Thema – Terror

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Gesellschaft mit beschränkter Haltung

Wie ein Franchiseunternehmen exportiert der „Islamische Staat“ seine Strukturen in andere Länder – und ist damit erschreckend erfolgreich

Anschlag auf einen Sikh Tempel in Kabul

Es sind verstörende Bilder, die am 25. März um die Welt gehen. Spezialeinheiten der afghanischen Armee stürmen ein Gebäude in der Kabuler Shor-Bazar-Straße. Zu sehen sind verängstigte Kinder und weinende Männer und Frauen. Bei den Opfern des Terrorangriffs handelt es sich um Angehörige der afghanischen Sikh-Minderheit. Einst lebten Zehntausende von ihnen im Land, heute, auch weil sie verfolgt und getötet wurden, sind es nur noch wenige Hundert. 25 von ihnen wurden an jenem Tag in ihrem Tempel ermordet. Zu der Tat bekannte sich der „Islamische Staat in der Provinz Khorasan“ (ISKP), der afghanische IS-Ableger.

Seit dem Aufkommen des ISKP im Jahr 2015 finden regelmäßig derartige tödliche Anschläge statt. Vor vier Jahren bekannte sich die afghanische IS-Zelle erstmals zu einem Terroranschlag. Mehr als 80 Zivilisten wurden damals in Kabul getötet. Über 200 Menschen wurden verletzt. Seitdem finden regelmäßig Anschläge statt.

Das Modell kennt man – von McDonald’s oder Subway

Der ISKP jagt vor allem Minderheiten. Dies betrifft nicht nur Nichtmuslime, sondern etwa auch schiitische Muslime wie die Angehörigen der Hazara-Minderheit. Der ISKP imitiert dabei strikt seinen „großen Bruder“, den „Islamischen Staat“, der hauptsächlich im Irak und in Syrien aktiv ist. „Ich würde die beiden Akteure getrennt betrachten“, sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN). Ruttig beschäftigt sich seit Jahren mit militanten Gruppierungen in der Region und meint, dass die Aktionen des ISKP gut in das „Terror-Franchise“ des IS hineinpassen. Franchise – das kennt man von Restaurantketten wie McDonald’s oder Subway. Ein Unternehmer übernimmt gegen eine Gebühr das erfolgreiche Geschäftsmodell des Franchisegebers. Zahlungen des ISKP und anderer Subgruppen an den IS sind zwar nicht bekannt. Doch um diese geht es auch gar nicht: Die Terroristen wollen ihre Ideologie verbreiten und der Welt beweisen, dass sie unter einer gemeinsamen Flagge kämpfen können – und damit sind sie erfolgreich.

Das Franchisesystem, das Ruttig anspricht, ist einer der Hauptgründe, warum der IS und all seine Subgruppen zu den größten Terrorgruppen des 21. Jahrhunderts gehören. Die Suche nach Franchisenehmern läuft allerdings, wenn überhaupt, eher passiv ab. Für viele terroristische Gruppierungen ist der IS attraktiv: Mit seinem Staatenprojekt wird er als erfolgreich betrachtet, während Gruppierungen wie al-Qaida eine Stagnation erleben und mittlerweile als „alter Hut“ gelten. Nicht zuletzt lohnt sich ein Anschluss an den IS für die Gruppen, weil sie dadurch einen Boost erleben – vor allem medial.

