Für den fluter zum Thema Geschlechter hat unser Autor Arno Frank einen Artikel über geschlechtergerechte Sprache geschrieben – und sich dafür entschieden, die meisten der feministischen Entwürfe, wissenschaftlichen Vorschläge und akademischen Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache in seinem Text nicht zu verwenden.

Wie liest sich sein Artikel, wenn sie doch beachtet werden? Ash Brugger und Leo Yannick Wild haben „Da tanzen sie, die Studierenden“ für uns geschlechtergerecht geremixt. Ihre Ergänzungen sind grün hervorgehoben, in den Fußnoten erklären sie, warum sie bestimmte Formulierungen geändert haben oder problematisch finden. Vorweg sei verraten: Es geht ihnen längst nicht nur um Unterstriche (Gender Gaps) und Sternchen.

So liest sich der Artikel, wenn die Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache beachtet werden:

Dieser Text handelt von der schwierigen Suche nach einer Sprache, die allen Geschlechtern gerecht wird. In den folgenden Zeilen werden die meisten der feministischen Entwürfe, wissenschaftlichen Vorschläge und akademischen Regeln für eine geschlechtergerechte Sprache aber nicht verwendet. Womit 
wir durch eine stilistische Entscheidung flugs zum Kern des Problems vorgedrungen wären.

Erbittert wird darüber gestritten, was unter einem fairen Sprechen und Schreiben zu verstehen ist. Manchmal gerät ein Text wird Autor_innen schon unter Sexismusverdacht vorgeworfen, wenn er sie sich an den „lieben Leser“ wendetn, nicht aber ausdrücklich auch an die mindestens ebenso „liebe Leserin“.(1) Wer beide binären(2) Geschlechter meint, sollte sie auch ansprechen(3) und wäre dann mit einem herzlichen „Liebe Leserin, lieber Leser“ auf der sicheren Seite. Noch griffiger gerechter wäre eine geschlechtsneutrale Variante, etwa das substantivierte Partizip Präsens: „Liebe Lesenden“, denn dann wären auch Menschen miteinbezogen, die sich im zweigeschlechtlichen System nicht einordnen können oder wollen.

In diesem Sinne verschwinden an Universitäten in ganz Deutschland allmählich die „Studentenwerke“, weil „der Student“ offensichtlich männlichen Geschlechts ist. Es handelt sich um ein generisches Maskulinum, bei dem die männliche Form das andere binäre Geschlecht generös mitmeinten soll – auch, wenn inzwischen bereits eine ganze Reihe von Studien zeigte, dass das letztendlich nicht der Fall ist. Durch MRT-Aufnahmen wurde beispielsweise nachgewiesen, dass selbst Frauen, die versichern, sich mitgemeint zu fühlen, sich von Bezeichnungen im generischen Maskulinum eben doch nicht angesprochen fühlen.(4) Mit der Verwendung des generischen Femininums („Studentinnenwerk“) ist es daher natürlich nicht getan. Und deshalb gibt es bundesweit immer mehr Studierendenwerke. So ein Studierendenwerk entspricht dem Gender Mainstreaming, also der Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

Doch es regt sich Widerstand gegen die „forcierte Gendersprache“.(5) Linguist_innen ohne politische Hintergedanken weisen zu Recht auf die Tücken des Partizip Präsens hin. Die Studentin bleibt eine Studentin, auch wenn sie gerade ihre Eltern besucht. Studierende ist sie nur im Hörsaal oder in der Bibliothek, wenn sie sich gerade ihrem Studium widmet. Abends auf der Party ist sie vielleicht eine tanzende Studentin, ganz sicher aber keine tanzende Studierende – es sei denn, sie hat ihre Bücher beim Tanzen dabei.

