Was passiert?
Sommer 2014. Die britische Journalistin Amy Whittaker will recherchieren, mit welchen Methoden der sogenannte Islamische Staat junge europäische Frauen in sein Einflussgebiet lockt. Auf Facebook legt Amy das Profil einer jungen Islam-Konvertitin an und hat schon bald Kontakt zum IS-Kämpfer Bilel, der sich als attraktiver Draufgänger mit Pilotensonnenbrille und Kalaschnikow inszeniert. Amy skypt im Hijab mit ihm, sie kochen zusammen via Videochat, er macht ihr von Syrien aus Heiratsanträge und zweideutige Angebote. Je tiefer Amy in die Recherche einsteigt, desto mehr entfremdet sie sich von ihrer Chefredakteurin und ihrem Lebensgefährten – und desto näher fühlt sie sich Bilel.
Was zeigt uns das?
Zunächst einmal, mit welchen Propagandamethoden der IS arbeitet beziehungsweise gearbeitet hat, der Film beruht auf der wahren Geschichte der französischen Journalistin Anna Erelle. Genauso geht es aber darum, wie wenig die Inszenierung im Internet über den Charakter eines Menschen aussagt: Ja, auch Dschihadisten verschicken niedliche Katzen-GIFs und können kochen. Und das bringt uns zum dritten Thema des Films: die Empfänglichkeit für psychische Manipulation, speziell wenn wir unsere Sehnsüchte und Wünsche in andere Menschen projizieren.
Wie wird’s erzählt?
Das ist das Besondere an „Profile“: Wir sehen die gesamte Zeit nur einen Computerbildschirm, blicken quasi Amy über die Schulter. Auf ihrem Desktop chattet und videochattet sie mit Kollegen und Freunden, recherchiert Hintergründe für ihre Geschichte, die sie auf virtuellen Notizzetteln vermerkt, zahlt ihre Miete online, hört Musik, schaut sich Fotos und andere Dokumente an.
Good Job!
So irre die Erzählweise klingt: Sie funktioniert. Wir lernen die Charaktere und ihre Motivation so gut kennen, als wäre es ein „normaler“ Film. Was Regisseur Timur Bekmambetow aus dem überschaubaren Setting eines Computerbildschirms herausholt, ist beeindruckend. Und auch, mit welcher Detailverliebtheit er das tut: Realistisch gesetzte Tippfehler; Chattexte, die noch dreimal geändert werden und so die inneren Konflikte von Amy widerspiegeln; eine Recherche via Youtube-Tutorials „Wie ziehe ich ein Kopftuch an?“, „Wie schminke ich mich jünger?“
Geht nicht so gut
Um Spannung und Dynamik zu erzeugen, wird leider immer wieder der Realismus geopfert. Amy verhält sich immer wieder haarsträubend unprofessionell und bauchgesteuert, es ist schwer vorstellbar, dass irgendeine Journalistin ein derart heikles Thema so naiv angehen würde. Beispielsweise chattet sie eine Minute vor dem zweiten Skype-Videocall mit Bilel noch mit einer Freundin um dann hektisch abzubrechen – klar, nur so lassen sich die verschiedenen Handlungsebenen zusammenbringen. Aber schwierig ist es schon.
Wieder was gelernt
Im Film verschickt Bilel gern Katzenfotos, auch vom Instagram-Account „Islamic State of Cats“. Ein Scherz? Nicht wirklich. Tatsächlich betrieb der IS einen Twitter-Account dieses Namens, wo er die Katzenfoto-Liebe des Internets mit Aufnahmen niedlicher „Mewjahedin“-Kitten bediente.
Ideal für …
... alle, die mal einen wirklich innovativen Kinofilm sehen wollen. Trotz einiger Schwächen, Timur Bekmambetow und sein Team setzen hier ästhetische Maßstäbe.
„Profile“. Regie: Timur Bekmambetow, Drehbuch: Brittany Poulton, Timur Bekmambetow, Olga Kharina, mit: Valene Kane, Shazad Latif, Christine Adams, Amir Rahimzadeh, Morgan Watkins, USA/Großbritannien/Zypern/Russland 2018, 105 Min.