Böses Erbe
Wer sich über Lohn- und Gehaltsunterschiede bei Frauen und Männern aufregt, müsste sich zuerst mal übers Erben Gedanken machen, meint unser Autor Bernd Kramer. Denn da geht die große Masse leer aus
Manchmal zählt meine Mutter auf, was alles einmal mir gehören soll: das Haus in meinem Heimatort und etwas Geld. Manchmal bemerke ich dann, dass ich Erben eigentlich für eine ungerechte Sache halte, und stoße auf Unverständnis. Was soll daran falsch sein, wenn Eltern ihren Kindern etwas hinterlassen? Müsste ich nicht dankbar sein, statt eine Grundsatzdebatte am Küchentisch anzuzetteln?
Über den Tod kann man nicht sachlich reden
Damit sind wir beim Problem: Über das Thema lässt sich kaum sachlich reden. Das Erben ist mit Tod und Tränen verbunden und daher mit einem Tabu belegt; es wird zum Herzensdienst verklärt, obwohl es in erster Linie ein ökonomischer Transfer wie jeder andere auch ist: Vermögen wechselt den Besitzer. Aus pietätvoller Zurückhaltung verkennen wir, dass dieser Transfer einer ist, der einer zentralen Gerechtigkeitsvorstellung unserer Gesellschaft zuwiderläuft: Wer etwas bekommt, soll dafür etwas getan haben. In welche Familie ich allerdings geboren werde, ist nicht meine Leistung. Meine Eltern habe ich mir nie erarbeitet.
Man muss nicht glauben, dass Löhne und Gehälter in diesem Land nach Einsatz und Verdienst bemessen würden; ich glaube das nicht. Aber ein Erbe ist erst recht leistungslos, es fällt einem zu, ohne jede Anstrengung. Es ist merkwürdig, dass ausgerechnet die liberalen Kräfte, die hierzulande so gern die Leistungsgerechtigkeit hochhalten, sich zur Erbschaft ausschweigen.
Die Verklärung des Erbens zur Familienfrage lässt einen schnell übersehen, was für gewaltige Ungleichheiten es schafft. Ökonomen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin schätzen, dass jedes Jahr in Deutschland durchschnittlich 200 bis 300 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt werden – ein Drittel dieser Summe fällt dabei auf gerade einmal 1,5 Prozent aller Erben, die jeweils über 500.000 Euro erhalten. Selbst mit einem kleinen Haus würde ich schon zur reicheren Hälfte zählen, denn gut 50 Prozent aller Erben bekommen weniger als 50.000 Euro. Die Mehrheit geht fast oder ganz leer aus, eine winzige Gruppe wird ohne eigenes Zutun mit einem Vermögen überhäuft, das jede Vorstellungskraft sprengt. Das soll man ernsthaft auf sich beruhen lassen?
Wir regen uns über Unterschiede beim Entgelt auf, etwa darüber, dass Frauen für die gleiche Arbeit immer noch weniger Geld bekommen. Alles richtig. Noch viel mehr sollten wir uns aber über die krassen Ungerechtigkeiten beim Erbe empören. Wir kämpfen dafür, dass jedes Kind unabhängig von seiner Geburt möglichst die gleichen Chancen hat, dass nicht Bildungs- und Kontostand der Eltern darüber entscheiden, wer Professor wird und wer Hilfsarbeiter. Aber solange wir nicht auch ans Erbe gehen, sind das vergleichsweise Tippelschritte auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft.
Fettes Erbe dank Stiftung Familienunternehmen
Aufs Erbe zahlt man hierzulande kaum Steuern, im Schnitt sind es gerade einmal drei Prozent des gesamten Erbschafts- und Schenkungsvolumens. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer zahlt aktuell von seinem Bruttolohn 33,7 Prozent an den Staat und die Sozialkassen. Es ist übrigens mitnichten so, dass der Staat sich grundsätzlich aus dem Familienleben seiner Bürger heraushielte und für ihn deswegen aus Prinzip auch das Erbe unantastbar sein müsste. Er gewährt Steuerfreibeträge für Kinder, zahlt Elterngeld, setzt die Schulpflicht durch. Es ist mächtigen Lobbyisten wie der Stiftung Familienunternehmen zu verdanken, dass sich in Deutschland so ungestört vererben lässt.
