Im Segen liegt manchmal auch schon der Fluch. Bewohner und Gäste Pekings, die Tickets für die olympischen Schwimmwettbewerbe ergattert haben, werden früh aufstehen müssen in der zweiten August-woche. Die Finals im Wasser finden nämlich ab neun Uhr morgens statt. So wollte es der US-Fernsehsender NBC, der rund 900 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte der Spiele zahlt. Deren größte Story, zumindest für Amerikaner, ist der Versuch ihres Schwimmstars Michael Phelps, als erster Olympionike acht Goldmedaillen bei denselben Spielen zu gewinnen – natürlich zur besten amerikanischen Sendezeit.
In der Schwimmerszene wurde kurz ge-grummelt, danach machte man sich an die Arbeit. Doch was wie ein großes Ärgernis klingt, ist für viele Sportarten mittlerweile eher ein Luxusproblem. Denn die Schwimmer finden bei den Olympischen Spielen wenigstens statt in den Medien. Lang vorbei sind die Zeiten, als die Sportschau der ARD jeden Sonntag ein Panoptikum des Sports sendete. Radball, Dreibandbillard, Traber des Jahres – es war nicht immer spannend, aber doch kurios. Dann kam das Privatfernsehen, das sich auf quotenträchtige Events konzen-trierte. Und nun flimmert auch über öffentlich-rechtliche Sender dieselbe Monotonie: Fußball, Fußball, Fußball, Formel 1, dann noch mal Fußball, ein bisschen Boxen und im Winter Biathlon.
Die Welt des deutschen Sports ist eine Drei-klassengesellschaft. Oben steht der Fußball, der jährlich Hunderte Millionen Euro mit Fernsehrechten generiert und dafür bereitwillig den Spielplan zerpflückt. Dann kommen Sportarten, die ausreichend massentauglich sind, um ebenfalls Abnehmer zu finden. Und dann der Rest, der umgekehrt seine Rechte kostenlos anbietet, den aber trotzdem niemand übertragen will. Gemeinsam ist allen: Die Abhängigkeit vom Fernsehen ist total. Ohne Fernsehen keine Sponsoren, ohne Sponsoren kein Geld, ohne Geld kein Sport. Da werden schon mal ganze Veranstaltungen abgesagt, weil sich kein Sender finden lässt – wie zum Jahreswechsel die deutschen Etappen der Tour de Ski der Langläufer.
Auch an den Sportarten selbst wird herumgedoktert. Im Volleyball punktet jetzt nicht mehr nur, wer Aufschlag hat, im Tischtennis sind die Bälle größer und die Sätze kürzer, im Beachvolleyball wurden die Frauen zu knapper Wäsche verpflichtet. Mancher Sport droht in seiner Reformhektik die Identität zu verlieren – bringen tut es meist trotzdem nichts. „Der Wettbewerb an sich muss schon eine gewisse Stärke haben“, sagt Carsten Schröer, Medienwissenschaftler und Berater von „Sport + Markt“. Um dauerhaft zu reüssieren, müsse eine Sportart zudem interne Kriterien des Fernsehens erfüllen, etwa einen „seriellen Charakter“ haben. „Das Publikum verlässt sich auf etwas“, sagt Schröer, „das ist beim Sport nicht anders als bei der Super Nanny“. Beispielsweise die Champions League im Fußball oder die Formel-1-WM: Mittwochs um 20.45 Uhr und sonntags um 14 Uhr werden Fortsetzungsromane geschrieben – und es gibt immer etwas zu sehen.
Das wichtigste Verkaufsargument bleibt dabei der nationale Bezug – der Sport ist eines der letzten Refugien, das „einer Nation Anlässe gibt, sich selbst als Gemeinschaft zu empfinden“, wie Schröer es ausdrückt. Entlang des deutschen Erfolgs oder Misserfolgs laufen die Konjunkturzyklen eines Sports, und die anti-zipiert kein Sender besser als RTL. Als sich etwa im Skispringen eine Ära deutscher Dominanz abzeichnete, kaufte RTL die Rechte und vermarktete den Schanzenzirkus als Formel 1 des Winters: Der beste Moderator (Günther Jauch) wurde abgestellt, die Springen durch begleitende Berichte in Nachrichtensendungen und Magazinen zu Ereignissen von epochaler Bedeutung hochgejubelt. Mittlerweile hüpfen die Deutschen nur noch hinterher – natürlich nicht mehr bei RTL.