Ich kann mich noch gut an den September 2008 erinnern. Ich war damals gerade Praktikant bei einer Bank in Wien. Die Monate davor waren schon unruhig. In den USA brach der Immobilienmarkt zusammen, etliche Hausbesitzer konnten ihre Kredite nicht mehr abbezahlen, und die ersten Banken gerieten ins Trudeln. Einige mussten von der amerikanischen Regierung gerettet werden, aber nun hieß es, dass auch Lehmann Brothers das Geld ausgehen könnte. Die Bank war eine der traditionsreichsten Investmentbanken an der Wall Street.
Als meine Kollegen und ich uns am Freitag ins Wochenende verabschiedeten, war die Stimmung verhalten optimistisch. Okay, dachten wir, die Lage ist schlecht, aber die Politik wird das Finanzsystem schon stützen. Irgendjemand wird sich finden, der die Bank übernimmt und am Leben hält – das hat zuvor doch auch schon funktioniert. Zur Not eben der Staat. Und wenn doch kein Retter auftauchen würde – sicherlich wäre das schlimm, aber Lehman war ja nicht Goldman Sachs oder J.P. Morgan, das würde man schon irgendwie schaffen.
Der Traum war aus
Es kam zur Katastrophe: Als ich am Montag, den 15. September, in die Bank kam, war Lehman pleite. Die Rettungsaktion war gescheitert, die Kurse an den Börsen rutschten sofort runter. Ich war in der Abteilung Treasury, die sich um die Finanzierung der Bank kümmert. An dem Tag verfolgten wir alle gebannt die Nachrichten: Was passiert in den USA? Heißt das, dass bald noch mehr Banken zusammenbrechen? Schwappt die Krise auch nach Europa über? Was bedeutet das für uns?
Ein Jahr zuvor hatte ich ein Praktikum bei einer Investmentbank in Frankfurt gemacht. Wir Praktikanten wurden einmal für einen Tag nach London in die Zentrale geflogen, abends hin, am nächsten Tag zurück. Das war damals nichts Ungewöhnliches. In London trafen wir Vertreter des Managements. Sie präsentierten ihre Bank, und alle erzählten uns, wie gut es gerade lief. Die Banken warben ihre Nachwuchskräfte direkt von der Uni ab. Dass die guten Zeiten bald ein Ende haben würden, hätte damals kaum jemand gedacht.
Als ich 2010 mit meinem BWL-Studium fertig war, warben nur noch wenige Banken Absolventen direkt von der Uni ab. Ich weiß nicht mehr, wie viele Bewerbungen ich geschrieben habe, aber zwei Dutzend oder mehr werden es gewesen sein. Aufgeben wollte ich meinen Berufswunsch Fondsmanager trotzdem nicht. Die Geschichte hat gezeigt, dass es auf den Finanzmärkten immer wieder Krisen gibt. Es geht auf und ab. Das auszuhalten gehört zu unserem Beruf.
Als ich dann richtig in den Beruf startete, dachte man: Diese Krise wird sehr, sehr lange dauern. Aber nach den ersten Schockwellen hatten die Zentralbanken reagiert und federten die Krise ab. Natürlich waren die Folgen trotzdem in vielerlei Hinsicht fatal, aber an der Börse begann eine der besten Phasen überhaupt, und es gab eine regelrechte Rally.
„Was kann eine Rentnerin im Schwarzwald schon über den amerikanischen Immobilienmarkt wissen, in den sie investieren soll?“
Heute arbeite ich bei einer Privatbank in Frankfurt als Fondsmanager für Aktien. Wir verwalten das Vermögen von Privatleuten – vom einfachen Sparer bis hin zu den sehr Reichen – und von Institutionen wie zum Beispiel Versorgungswerken. In meinem Team sind wir zu fünft für einige hundert Millionen Euro zuständig. Ich bin dafür verantwortlich, dass Menschen am Ende ihres Berufslebens ihre Rente bekommen. Da kann und darf man nicht leichtfertig handeln.
Ich lese täglich Geschäftsberichte, telefoniere mit Unternehmen und Branchenexperten, analysiere Daten und überlege gemeinsam mit meinen Kollegen, welche Firmen überragende Geschäftsmodelle haben und damit in den kommenden Jahren gute Gewinne erwirtschaften werden. In die investieren wir dann das Geld unserer Kunden. Grundsätzlich verändert hat sich das Anlegen durch die Finanzkrise für Fondsmanager wie mich deshalb kaum. Aber natürlich hat sich durch die Regulierung einiges verändert, zum Beispiel der reduzierte Eigenhandel bei Banken oder die Dokumentationspflichten der Berater. Viele Anleger fragen auch mehr nach und vertrauen ihrem Berater nicht mehr blind.
Impfstoff: Ethik
Sicher ist vor der Finanzkrise einiges falsch gelaufen. Kunden wurden Anlagen verkauft, die sie kaum verstanden und deren Risiko ihnen nicht bewusst war. Was kann eine Rentnerin im Schwarzwald schon über den amerikanischen Immobilienmarkt wissen, in den sie investieren soll? Manche Bank hat diese Unwissenheit ausgenutzt. Aber es tut sich etwas.
Ich habe eine Fortbildung als „Chartered Financial Analyst“ gemacht. Dabei lernt man viel über theoretische und praktische Aspekte der Finanzmärkte und des Investierens. Es geht aber auch um ethische Fragen des Jobs. Wer diese Ausbildung abschließt, muss jedes Jahr aufs Neue einen Ethikkodex unterschreiben. Es geht vor allem um Verantwortung und richtiges Handeln, für die Kunden und für das Unternehmen.
Schlimmstenfalls wird einem der „CFA“ wieder aberkannt. Den Kodex gab es schon vor der Krise, aber ich glaube, dass solche Standards inzwischen viel relevanter geworden sind. Das sieht man auch daran, dass die Anzahl der CFA Charterholder und der Kandidaten für das Programm jährlich stark wächst. Die Nachfrage ist groß, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Finanzbranche wissen, dass mehr getan werden muss, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Auch deswegen bin ich bei diesem Job geblieben: So kann ich immerhin ein Stück dazu beitragen, dass es in Zukunft besser läuft.
Fotos: Jonas Ratermann