In einem provisorischen Kino in der saudischen Stadt Dschidda wurde im Januar „Emoji – Der Film“ gezeigt. Was merkwürdig klingt, hat eine immense Bedeutung. Es ist der erste in dem Land gezeigte Kinofilm seit 35 Jahren. Das macht die Veranstaltung zum jüngsten Beleg eines umfassenden Wandels in Saudi-Arabien.
Ein Wandel, der vor allem mit einem Namen verknüpft ist: Mohammed bin Salman. Seit sein Vater 2015 König des Landes wurde, gelang dem 32-Jährigen ein rasanter Aufstieg. Während zuvor kaum ein Diplomat den Namen des Kronprinzen kannte, stehen seine Initialen – MBS – heute für die ambitioniertesten Reformen in der Geschichte des Königreichs. Seine Politik prägte im vergangenen Jahr den gesamten Nahen Osten derart, dass Online-Leser des „Time Magazine“ ihn zu einer der zehn wichtigsten Personen des Jahres wählten. Für die einen gilt er als Figur des Aufbruchs, für die anderen als leicht reizbarer Autokrat, der mit Angst regiert und Gewalt nicht scheut.
Der Prinz hat eine andere wertvollere Ressource angezapft: die Jugend des Landes
Der Kronprinz und damit Thronfolger hat einen Bachelor in Rechtswissenschaften, ist seit zehn Jahren verheiratet und mehrfacher Vater. Als Verteidigungsminister verantwortet MBS auch einen der weltweit größten Rüstungsetats und lenkt mit dem auf gigantischen Ölreserven sitzenden staatlichen „Saudi Aramco“ das vermutlich wertvollste Unternehmen der Welt.
Auch sein Vermögen scheint enorm zu sein, Schlagzeilen machte er Ende letzten Jahres etwa mit dem Kauf eines 300 Millionen-Dollar-Anwesens in Paris.
Doch verdankt er seinen Aufstieg weder den Petrodollars noch seinem Ministerposten. Der Prinz hat eine andere wertvollere Ressource angezapft: die Jugend des Landes.
Rund 60 Prozent aller Saudis sind jünger als 30 Jahre. Sie sind in einem Land aufgewachsen, in dem ihre Mütter und Schwestern nicht Auto fahren durften und in dem die Religionspolizei brutal über die Einhaltung konservativer Verhaltens- und Kleidervorschriften wachte. Ein Land ohne Kinos, Konzerte und Alkohol. Dafür mit täglich fünf strikt einzuhaltenden Gebetszeiten, zu denen das gesamte öffentliche Leben stillsteht. Anders als viele andere Kinder des Königshauses ging der Kronprinz fürs Studium nicht nach Harvard oder Oxford, sondern blieb im Land. Vielleicht hat er so ein Gespür dafür entwickelt, dass eine via Instagram und Snapchat mit dem Rest der Welt verbundene Jugend in einer solchen Gesellschaft keine Zukunft für sich sieht.
Und: Er gibt sich als einer von ihnen. Beobachter rechnen fest damit, dass er den Thron bald übernimmt und dann als Mittdreißiger über ein Land herrscht, dessen bisherige Könige bei Amtsantritt allesamt über 50 Jahre alt waren. Das Vorgehen des Kronprinzen ist zwar strategisch, aber auch nicht ganz ungefährlich: Immerhin soll er ein Land regieren, in dem Respekt vor dem Alter der soziale Kitt ist.
Niemand ist sicher, der sich Mohammed bin Salman in den Weg stellen könnte
Somit bleibt er vorerst auf seinen Vater angewiesen, der den Generationenwechsel mit seiner Personalpolitik unterstützt. Dieser hilft ihm dabei, Verbündete in anderen wichtigen Ämtern zu platzieren: Der neue saudische Botschafter in Washington, der neue Innenminister und der neue stellvertretende Gouverneur der Ostprovinzen waren bei Amtsantritt 30 Jahre oder jünger.
Die Personalpolitik hat wenig mit gutem Willen zu tun, sondern ist genau kalkuliert. Zeitgleich entledigt sich das Vater-Sohn-Duo nämlich seiner Konkurrenten. So wurde etwa Mutaib bin Abdullah, Befehlshaber der einflussreichen Nationalgarde und Lieblingssohn des verstorbenen Königs Abdullah entlassen. Elf weitere Prinzen wurden verhaftet, weil sie gegen Reformen protestiert hatten. Der bisherige Höhepunkt ist die monatelange Festsetzung von mehr als 200 einflussreichen Saudis in einem Luxushotel der Hauptstadt Riad. Darunter sind Prinzen, Minister und Geschäftsmänner. Ihnen wurde Korruption vorgeworfen. Doch die eigentliche Botschaft ist im ganzen Land klar: Niemand ist sicher, der sich Mohammed bin Salman in den Weg stellen könnte.
Mohammed bin Salman lässt nicht nur Kritiker verhaften, es gibt Gerüchte, dass er seine inhaftierten Gegner foltern ließ. Auch der katastrophale Jemen-Krieg ist eng mit dem Verteidigungsminister MBS verknüpft, wegen seiner Strategien gerät er immer wieder in Kritik.
Trotzdem weiß Mohammed bin-Salman große Teile der Bevölkerung hinter sich. Allen voran die Jugend. Der verspricht MBS mit der Vision 2030 eine große Reform, die Korruption langfristig bekämpfen und Millionen junge Saudis aus der Arbeitslosigkeit führen soll: weg vom Erdöl, hin zu einer diversifizierten Wirtschaft. Doch es wird Jahre dauern, bis sich dieser Strukturwandel bemerkbar macht.
Um das Volk von seinen Absichten zu überzeugen und Wirtschaftlichkeit zu fördern, führt MBS auch soziale Reformen durch: Kinos und Konzerte zur Unterhaltung, Frauen ans Steuer und in ausgewählten Fußballstadien. Alles Zugeständnisse, die seinen Status als Hoffnungsträger junger Saudis aufrechterhalten, sein Image im Westen aufpolieren und die Macht seiner Rivalen beschneiden.
Wie lange seine Strategien gut gehen werden, liegt auch an dem Wohlwollen der jungen Saudis
Vor allem den Iran will MBS bekämpfen, um seine Vormachtstellung in der Region auszubauen. Außerdem stärkt ein gemeinsamer Feind den Zusammenhalt im Land. Das ist es auch, was seine innenpolitischen Kritiker aus dem konservativen religiösen Establishment noch versöhnlich stimmt, denn die radikalen sunnitischen Wahhabiten Saudi-Arabiens haben das schiitische Iran seit langem als Erzfeind ausgemacht.
Noch nutzt der Kronprinz die innenpolitische Euphorie über den Wandel und die Zugeständnisse. Wie lange das gut geht, werden die jungen Saudis entscheiden.
Der Autor Florian Guckelsberger ist leitender Redakteur beim Nahost-Magazin zenith.
Fotos: Tasneem Alsultan/The New York Times/laif und Florian Guckelsberger