Für den HSV war es ein Abend zum Vergessen. Tabellenletzter waren die Hamburger Fußballer eh schon, und dann verlor die Mannschaft auch noch das Nordderby gegen den SV Werder. 0:1, durch einen Elfmeter in der 84. Minute. Eine gewaltbereite Gruppe von HSV-Fans hat das gar nicht mehr mitbekommen, sie saß schon seit Stunden auf der Polizeiwache. Die HSV-Anhänger hatten einen Regionalzug verwüstet, zeitgleich warfen Werder-Fans Gegenstände auf den Mannschaftsbus der Gäste.
Am Ende des Tages standen auf der Einsatzrechnung 425.718 Euro und 11 Cent. So viel mehr als ein normales Bundesligaspiel kostete der Einsatz beim „Hochrisikospiel“ zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen am 19. April 2015. Statt 200 bis 300 Beamte, wie bei einem normalen Spiel, waren rund 1.000 Polizisten für 9.537 Arbeitsstunden im Einsatz.
Die Fußballclubs sind fein raus und streichen die Ticketeinnahmen ein
Als Hochrisikospiel gelten vor allem Derbys zwischen rivalisierenden Vereinen aus der gleichen Region – wie Dortmund gegen Schalke, Hannover gegen Braunschweig oder eben der HSV gegen Bremen. Dort ist mit Ausschreitungen und Krawallen der Fangruppen zu rechnen, die Polizei rückt deswegen mit dem doppelten bis dreifachen Aufgebot aus, wenn ein solches Spiel in der Stadt ansteht. Die Einsatzkräfte unterstützen die Vereine im Stadion, außerdem zeigen sie Präsenz an Gefahren-Hotspots wie Bahnhöfen und den Wegen zur Arena. Eben überall da, wo die Fans aufeinandertreffen könnten.
Bis jetzt zahlen solche Einsätze die Bundesländer, die mit ihren Polizeikräften für die öffentliche Sicherheit sorgen. Die Fußballclubs sind fein raus und streichen die Ticketeinnahmen ein. Das Land Bremen fand das unfair und klagte. Mit Erfolg: Kürzlich entschied das Oberverwaltungsgericht Bremen, dass sich die Deutsche Fußball Liga (DFL), der Dachverband der Bundesligaclubs, an den Mehrkosten beteiligen muss. Denn schließlich seien die Fußballspiele nur deshalb wirtschaftlich so erfolgreich, weil die Polizei für Ordnung sorge.
Die DFL sieht das natürlich anders: „Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist ausschließlich die Sache des Staates“, sagte DFL-Präsident Reinhard Rauball. Im und direkt ums Stadion hat der jeweilige Verein Hausrecht und setzt das mit seinem privaten Sicherheitsdienst mit der Unterstützung der Polizei durch – das ultimative Mittel ist das Stadionverbot. Für DFB-Präsident Reinhard Grindel tun die Vereine damit genug. „Der Fußball ist nicht Störer. Störer sind Gewalttäter, die die Plattform des Fußballs ausnutzen.“ Die DFL hat schon Revision gegen das Urteil eingelegt, entscheiden muss nun das Bundesverwaltungsgericht. Verliert der Ligaverband, will er die Kosten an die jeweils betroffenen Vereine weiterreichen.
Im Kern geht es dabei aber gar nicht um den Fußball, sondern um die Frage, ob der Staat bedingungslos für die Sicherheit im öffentlichen Raum verantwortlich ist oder ob er kommerzielle Veranstalter an den Kosten beteiligen kann. Denn Großveranstaltungen sind teuer. Vor allem aber Fußballspiele. Allein die Polizeieinsätze zu den Spielen der Bundesligaclubs der obersten beiden deutschen Ligen schlagen mit rund 70 Millionen Euro oder 1,4 Millionen Arbeitsstunden bei der Polizei pro Jahr zu Buche. Zum Vergleich: Der Polizeieinsatz für ein Open-Air-Konzert von Robbie Williams im Stuttgarter Stadion im August 2013 kostete das Land Baden-Württemberg rund 18.000 Euro, alle Eishockey-Heimspiele der Adler Mannheim in der Saison 2012/2013 rund 137.000 Euro.
Die Rechnung würden am Ende vermutlich die Fans zahlen – mit höheren Ticketpreisen oder Aufschlägen für Hochrisikospiele.
Eigentlich also eine faire Sache, wenn die reichen Fußballclubs einen Teil der Kosten tragen, oder? Ganz so einfach ist das nicht, denn während die Top-Vereine der Liga wie die Bayern oder der BVB diese Mehrkosten womöglich tragen könnten, sieht es bei den finanziell schwächeren Clubs, zu denen auch Bremen und Hamburg gehören, anders aus. Die Rechnung würden am Ende vermutlich die Fans zahlen – mit höheren Ticketpreisen oder Aufschlägen für Hochrisikospiele. Und einen Teil der Kosten tragen die Vereine indirekt jetzt schon: 2017 zahlten alle Bundesligaclubs zusammen rund eine Milliarde Euro Steuern und Abgaben an das Finanzamt und an die Sozial- und Unfallversicherungen.
Offen bleibt, wie weit die Clubs für ihre Fans verantwortlich sind. Im Stadion ist die Sache klar, aber wer ist vor und nach der Partie zuständig, wenn der größte Teil der Ausschreitungen stattfindet? „Ist es die Verantwortung von Werder Bremen, wenn Fußballfans im IC aus Hamburg randalieren?“, fragt „Spiegel Online“. „Wo läge sonst die Grenze der Verantwortung? Soll es eine bundesweite DNA-basierte Fandatei geben, mit der Straftaten Vereinen zugeordnet werden können? Tragen Gewalttäter Kutten mit HSV-Wappen, muss dann der Verein HSV sich an den Polizeikosten beteiligen? Was, wenn es Hooligans sind, die unauffällig gekleidet waren, die aber Werder-Fans attackiert haben?“
In einem ersten Schritt könnten die Fußballclubs solche Fans, die durch Gewalt auffallen, konsequenter als bisher aus den Stadien verbannen. Ganz nach der Logik: Wer gar nicht erst anreist, kann später auch nicht randalieren. Im Gegenzug würden die Vereine nicht an den Polizeikosten beteiligt. Aber lässt sich das Problem so einfach lösen? Wer an einem Bundesligasamstag randalieren will, kann das auch ohne Eintrittskarte. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann kann sich den Ansatz zumindest vorstellen – mit einer Ergänzung: „Unser Ziel ist, verstärkt die Gewalttäter selbst zur Kostenerstattung heranzuziehen.“
„50 Millionen Euro pro Saison wären angemessen“
So unklar die genaue Regelung jetzt noch ist, eines steht schon fest: Gewinnt das Bundesland Bremen den Prozess, wäre der Verwaltungsaufwand in Zukunft enorm. Denn theoretisch müssten für jedes Spiel separat die Kosten berechnet werden. Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund, schlägt deswegen eine pauschale Summe vor, auf die sich Bund, Länder und die DFL einigen: „50 Millionen Euro pro Saison wären angemessen.“
Ganz schön viel Geld, um das es da für die Bundesländer gehen könnte. Und das ist noch nicht alles: Denn das Urteil würde auch andere kommerzielle Großveranstaltungen wie Festivals oder Konzerte betreffen. Immer wenn ein Mehraufwand der Polizei vonnöten ist, könnten die Veranstalter in Zukunft zur Kasse gebeten werden. Allein Demonstrationen und Versammlungen, die vom Grundgesetz geschützt sind, wären dann noch all inclusive.
Titelbild: picture-alliance / dpa