Dämlich kommt nicht von Dame, sondern vom lateinischen Wort für betrunken(6)

Seit den 1970er-Jahren geben feministische Sprachwissenschaftler_innen(7) zu Recht zu Bedenken, dass die Sprache seit Jahrhunderten zugunsten der Männer vorgeprägt ist. Und fordern, dass sich ein modernes Verständnis vom Verhältnis Frau zu Mann auch in der Sprache abbilden sollte. Besonders umstritten aber bleiben Neuschöpfungen, die etwa die Herkunft eines Begriffs ignorieren. Als Beispiel für die patriarchale Abwertung der Frau wird gern das Adjektiv „dämlich“ genannt. Es klingt nur nach „Dame“, tatsächlich leitet es sich vom lateinischen Wort „temulentus“ (betrunken) ab. Auch erscheint es auf den ersten Blick konsequent, „man“ kurzerhand durch „frau“ oder „mensch“(8) zu ersetzen – doch das Althochdeutsche meinte damit ohnehin „irgendeinen beliebigen Menschen“, Es klingt nur wie Mann denn „Mann“ und „Mensch“ wurden ursprünglich synonym verwendet.(9) Eine weitere Alternative ist die Verwendung von „eins“, in einem Beispielsatz: „Das kann eins so oder so sehen.“

Wie ein reaktionärer Pedant Sehr reaktionär und pedantisch wiederum klingt, wer unter Hinweis auf linguistische Feinheiten eine Verarmung des Deutschen beklagt. Was spricht gegen den Versuch, den Sprachwandel in eine Richtung zu lenken, an der kein vernünftiger(10) Mensch etwas auszusetzen haben kann? So hat sich das überflüssige „Fräulein“ bereits selbst entsorgt, der „Lehrling“ unmerklich durch den „Auszubildenden“ ersetzen lassen. Geht doch!

Ob wir aber einer gerechteren Gesellschaft durch sprachliche Kosmetik tatsächlich näher kommen, muss sich noch weisen. Fragwürdig bleibt die Prämisse der geschlechtergerechten Sprache, die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese, nach der das Denken eines Menschen durch Grammatik und Wortschatz beeinflusst wird. Diese Theorie ist weder belegt noch bewiesen. Viele Sprachforscher_innen halten das Sprechen für ebenso wirkmächtig wie das Handeln. Sie reden von „Sprachhandlungen“, mit denen sich bestimmte Situationen angeblich in erwünschter Weise verändern lassen. Allerdings sind sogar abwertende Begriffe wie „Neger“ und „Zigeuner“(11) für beispielsweise Schwarze oder Sinti und Roma längst allgemein geächtet – rassistische Abwertung gibt es aber immer noch. Ein Problem, das aus der Sprache entfernt wurde, bleibt womöglich ein Problem.(12)

Ein Problem, das aus der Sprache entfernt wurde, bleibt womöglich ein Problem

Mit der sprachlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau ist es eh nicht getan, wenn weil(13) es daneben noch viele andere Geschlechtsidentitäten gibt. Das Binnen-I etwa in „LeserIn“, einst als Errungenschaft gefeiert, wird heute wegen seiner Annahme der Zweigeschlechtlichkeit oft abgelehnt. Wer alle nur denkbaren Geschlechteridentitäten in seine Ansprache einbeziehen möchte, kann den als „Gender Gap“ bezeichneten Unterstrich verwenden und die „Leser_innen“ ansprechen, je nach Lehrmeinung auch die „Le_serin“ oder die „Leser*n“ wobei der Unterstrich wie in „Le_serin“ auch als dynamischer Unterstrich an verschiedenen Stellen im Wort gesetzt werden kann, um die Zweigeschlechtlichkeit noch stärker infrage zu stellen. Eine Alternative zum Unterstrich ist ein Asterisk/Sternchen, das aus dem Computer-Bereich bereits als Platzhalter bekannt ist, und von vielen Menschen aus ästhetischen Gründen bevorzugt wird. 
Beim Sprechen wird an der Stelle von Unterstrich oder Sternchen eine kurze Pause gemacht. Eine Professorin in Berlin Ein Mensch mit Professur an der Humboldt Universität Berlin(14) will gängige Geschlechtervorstellungen durchkreuzen und firmiert bereits unter „Professx“. Gesprochen wird das als „Professix“.

