Sie haben Kultstatus in der Türkei: Satiremagazine wie LeMan und Uykusuz liegen an jedem türkischen Kiosk aus und hatten zu ihren Hochzeiten Millionenauflagen. Einmal in der Woche kommentieren sie die Lage im Land mit bissigen Karikaturen. In Zeiten, in denen die Regierung kritische Stimmen in der türkischen Presselandschaft immer stärker einschränkt, werden die Karikaturen in den sozialen Medien tausendfach geteilt.
Die Dokumentarfilmerin und Journalistin Sabine Küper-Büsch, die in Istanbul lebt und sich seit Jahren mit türkischen Karikaturen beschäftigt, hat nun eine Anthologie über aktuelle Satire aus der Türkei herausgegeben. In „Schluss mit Lustig“ hat sie die Arbeiten von 46 Zeichnern zusammengetragen und kommentiert.
Schon im Osmanischen Reich machten sich Satiremagazine über den despotischen Sultan Abdülhamid II. lustig, der heute eines der Vorbilder von Präsident Erdoğans ist. Der Sultan hatte eine große Nase und zensierte aus Angst vor Spott das Wort Nase neben anderen Begriffen wie Freiheit und Brüderlichkeit. Als Reaktion auf diese Zensur gerieten unzählige Zeichnungen von Nasen in Umlauf. Die Nase wurde zum Symbol für despotische Herrscher – und Karikaturen eine subversive Form, die Mächtigen zu kritisieren, indem man über sie lacht.
Im andauernden politischen Ausnahmezustand geraten auch die Karikaturisten zunehmend unter Druck
Frauenrechte, Wahlbetrug, Machtmissbrauch: Die Satiremagazine thematisieren Missstände im Land schonungslos. Ihren Reiz beziehen die bunten Zeitschriften daraus, dass sie ihre Kritik in wenigen Strichen metaphorisch auf den Punkt bringen. Damit stoßen sie den Mächtigen nicht zu sehr vor den Kopf – und die Leser verstehen die Anspielungen trotzdem. Deshalb wurden Satiremagazine über Jahrzehnte hinweg quer durch alle Bevölkerungsschichten gelesen.
In politischen Umbruchzeiten schossen die Verkaufszahlen der Satiremagazine in die Höhe. Nach dem Militärputsch im Jahr 1980 hatte die 1972 gegründete Karikaturzeitschrift Gırgır eine Auflage von einer halben Million und war damit weltweit eines der meist verbreiteten Satiremagazine. In den Jahren nach dem Putsch wurden Kurden, Gewerkschaftler und Linke verhaftet. Tausende Oppositionelle wurden in den Gefängnissen gefoltert oder flohen ins Ausland. Die Karikaturen halfen den Menschen in der Türkei, die Repressionen der Militärjunta gegen Regierungskritiker mit Ironie zu verarbeiten. Ihr letztes Verkaufshoch erlebten Satiremagazine im Jahr 2013 nach den Gezi-Protesten, die getragen waren vom Humor einer jungen, neu politisierten Generation.
„Im Moment fühle ich mich, als würde ich selbst in einer Karikatur leben. Was wir hier erleben, ist grotesk.“ Karikaturist Musa Kart
Im andauernden politischen Ausnahmezustand geraten auch die Karikaturisten zunehmend unter Druck. In der polarisierten Gesellschaft nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016, in der viele Journalisten, die sich regierungskritisch äußern, als Terroristen verdächtigt werden, arbeiten sie unter äußerster Vorsicht, bis hin zur Selbstzensur, wie Sabine Küper-Büsch im Vorwort des Bandes schreibt. Immerhin sitzen aktuell mehr als 150 Journalisten in der Türkei im Gefängnis – auch der Deutsch-Türke Deniz Yücel.
Um bis zu 75 Prozent sind die Auflagen zurückgegangen
Musa Kart, Karikaturist der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet, wurde im Oktober 2016 zusammen mit seinen Cumhuriyet-Kollegen angeklagt und verhaftet. Ihnen wurde, wie den meisten derzeit inhaftierten Journalisten, die Unterstützung terroristischer Vereinigungen vorgeworfen. Bei seiner Verhaftung sagte Musa Kart: „Im Moment fühle ich mich, als würde ich selbst in einer Karikatur leben. Was wir hier erleben, ist grotesk.“ Ende Juli wurden sieben von ihnen vorläufig aus der Haft entlassen, darunter auch Kart. Die nächste Anhörung vor Gericht ist auf den 11. September angesetzt.
Gegen zwei Titelblätter von Uykusuz zum Referendum im April wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Penguen, neben Uykusuz und LeMan eines der erfolgreichsten Satiremagazine der Türkei, wurde im Mai wegen sinkender Verkaufszahlen eingestellt. Auch das hat teilweise politische Gründe. Vertriebe und Kioske verweigern schon mal die Zusammenarbeit, besonders dann, wenn bissige Erdoğan-Karikaturen auf dem Cover sind, so Sabine Küper-Büsch. Die Folge: Außerhalb der Großstädte Istanbul, Antalya und Izmir seien die Magazine kaum mehr zu bekommen. Um bis zu 75 Prozent seien die Auflagen zurückgegangen, schreibt Der Spiegel.
Die humorvolle Aufbruchsstimmung der Gezi-Proteste scheint einer tiefen Hoffnungslosigkeit gewichen.