Eine Frau, die geliebt werden oder erfolgreich sein will, muss schön sein. Wenn sie es nicht ist, muss sie es halt werden. Das hat die „Dietland“-Protagonistin Alicia, genannt „Plum“, Kettle genauso gelernt wie alle anderen. In Filmen wie „Grease“, „Eine wie keine“, „Der Teufel trägt Prada“ und „Bridget Jones“. Sogar in „Harry Potter“ checkt Ron erst beim Weihnachtsball im vierten Teil so richtig, dass er verknallt ist, als sich Hermine endlich mal mit einem Zauberspruch die Haare glättet und ihr die Zauberkrankenschwester die Schneidezähne verkürzt.
Plum Kettle will sogar beides: von Männern als mehr als ein Fetischobjekt wahrgenommen werden und erfolgreich in ihrem Job sein. Die Frau mit dem Spitznamen „Pflaume“ steht vor einem Spiegel und hält ein Kleid, das halb so breit ist wie sie, auf ihren Körper. Wenn sie doch nur endlich das Geld und das ärztliche Attest für die Magenverkleinerung hätte. Dann würde ihre Chefredakteurin Kitty, die in etwa den Taillenumfang eines Katzenbabys hat, merken, dass sie mehr kann als eine Ghostwriterin sein, die Leserbriefe beantwortet (übrigens alle von Frauen, die dank des von Kitty herausgegebenen Magazins unter einem irgendwie ausgearteten Frauenbild leiden). Dann würde sie Sex haben, auch wenn sie dank der Antidepressiva, die sie seit Jahren schluckt, bisher ohnehin keine große Lust darauf hat. Dann würde sie ab und zu ein Glatzkopf (sie will realistisch bleiben, sagt sie selbst und bodyshamet ein bisschen zurück) in der Bar ansprechen. Dann wäre sie wieder Alicia. Nicht Pflaume.
Doch bevor es so weit kommen kann – Spoiler: die Serie ist keine Hollywood-Make-over-Comedy-Romanze –, ändert sich so gut wie alles. Nicht nur in Plums Leben: Sie wird von einer jungen Goth-Frau verfolgt, die sie im Verlagshaus einer Frau vorstellt, die das gesamte Make-up des Towers verwaltet. Schnell wird klar, dass diese Frau noch mehr zu kaschieren hat als Chefin Kittys Pickel. Die wiederum kaschiert ein Datenleck und hat zur Aufklärung dessen einen ehemaligen NYPD-Detective beauftragt, der Plum beim Karottenkuchenessen (er isst, sie schaut zu) verdächtig tief in die Augen blickt. Zeitgleich entführt eine feministische Terrorgruppe namens „Jennifer“ Männer, die sich an Frauen vergangen haben, zwingt sie vor laufender Kamera, sich zu entschuldigen, ehe sie sie tötet und in Bodybags von Hausdächern und Brücken schmeißt. Darunter ist unter anderem ein Fotograf, der wohl nicht zufällig dem bekannten Modefotografen Terry Richardson ziemlich ähnlich sieht. Ebenfalls durch die Goth-Frau landet Plum bei einer Organisation namens „Calliope“. Deren Chefin ist die Tochter der verstorbenen Erfinderin einer bekannten Diät. Sie bietet Plum 20.000 Dollar dafür, ihren Traum vom Schreiben zu verfolgen und die Magenverkleinerung doch bitte sein zu lassen. Ohne noch mehr zu verraten, kann man sagen: Schon zum Ende der dritten Folge ergeben sich da große – und zum Teil wirklich überraschende – Verstrickungen.
Viele Splittergruppen, ein Gegner: das Patriarchat
Das Drehbuch von „Dietland“ basiert auf dem gleichnamigen Roman der Autorin Sarai Walker, die mit der Geschichte eine Art „Fight Club“ für Frauen schaffen wollte. Die Terrorgruppe „Jennifer“ lässt extremistische Taten gegen Missbrauch sprechen. Der sanfte Feministinnenclub von „Calliope“ will Frauen zu ihrer wahren Bestimmung verhelfen. Selbst die Mode-Ikone und höchst manipulative Antagonistin Kitty muss zusehen, wie und wo sie sich in der männerdominierten Verlagswelt positioniert. Alle Splittergruppen des Frauen-Fight-Clubs kämpfen also im Grunde gegen den gleichen Gegner: das Patriarchat.
Das mit den kämpfenden Frauen an verschiedenen Teilen desselben Systems funktioniert ganz gut. Richtig spannend wird es, weil Plum als übergewichtige Antiheldin mittendrin keinerlei feministischen Spirit versprüht und erst einmal lernen muss, an sich selbst zu glauben. Mord mit Action, Intrigen, Selbstfindung – eine unausgelutschte Mischung. Aber – da ist sie dann eben doch: die kleine Verwandlung, die die Protagonistin durchmachen muss, um am Ende Ruhm und Liebe zu erhalten. Angedeutet schon in Folge 1 durch einen pflaumenfarbenen Lippenstift.
„Dietland“, Staffel 1, Episode 1–4 kannst du ab sofort auf Amazon Prime streamen. Immer montags kommt eine weitere Folge heraus.
Titelbild: Patrick Harbron/AMC