Sie tun das mit irreführenden Argumenten. Das ererbte Vermögen sei ja bereits versteuert worden, weil der Verstorbene sein Leben lang Einkommensteuer zahlte, heißt es dann oft. Genau genommen wird aber nicht der Vererbende zum zweiten Mal, sondern der Erbe zum ersten Mal besteuert – ein großer Unterschied. Davon abgesehen: Doppelte Steuern entrichten wir ständig, etwa wenn wir von unserem bereits versteuerten Lohn in den Supermarkt gehen und auf unsere Einkäufe Mehrwertsteuer zahlen. Auch muss man auf Erträge aus Kapitallebensversicherungen, die ab dem 1. Januar 2005 abgeschlossen wurden, Steuern zahlen, obwohl die Beiträge vom Nettolohn bestritten werden.
Nichts garantiert, dass Blutsverwandte fähige Unternehmer sind
Ein anderes Argument lautet:
Die Erbschaftsteuer schade Familienunternehmen. Mag sein. Aber warum sollte die Geschäftsübertragung von den Eltern auf die Kinder ein schützenswerter Vorgang sein? Nichts garantiert, dass Blutsverwandte fähige Unternehmer sind. Man kann eine Firma auch an einen kompetenten Nachfolger verkaufen. Vor allem gelingt es den Lobbyisten gut, die Familienseligkeit der Bevölkerung für ihre Interessen zu missbrauchen. Allein ein Verbandsname wie Stiftung Familienunternehmen beschwört romantische Bilder herauf, man denkt sofort an eine brave Vereinigung inhabergeführter Handwerksbetriebe, die wie zu Urzeiten traditionell vom Vater an den Sohn übergeben werden. In Wahrheit dürfte es sich bei der Stiftung um eine Anti-Erbschaftsteuer-Kampforganisation der Großindustrie handeln, wie die NGO LobbyControl vergangenes Jahr nachrecherchierte: Im Kuratorium finden sich kaum Mittelständler, dafür viele schwerreiche Mitglieder von Eigentümerfamilien oder Vertreter von familiengeführten Großunternehmen.
Sobald auch nur eine Debatte über die Erbschaftsteuer aufkeimt, denken alle panisch, der Staat wolle das Häuschen einkassieren und Eltern und Kinder entzweien. Dass es vor allem um die vielen Milliarden Euro weniger geht, geht unter. Die Superreichen dürften sich über unseren Hang zum ungestörten Familienglück die Hände reiben.
Bernd Kramer ist Journalist und potenzieller Erbe eines Hauses. Aber bis dahin dauert es hoffentlich noch sehr lange. Was er mit dem Erbe macht, weiß er noch nicht. Selber wieder einziehen wird er wohl eher nicht.
Gutes Erbe
Nichts ist falsch daran, Vermögen an die nächste Generation zu übertragen. Im Gegenteil, die Gesellschaft profitiert davon, glaubt unsere Autorin Laura Díaz. Und der Staat muss sich nicht in alles einmischen
Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit macht viele Menschen nachdenklich. Manche treibt es an: Nach dem Tod soll etwas übrig bleiben von einem. Und zwar mehr als nur Erinnerungen. „Dass am Ende dieses Lebens mehr als ’ne Trophäe bleibt“, rappt der deutsche Sänger Cro in seinem Song „Unendlichkeit“. Der Wunsch, den Nachfahren etwas zu hinterlassen, ist groß. Rund jeder zweite Deutsche, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, ist fest entschlossen, seinen Liebsten etwas zu vererben.
Die einen gründen ein Unternehmen, um es ihren Kindern eines Tages zu überlassen. Andere wollen nach ihrem Ableben ihr Haus im sicheren Familienbesitz wissen. So oder so: Es geht um Geld, um Vermögen, welches von einer Generation in die andere transferiert werden soll. Dieser Wunsch ist legitim und verständlich.
Wer Erben unfair findet, neigt zur Missgunst
Doch bei diesem privaten Moment, dem Erben, dem ja das Sterben einer Mutter, eines Vaters oder eines anderen Verwandten vorangeht, spalten sich die Geister. Als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 das Erbschaftsteuerrecht in seiner damaligen Form für weitgehend unzulässig erklärte, entbrannte eine gesellschaftliche Debatte ums Erben. Obwohl sich im September 2016 Bund und Länder auf eine Reform des Erbschaftsteuergesetzes einigten, kam auch bei der jetzigen Bundestagswahl erneut die leidige Frage auf: Ist Erben gerecht?
