Am 26. März 2015 sitzt Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa, auf einer Pressekonferenz und muss bestätigen, dass eine Maschine des Tochterunternehmens Germanwings, die zwei Tage zuvor in den französischen Alpen zerschellt war, willentlich zum Absturz gebracht wurde — „mutmaßlich durch den Co-Piloten des Fluges“. Seit dem Absturz ist Spohr immer wieder vor Kameras und Mikrofone getreten, um zu erklären, dass die „Gedanken, Gefühle und Gebete bei den Angehörigen unserer Passagiere und unserer Crew“ seien und den Betroffenen „jede erdenkliche Hilfe“ zuzusagen. Niemand möchte gerade in seiner Haut stecken: Die persönliche Betroffenheit ist Spohr anzumerken, man glaubt ihm sein Entsetzen und sein Mitgefühl, aber aus juristischen Gründen muss er auch jedes Wort auf die Goldwaage legen.
„Steht viel auf dem Spiel, kommen Unternehmen, Institutionen und Organisationen zu uns“
Es sind Fälle wie dieser, für die Burson-Marsteller eine Krisenhotline anbietet, die rund um die Uhr besetzt ist – auch die Lufthansa hat sich im Falle des Germanwings-Absturzes an Burson-Marsteller gewandt. Auf ihrer Website stellt sich die PR-Agentur so vor: „Steht viel auf dem Spiel, kommen Unternehmen, Institutionen und Organisationen zu uns. Wir unterstützen unsere Kunden im Krisenmanagement, bei der Bekanntheitssteigerung oder der Vermittlung ihrer Anliegen im politischen Raum.“ Die konkreten Aufgaben hängen dann von der jeweiligen Situation, also der Art der Krise und der vorhandenen Unternehmensstruktur, ab. So können interne und externe Kommunikationswege aufgebaut, Medienanfragen beantwortet, Social-Media-Kanäle befüllt und beobachtet und Krisenhotlines eingerichtet werden.
Die eigene Bekanntheit konzentriert sich eher auf Fachkreise, aber wenn es in einer breiteren Öffentlichkeit mal um Burson-Marsteller geht, stößt man immer wieder auf die gleichen Beispiele aus der Kunden-Liste der über 60-jährigen Firmengeschichte: Die nigerianische Regierung, der während des Biafra-Kriegs Ende der 1960er Jahre Völkermord vorgeworfen wurde, gehörte ebenso dazu wie der rumänische Diktator Nicolae Ceauşescu (als der in den 1970er Jahren im Westen noch als Türöffner für den Eisernen Vorhang galt), die argentinische Militärjunta unter General Jorge Videla, die Baufirma des Atomkraftwerks Three Mile Island in Pennsylvania, in dem es 1979 zu einer partiellen Kernschmelze kam, der Chemiekonzern Union Carbide, in dessen Fabrik im indischen Bhopal 1984 durch ein Gasleck Tausende Menschen getötet und ebenso viele weitere verletzt wurden, die indonesische Regierung nach den Massakern in Ost-Timor, der Tabakkonzern Philip Morris, der Saatguthersteller Monsanto und das Militärunternehmen Blackwater, nachdem dessen Söldner 2007 in Bagdad 17 Zivilisten erschossen hatten.
Zu den jüngsten Kunden zählen Russland, dessen Sportler teilweise wegen Dopings von den Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen wurden, und die türkische Botschaft in den USA. Die amerikanische Moderatorin Rachel Maddow bezeichnete Burson-Marsteller einmal als „PR-Firma aus der Hölle“ und fasste es so zusammen: „Wenn das Böse Öffentlichkeitsarbeit braucht, hat das Böse Burson-Marsteller auf der Kurzwahltaste.“
Das sieht Alexander Fink naturgemäß anders. Der 49-Jährige ist seit 2014 Deutschlandchef von Burson-Marsteller und spricht von „unterschiedlichen Sichtweisen“ und „Stimmen“, denen Gehör zu verschaffen er für legitim hält — er nennt das „allen Beteiligten eine Plattform bieten“. Die berühmt-berüchtigten Beispiele seien Teil der Unternehmensgeschichte, zu denen er sich aus heutiger Sicht keine Bewertung erlaube. Heute arbeite das Unternehmen transparent im Rahmen seiner ethischen Richtlinien, sehe sich aber auch als „Agentur für heikle oder schwierige Kommunikationsaufgaben“, die andere Agenturen vielleicht nicht angehen würden.