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Anschlag auf einen Sikh Tempel in Kabul

Einer von vielen: Terroranschläge wie der vom 25. März sind trauriger Alltag. Spezialeinheiten der afghanischen Armee stürmten den Sikh-Tempel – aber konnten nicht verhindern, dass der „Islamische Staat in der Provinz Khorasan“ 25 afghanische Sikhs tötete

Mittlerweile lassen sich IS-Zellen in vielen Staaten finden, darunter in Ländern wie Libyen, Jemen, Ägypten, Somalia, Algerien und Indonesien. In all diesen Fällen wurden lokale extremistische Gruppierungen zu einem Teil des IS-Kalifats, indem sie ihm die Treue schworen. Ein besonders prominentes Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent ist etwa die Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria, die sich im März 2015 dem IS anschloss und seitdem als „Islamischer Staat in Westafrika“ bekannt ist. Der Gruppierung, die schon Jahre zuvor existierte und für brutale Verbrechen wie die Entführung von 276 mehrheitlich christlichen Schulmädchen im April 2014 international bekannt wurde, gelang es, einige Landstriche einzunehmen, um dort einen kleinen Terrorstaat zu errichten.

Der „Islamische Staat“ ist die am besten finanzierte Terrororganisation der Geschichte

Vor allem in Sachen Finanzierung unterscheidet sich der IS aber von kleineren Ablegern wie dem ISKP in Afghanistan. Dem IS gelang es, einen Quasistaat mit entsprechenden Strukturen zu errichten. In Syrien und Irak bauten die Extremisten ein lukratives Geschäft auf: Man erhob hohe Steuern, handelte und schmuggelte Erdöl und Antiquitäten und sammelte private Spenden ein. Ein Bericht des EU-Parlaments kam bereits 2017 zu dem Schluss, dass der IS jegliche wirtschaftliche Aktivitäten in seinem Gebiet, das von rund acht Millionen Menschen bevölkert wurde, versteuern ließ. Laut UN beliefen sich diese Steuereinnahmen pro Jahr auf rund 900 Millionen Dollar. Für Experten und Beobachter war klar: Der IS ist die am besten finanzierte Terrororganisation der Geschichte.

Von derartigen Superlativen ist der ISKP weit entfernt. Es gibt so gut wie kein Gebiet in Afghanistan, das die Terroristen komplett kontrollieren. Die Aktivitäten der afghanischen IS-Zelle sind vor allem auf Kabul und wenige Provinzen begrenzt. Umso mehr stellt sich die Frage, wie sich der ISKP finanziert. „Die Ressourcen und Strukturen des ISKP sind schwer nachzuvollziehen. Wie viele andere extremistische Gruppierungen versucht auch der ISKP alles, was in seiner Macht liegt, um vom Radar der Regierung zu verschwinden“, sagt Andrew Watkins, Afghanistan-Experte der NGO International Crisis Group (ICG). Die genauen Finanzierungsquellen und Erfolgsmodelle von Terrororganisationen wie dem ISKP nachzuvollziehen – damit beschäftigen sich Geheimdienste und Experten jahrelang und tappen oft im Dunkeln.

Für den kleinen Distrikt Achin, ein Schlupfloch des ISKP in der Provinz Nangarhar, konnte man aber herausfinden, wie der ISKP dort effektiv an Finanzmittel gelangt: Er erhob in den wenigen Dörfern, die von ihm kontrolliert wurden, eine Zwangssteuer, kidnappte lokale Stammesführer und Geschäftsmänner und ließ diese zu hohen Summen freikaufen. Auch hat Afghanistan viele Bodenschätze – und das IS-Gebiet Achin ist für seinen Reichtum bekannt. Dass die Terroristen sich ausgerechnet diesen Fleck ausgesucht hatten, dürfte kein Zufall gewesen sein.

All diese Strategien sind vom „großen Bruder“ in Syrien und Irak bekannt. Dort wurden weite Teile des IS von der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition mittlerweile besiegt. Doch abgesehen davon, dass einige Beobachter auch in dieser Region ein baldiges IS-Comeback befürchten, besteht die Idee des globalen Terrorstaats weiterhin, nicht zuletzt dank Subgruppen wie dem ISKP in Afghanistan, die das Terror-Franchise fortführen.

Titelbild: Ein Mann spricht nach dem Anschlag auf den Sikh-Tempel in Kabul zu Reportern. (Fotos: picture alliance/dpa/MAXPPP)

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