Facebook verkauft Daten seiner Nutzer an Werbekunden, das ist hinlänglich bekannt. Seit kurzem aber können sich diese ein ungefähres Bild davon machen: schauen, was Facebook für ihre Interessen hält, und diese Angaben mit wenigen Klicks sogar ändern. Das klingt nach Transparenz, nach einer Optimierung des Systems zugunsten der Nutzer. Als ginge es nur darum, künftig Werbung angezeigt zu bekommen, die die Nutzer nicht völlig unpassend finden.
Eine gute Werbeplattform zu sein ist wesentlicher Teil des Geschäftsmodells des Unternehmens, das im vergangenen Jahr 3,69 Milliarden US-Dollar Gewinn erwirtschaftete. Und das funktioniert nur, weil Facebook möglichst viele und möglichst genaue Informationen über seine Nutzer sammelt und damit individuelle Profile anlegt.
„Jeder der mehr als eine Milliarde Facebook-Nutzer arbeitet im Schnitt mehr als 20 Minuten pro Tag, indem er likt, kommentiert und durch den Newsfeed scrollt.“
– Share Lab
Auf der neu gestalteten „Ad Preferences“-Seite gibt es davon nur einen kleinen Ausschnitt zu sehen. Doch der ist schon interessant genug – auch wenn deutsche Nutzer (noch) nicht nach politischen Präferenzen gelabelt werden, wie es derzeit in den USA geschieht, wo Facebook seine Nutzer irgendwo zwischen „very liberal“ und „very conservative“ verortet, um den Parteien im Präsidentschaftswahlkampf eine zielgenauere Wahlwerbung zu ermöglichen.
Wer sich die Seite anschaut, wird staunen, was es da nicht alles für Schubladen gibt, in die Facebook seine Nutzer steckt. Die Tech-Seite „The Verge“ hat eine Liste mit 282.000 verschiedenen Interessen recherchiert, darunter teils skurrile Stichworte wie Hundekämpfe, MS-DOS und Neid – und Facebook ließ offen, ob die Liste überhaupt vollständig war.
Was auch auffällt: Facebook liegt mit seinen Einschätzungen manchmal erstaunlich richtig, vielfach aber auch ganz schön daneben.
Nur zwei persönliche Beispiele des Autors: Er sieht sich als Atheisten, Facebook unterstellt ihm jedoch eine Bibel-Leidenschaft. Hat er etwa die katholische Schule gelikt, auf die er damals gegangen ist? Oder sein angebliches Faible für Minenarbeiter – kommt das durch seine Ruhrpott-Herkunft?
Doch nicht nur darüber war er erstaunt – so gut wie alles auf dem nebenstehenden Bild kam für ihn ziemlich überraschend.
Nur auf den ersten Blick sind solche Fehlleistungen ein Grund zu Erleichterung oder gar Spott über die Datenkrake, die es scheinbar doch nicht so richtig draufhat.
Es mag in den „Ad Preferences“ den Anschein haben, als wisse Facebook doch gar nicht so viel über seine Nutzer. Das wäre auch nicht weiter verwunderlich, schließlich beruht viel von dem, was da steht, auf Vermutungen. Doch es genügt ein Blick in diese Liste der „Washington Post“, um zu verstehen: Facebook weiß de facto sehr, sehr viel über seine Nutzer.
Das Problem: Nur wenig davon haben die Nutzer durch ein Like oder ihre freiwillig gemachten Profilinformationen explizit mitgeteilt. Die meisten Informationen bezieht das Unternehmen aus anderen Quellen. Es speichert alle Aktivitäten auf Facebook, jeden Klick, Kommentar und Post. Auch die Privatnachrichten werden wohl auf Schlüsselbegriffe durchsucht.
Darüber hinaus verfolgt Facebook durch Cookies und spezielle Code-Schnipsel auch unsere Aktivitäten auf anderen Webseiten – dafür bedarf es nicht einmal eines Facebook-Accounts. Und mit Hilfe von Partnerunternehmen durchkämmt Facebook nicht nur das Netz, es verschafft sich auch Zugriff auf Datenquellen wie Kundenkarten und Abonnements. Eine weitere Fundgrube für Daten aller Art: das Smartphone. Über Apps wie den Facebook-Messenger, WhatsApp und Instagram hat das Unternehmen auch hier Zugriff – und damit auf Kontakte, Aufenthaltsorte, SMS und, und, und…
In der Trilogie „Facebook Algorithmic Factory“ der Internetseite „Share Lab“ wird deutlich, warum das nicht nur hinsichtlich der Privatsphäre der Nutzer mehr als fragwürdig ist: All diese Daten, die die Nutzer generieren und Facebook freiwillig zur Verfügung stellen, sind Facebooks Rohmaterial. Algorithmen verarbeiten es zu Nutzerprofilen weiter, die wiederum zu Werbezwecken verkauft werden und einigen wenigen Menschen unvorstellbaren Reichtum bescheren. Man kann Facebook-Nutzer demnach eigentlich nicht anders sehen denn als Zuarbeiter einer gigantischen digitalen Fabrik. Unbezahlt natürlich.
„Das macht mehr als 300 Millionen kostenlose digitale Arbeitsstunden pro Tag.“
– Share Lab
Warum ermöglicht Facebook seinen Nutzern jetzt also diesen Einblick in die „Ad Preferences“? Wenn Werbung wirklich relevant sei, so heißt es auf der Seite, werde sie nicht mehr als störend, sondern als nützlich wahrgenommen – und nicht mehr geblockt. Und das ist natürlich gut für Facebooks Geschäft. Wie praktisch, wenn die Nutzer dem Unternehmen beim Personalisieren ihrer Werbeeinstellungen noch dazu weitere, noch genauere Daten liefern.
Für die tl;dr-Fraktion: Nutzer können jetzt Werbung loswerden, die sie nicht sehen möchten. Und Werbung bekommen, die sie (vielleicht) lieber sehen möchten. Dem umfangreichen Tracking durch Facebook entkommen sie dadurch freilich nicht. Da bringt es auch nichts, die Privatsphäre-Einstellungen zu verschärfen. Nur der Ausstieg aus dem Netzwerk hilft – und selbst der bewegt Facebook übrigens nicht dazu, wirklich alle gespeicherten Nutzerdaten zu löschen.
Titelbild: Mona Grünewald/Edith images