Wegen Personalknappheit sind Journalisten dankbar für die Handreichungen von Burson-Marsteller
Die Rolle seiner Firma in der Krisenkommunikation beschreibt er als „Mittler hin zu den Medien“. Der heute 96-jährige Agenturgründer Harold Burson vergleicht die Aufgabe seiner Leute gern mit der eines Stürmers, der versucht, einen Ball ins Tor zu schießen, während die Journalisten die Torwarte seien, die genau das verhindern müssten. Auch Alexander Fink sieht seine Arbeit sportlich und rühmt den „kritischen Dialog“ mit vielen Journalisten, bemerkt aber gleichzeitig, dass sich die Personalsituation in vielen Medienhäusern stark verändert habe und Journalisten gerade bei komplexeren Themen dankbar für die Handreichungen seien, die Burson-Marsteller im Auftrag der Kunden erstellt hat.
Ein Umstand, den LobbyControl besonders kritisch sieht: „Die PR-Welt ist heutzutage in vielen Fällen deutlich besser ausgestattet als die Medienwelt“, sagt Nina Katzemich. Sie arbeitet für den Verein, der die Arbeit von Interessenverbänden kritisch beobachtet, und beschäftigt sich seit längerem mit Burson-Marsteller. Sie sieht auch einen Unterschied zwischen alltäglicher Öffentlichkeitsarbeit und solcher in Krisenzeiten eines Unternehmens: „Natürlich kann sich ein Unternehmen professionelle Unterstützung bei Strategien und Kontakten suchen, das ist zunächst mal nicht verwerflich.“ Das Thema Krisen-PR sei „schon deutlich kritikwürdiger, weil es hier sehr oft darum geht, Fakten zurückzuhalten, Fehler zu vertuschen, Gefahren nicht zu benennen oder bereits bekannte Fakten wieder in Zweifel zu ziehen.“
Alexander Fink hingegen betont, dass es in der Krisenkommunikation nichts bringe, die Wahrheit nur scheibchenweise zu präsentieren, gar zu lügen oder anderen die Schuld geben zu wollen: „Diese Dinge funktionieren in der Krisenkommunikation nicht. Die funktionieren vielleicht ganz kurz und dann kracht das alles zusammen.“
Es gehe bei Krisen-PR auch darum, die Wahrheit zu stückeln und zu verzerren
Ist die Arbeit in der Krisen-PR also mit der eines Strafverteidigers zu vergleichen, der ja auch versucht, mit den Mitteln des Rechtsstaats das Beste für seinen Mandanten herauszuholen? Ein bisschen schon, sagt Nils Klawitter vom Wirtschaftsressort des „Spiegel“. Auch er schreibt schon lange über Burson-Marsteller und vergleichbare Agenturen. Er sagt aber auch, dass es bei Krisen-PR auch darum gehe, „die Wahrheit zu stückeln und zu verzerren“. Klawitter zitiert dabei den Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten, der in Bezug auf Public Relations von der „Elastizität von Wahrheit“ gesprochen hat, und fügt hinzu: „PR-Leute wollen ja meist gar nicht die ganze Wahrheit präsentieren — erstens wäre die zu komplex und zweitens nicht gut für den Klienten.“
Aber wer holt sich eigentlich für viel Geld so eine Unterstützung? Burson-Marsteller hat seine eigenen Ethik-Richtlinien, hinzu kommen die „Sieben Selbstverpflichtungen“ der Deutschen Public Relations Gesellschaft. In den USA müssen Tätigkeiten für fremde Regierungen beim Justizministerium angemeldet werden.„Die würden wahrscheinlich nicht für Nordkorea arbeiten, aber für fast alle anderen“, stellt Nils Klawitter lachend fest und ordnet das Ganze so ein: „Natürlich kann man sagen, dass solche Aufträge ethisch fragwürdig sind, aber sie sind ja nicht verboten. Deutsche Regierungspolitiker treffen ja auch viele Potentaten, warum sollen Agenturen also nicht für die arbeiten? Da ist dann tatsächlich der Journalismus gefordert, solche Beziehungen aufzudecken!“
Dass seine Gegenspieler, die Journalisten, in Zeiten von Social Media irgendwann komplett überflüssig werden könnten, kann sich auch Alexander Fink nicht vorstellen: „Es wird weiterhin wichtig sein, korrektiv Bewertungen und Einordnungen zu haben. Es gibt nicht mehr nur drei Fernsehprogramme und einige ausgewählte Medien, sondern viele unterschiedliche Kanäle. Gerade in Zeiten von Fake News muss sich jedes Medium seine Glaubwürdigkeit neu verdienen.“ Das klingt fast, als sollten Sender oder Verlage bald selbst die Dienste von Burson-Marsteller in Anspruch nehmen? „Von der Herausforderung her wäre das ein super-spannendes Mandat!“
Illustrationen: Jannis Pätzold