprojekt „China Standards 2035“ empfiehlt der Regierung, eine nationale Normierungsstrategie zu entwickeln und diese Normen möglichst überall entlang der Seidenstraße durchzusetzen – sei es durch bilaterale Abkommen oder durch das Besetzen von Positionen in internationalen Standardisierungsinstitutionen. Dadurch dass sich so möglichst viele Staaten nach den chinesischen Standards richten müssten, hofft China mit seinen Technologien international Einfluss zu gewinnen.
Herrscht das Prinzip des Stärkeren?
In Duisburg jedenfalls hat das Rathaus ein China-Referat, mehrere Gymnasien bieten Chinesisch an, Restaurants haben authentische chinesische Küche auf der Karte, und Studierende aus China ziehen an die Ruhr – alles eine Folge der BRI, der Belt and Road Initiative. „Belt“ (Gürtel) steht dabei für das nördlich gelegene Landwegenetz, während mit „Road“ (Straße) die südlicheren Wasserwege des Projekts gemeint sind.
Mit dem sich aufbauenden Verkehrswegenetz zu Land und zu Wasser wächst auch Chinas Einfluss. Die politische Führung in Peking will das Land unabhängiger von anderen Ländern machen und im Gegenzug die Länder abhängiger von China. Das heißt, andere Länder sollen sich möglichst wenig auf dem chinesischen Binnenmarkt und in die chinesische Innenpolitik einmischen, während China durch umfangreiche Investitionen im Ausland auch politisch immer stärker mitgedacht wird und mitreden möchte – immerhin will kaum ein Staat riskieren, dass große chinesische Investoren abspringen oder wichtige Warenströme aus China plötzlich ausbleiben.
Die bisherige Außenpolitik unter Xi Jinping verfolgt in Teilen auch das Prinzip eines Rechts des Stärkeren. Bei Territorialkonflikten, etwa mit Japan und den Philippinen, setzt China auf die Überlegenheit seiner Streitkräfte und demonstriert sie zuweilen. Und auch gegenüber Taiwan sendet die regierende Partei Chinas immer wieder Signale aus, dass man dem Inselstaat, der sich gegen den Willen Chinas als unabhängig versteht, auch militärisch begegnen könne. So befürchten unter anderem die USA und die EU, dass China auch über den Ausbau dieses europäisch-asiatischen Wirtschaftsraums Politik betreibt.
Piräus, der größte Hafen Griechenlands, wird in großen Teilen von chinesischen Investoren kontrolliert. Im Zuge der Finanzkrise sicherten sie sich Managementrechte, übernahmen 2016 zunächst 51 Prozent und fünf Jahre später weitere 16 Prozent der Hafen-Betreibergesellschaft. Für Piräus bedeutete das einen Boost – das Land allein hätte es finanziell nicht vermocht, den Hafen auf internationales Wettbewerbsniveau zu heben. Mit der Hilfe Chinas aber gelang genau dies. Ein Jahr später blockierte die griechische Regierung die Einbringung einer kritischen Stellungnahme der EU-Gruppe bei den Vereinten Nationen zur Menschenrechtslage in China. Ein Zusammenhang ist nicht nachweisbar, wird aber von vielen vermutet.
Risiko Bedrohung der Biodiversität?
Über 100 Länder sind am BRI beteiligt. Ein internationales Forscherteam warnte im Fachmagazin „Current Biology“ vor der Einschleppung gebietsfremder Arten durch den Handel. Wenn nämlich Menschen und Fracht reisen, sind auch oft ungewollte Wirbeltiere an Bord. Diese können die Biodiversität in für sie neuen Regionen bedrohen, so die Forscher, da sie zuweilen auf keine natürlichen Feinde stoßen und sich ausbreiten und andere Arten verdrängen. Biodiversität ist aber von enormer Bedeutung für das Gleichgewicht in der Natur; eine Beeinträchtigung könnte den Klimawandel beschleunigen. Die Forscher haben weltweit 14 sogenannte Invasionsbrennpunkte ausgemacht. Diese betreffen unter anderem die gesamte Mittelmeerregion, die Ostküste Afrikas sowie die Westküste Südamerikas.
Der Ausbau der BRI benötigt hohe Investitionen in Bauarbeiten, für die chinesische Geldinstitute oft die Kredite bereitstellen. Häufig sind diese Darlehenszusagen an die Bedingung geknüpft, dass chinesische Firmen bei Ausschreibungen dazu den Vorrang erhalten. Tausende von chinesischen Arbeitern haben etwa in Osteuropa oder in Ostafrika Autotrassen gebaut; Jobs in der lokalen Bevölkerung wurden dadurch kaum geschaffen. Auch wird bemängelt, dass bei den Arbeiten Umwelt- und Sozialstandards keine ausreichende Rolle spielten. Es ist nicht immer klar, wohin die Geldströme bei den Infrastrukturarbeiten genau fließen.
Risiko Überschuldung?
Der Verdacht steht im Raum, dass zum Beispiel auch Schmiergelder an Behördenvertreter in Montenegro und Pakistan gezahlt werden. China profitiert im Gegenzug davon, dass es Überkapazitäten etwa in der Stahl- und Zementindustrie abbaut. Doch gerade in ärmeren Ländern drohen die Kredite für solche Infrastrukturinvestitionen anderes Regierungshandeln zu lähmen. Da die Projekte in der Regel große Dimensionen haben, drücken die daraus entstehenden Schulden auf die Staatshaushalte. Überschuldung kann dann zu Abhängigkeiten führen. Als beispielsweise Sri Lanka seine Schulden bei chinesischen Kreditgebern nicht mehr bedienen konnte, wurde der Seidenstraßenhafen Hambantota für 99 Jahre an ein chinesisches Staatsunternehmen vermietet. Nach Angaben des Center for Global Development, einer US-Denkfabrik, sind acht Länder durch die Schuldenfrage besonders betroffen: In Asien sind es Pakistan, Tadschikistan, Kirgisistan, die Mongolei, Laos und die Malediven, in Europa Montenegro und in Afrika Dschibuti.
Andere Institute, auch aus den USA, weisen hingegen darauf hin, dass Umschuldungsverhandlungen im Rahmen von BRI-Projekten oft positiv für die Kreditnehmer ausfallen würden. Auch hebt die britische Organisation „Debt Justice“ hervor, dass die afrikanischen Auslandsschulden bei westlichen privaten Kreditgebern dreimal so hoch seien wie bei chinesischen Banken – und dies zu rund doppelt so hohen Zinsen.
Zurück nach Duisburg. Noch immer rollen Züge aus China an, doch bedeutend weniger als etwa im Jahr 2021, als pandemiebedingt besonders viele Waren aufs Gleis verlegt wurden. Der Krieg in der Ukraine belastet die Verbindung, da viele Logistiker dazu neigen, Russland zu umfahren – und andere Routen als die nach Duisburg nehmen. Doch langfristig gibt sich die Ruhrstadt optimistisch, noch mehr von der Seidenstraße zu profitieren. Markus Bangen, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Hafen AG, formulierte es zum Jahreswechsel so: „Die Seidenstraße ist lebendiger denn je.“
Titelbild: China Road&Bridge Corporation Xi / eyevine / laif