So ein spielerisches Sprachregime lässt sich an der Akademie errichten, doch schon Unternehmen halten sich spürbar zurück. Und es ist mehr als fraglich, ob es radikale Vorschläge wie „Professx“ jemals in den allgemeinen Sprachgebrauch schaffen.

Wer es aber befürwortet, muss kein „Gender-Irrer“ sein.(15) Wer sich dagegen sträubt, ist nicht zwangsläufig ein_e Sexist_in und vielleicht ist die Schärfe der Auseinandersetzung auch ein gutes Zeichen. Denn das offene Geschlechterverhältnis unserer Tage ist nicht nur historisch beispiellos. Es ist auch sprachlos. Damit das nicht so bleibt, gilt vor allem eins: Wir müssen reden.

Erläuterungen:

1 Hier eine andere Perspektive auf den Fakt, dass manche Verfasser*innen nicht über  „Liebe Leser“ hinaus texten: “Oft machen sich Verfasser*innen nicht die Mühe, geschlechtliche Vielfalt auch sprachlich sichtbar zu machen, und belassen es bei 'Liebe Leser'. Sie reflektieren nicht ihr Privileg, auf sprachliche  Sichtbarmachung aller Geschlechter verzichten zu können und trotzdem abgedruckt zu werden.” (LYW)

2 Ist „binären“ hier nicht enthalten, impliziert das, es gäbe nur zwei Geschlechter. (AB) / Hallo Zweigeschlechternorm. (LYW)

3 Das geht inklusiver: „Wer alle Geschlechter meint, sollte sie auch ansprechen.“ (Und wer sie nicht alle meint, sollte sich fragen, warum nicht – lebenslanges Lernen lohnt sich). Gelungene Beispiele dafür, sich eine inklusivere Sprache anzueignen, bieten z.B. Amnesty international/Schweiz, die im mehrsprachigen Land eine auch in mehreren Sprachen funktionierende Methode gefunden haben, ihre Kontakte zu adressieren, ohne sie in nur zwei Geschlechterboxen zu pferchen; und auch die Berliner Landesantidiskriminierungsstelle kommt mit folgender Anrede einer inklusiveren Sprache näher: „Sehr geehrte Menschen“. (LYW)

4 Mehr dazu zum Beispiel hier und hier. (AB)

5 Dieser „Widerstand“ nimmt oft ein unerträglich gewaltvolles Maß an, das in keiner Relation zur von den dermaßen „Widerständigen“ fantasierten “forcierten Genderspache” steht, daher ist der Begriff für das umschriebene Phänomen zu schwach. Genauso gut könnten die radikalignoranten, beleidigenden Auswüchse z.B. in Leser*innenkommentaren in ihrer ganzen Aggressivität betrachtet werden, dann lässt sich schnell feststellen, dass „Widerstand“ doch eher eine harmlose Umschreibung ist.  Ein*e Autor*in könnte, statt die „forcierte Gendersprache“ zu hinterfragen, auch die “zementierte Einheitsbreisprache“ problematisieren, deren Nutzer*innen über geschlechtliche Vielfalt „generös“ hinwegsehen. (LYW)

6 Achtung: Das klingt erstmal nachvollziehbar, aber delegitimiert nicht die Kritik, die etwa feministische Sprachwissenschaftler*innen und andere Nutzer*innen von Sprache äußern. Man kann nämlich genauso gut entgegnen: „Wer assoziiert schon 'dämlich' mit 'betrunken'?“ (LYW)

7 Besser: Sprachwissenschaftler*innen – „feministisch“ ist kein Adjektiv, das ausschließlich dem Geschlecht „weiblich“ zugeordnete Menschen für sich beanspruchen, auch nicht in der Sprachwissenschaft. (LYW)