Die Antwort lautet: Ja. Diejenigen, die glauben, verschenktes Vermögen fördere die soziale Ungleichheit, neigen zur Missgunst. Für manche Menschen ist es unerträglich, dass andere reicher werden, obwohl sie augenscheinlich für dieses Geld nichts geleistet haben. Genauso gut kann man sich darüber ärgern, dass die Nachbarin bessere Gene vererbt bekommen hat.
Kurzum: Man kann den Neid auf die Ungleichheit ad absurdum führen. Nicht zu Unrecht wird die Erbschaftsteuer auch „Neidsteuer“ genannt. Manche Menschen können mit dem geerbten Geld tatsächlich große Sprünge machen, andere vielleicht nur einen Kurzurlaub an der Ostsee. Fakt ist: Laut der eingangs zitierten Umfrage hat mehr als jeder dritte Erwachsene in Deutschland schon einmal geerbt.
Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, eines Tages in die Rolle des Nehmers als auch des Gebers zu schlüpfen. Beides ist mit Hoffnungen und Gefühlen verknüpft. Es ist kein Wunder, dass das Thema Erbe in William Shakespeares „König Lear“ oder Thomas Manns „Buddenbrooks“ behandelt wird und somit den Eingang in die Weltliteratur geschafft hat. Erben ist ein ewiges Motiv.
Ohne Erbe wäre vieles nicht möglich
Wer meint, Erben sei etwas Verächtliches, möge an die eigenen Eltern denken: Wie zufrieden diese sein werden, wenn sie für ihre Kinder und Kindeskinder so viel Erspartes zur Seite gelegt haben, damit es ihnen besser geht, als es ihnen selbst ging. Damit sie sich etwas Gutes leisten können. Was ist daran falsch, wenn Mama und Papa genug dagelassen haben, damit man sich beispielsweise schon mit 43 Jahren eine Eigentumswohnung in Frankfurt oder Berlin-Mitte leisten kann? Selbst wenn man noch eigenes Geld drauflegen muss. Ohne geerbtes Vermögen wäre vieles heutzutage nicht möglich.
So sparen viele Familien nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern wollen auch die nachfolgende Generation an ihrem wirtschaftlichen Erfolg teilhaben lassen. Ist das denn so schlimm? Und vor allem: Was wäre die Alternative? Sollen Eltern ihr ganzes Geld verpulvern, soll Vermögen erst gar nicht angehäuft werden? Ausgerechnet für die Generationen Y bis Z, die in naher Zukunft den demografischen Wandel hart zu spüren bekommen werden, wäre das fatal.
Vererben ist ein Akt der Freiheit
Für die junge Generation ist es in Zeiten von explodierenden Mietpreisen und spätem Berufseintritt sowieso schon schwer, ein finanzielles Polster aufzubauen. Das Erbe kann ein stabilisierender Faktor für die Volkswirtschaft sein, so wie es in der Vergangenheit schon entscheidend zum Erfolg zahlreicher Familienunternehmen im deutschen Mittelstand beigetragen hat.
Vererben ist ein Akt der Freiheit und Liebe vor dem letzten Atemzug. Selbst wenn Letzteres nicht zutrifft: So manche Tochter pflegt die Mutter im Wissen, dass diese Fürsorge im Testament belohnt werden wird. Der moralische Skandal besteht also nicht im Erben an sich. Unverschämt ist eigentlich nur, dass der Staat bei diesem letzten Geschenk mitmischt und in die familiäre Privatsphäre eingreift.
Die Erbschaftssteuer gehört abgeschafft
Die Erbschaftsteuer sollte, wie in Österreich oder Schweden, ganz abgeschafft werden. Denn das vererbte Geld wurde bereits zu Lebzeiten versteuert. Richtig unfair wird es bei der Erbschaftsteuer, wenn dasselbe Vermögen über mehrere Generationen hinweg vererbt wird. Denn jedes Mal nimmt sich der Staat ein neues Stück vom selben Kuchen. Mit knapp sieben Milliarden Euro trägt die Erbschaftsteuer nur minimal zur Staatsfinanzierung bei. Für den Fiskus ist die Erbschaftsteuer mehr als entbehrlich. Für die trauernden Hinterbliebenen ist sie ein bürokratisches Ungeheuer.
Laura Díaz ist Redakteurin bei ZDF Digital und schreibt als freie Journalistin. Sie wird wahrscheinlich erst in ein paar Jahrzehnten die Hälfte eines Reihenhauses im Ruhrgebiet erben.
Collagen: Renke Brandt