8 Kommt inzwischen noch häufiger vor. (AB)

9 Wie auch im Englischen („Man is evil.“) wurde „Mann“ lange als Synonym für „Mensch“ verwendet, es ist also nicht richtig zu sagen, es bestehe kein Zusammenhang. (AB)

10 Ist nicht direkt unfair in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit, aber die Verbindung zur Vernunft herzustellen, ist problematisch (weil ableistisch, also behindertenfeindlich)– es impliziert, dass Menschen, die die Sache nicht verstehen, einfach nicht vernünftig oder intelligent genug sind. Daher wäre es meiner Einschätzung nach passender, „kein an Fairness interessierter Mensch“, „kein Mensch mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn“ oder Ähnliches zu schreiben. (AB)

11 Die Wörter selbst sollen nicht mehr verwendet und reproduziert werden, auch nicht im vorliegenden Kontext. (AB) / Deshalb sollte man das N-Wort und das Z-Wort auch nicht verwenden, sie sind abwertend und geächtet. Eine hervorragende Analyse zum Thema von Grada Kilomba kann man hier nachlesen. (LYW)

12 Eine zustimmungspflichtige Aussage. Und gleichzeitig doch keine, die den strukturellen Benachteiligungen durch Sprache ansatzweise gerecht wird. Auch und gerade wenn ein „Problem“ (wie die Unsichtbarmachung von Menschen vieler Geschlechter in der Sprache, und die Zementierung männlicher Dominanz in Sprache) sich nicht allein durch sprachliche Alternativen atomisiert, darf die Entwicklung hin zu einer inklusiveren Sprache weitergehen. (LYW)

13 Konditionalsatz stellt es nur als Möglichkeit in den Raum, anstatt es als Tatsache zu behandeln, daher sind „weil“ oder „da“ hier besser. (AB)

14 Lann Hornscheidt ist neutrois, identifiziert sich also nicht als Frau oder als Mann – „Professorin“ ist nicht korrekt (und diskriminierend). Mehr dazu hier und in meinem „Hilfe, ich diskriminiere!“-Blogeintrag. (AB) / Wer „Professorin“ sagt, weist Lann Hornscheidt ein Geschlecht zu, entgegen dem geäußerten und zu respektierenden Willen Hornscheidts. Gleichzeitig sollte hier erwähnt werden, wie gewaltvoll sich auch Journalist*innen in Feuilletons angesichts der Idee “x” erregt haben, nicht nur in der "Jungen Freiheit", sondern wie z.B. "Welt"-Journalist Ulf Porschardt auch über soziale Medien, in schlecht verborgener Lächerlichmachung. Dazu Hornscheidt selber im Interview, als Beispiel für die Komplexität des Themas. (LYW)

15 Formulierungen wie „Gender-Irre“, „Gender-Gaga“, „Genderwahnsinn“ und Ähnliches kommen typischerweise aus der neurechten Szene und sollten nicht reproduziert werden. 
Die Verwendung impliziert, es GÄBE überhaupt „Gender-Irre“ (und ist außerdem ableistisch). (AB)

Ash Brugger (AB) ist genderfluid, hat also eine wechselnde Geschlechtsidentität, und bloggt auf hirngefickt.wordpress.com über Geschlechter(un)gerechtigkeit und andere Diskriminierungsformen. Gender Gaps fand Ash erst total ätzend, liebt sie heute aber heiß und innig und stolpert inzwischen beim Lesen über jedes generische Maskulinum.

Leo Yannick Wild (LYW), Journalist und Politikwissenschaftler, hat für TransInterQueer e.V. die Broschüre „Trans* in den Medien“ konzipiert, die Journalist*innen darin schult, trans* Themen kenntnisreich und sprachlich sauber (d.h. nicht-pathologisierend) zu bearbeiten. Er weiß, dass geschlechtergerechte Sprache erlernbar ist, und belohnt diejenigen, die sie anwenden, zwar nicht mit Keksen, aber mit freundlichem Nicken.

Den Originaltext von Arno Frank ohne Änderungen und Anmerkungen kannst du hier lesen.

Collage: Renke Brandt