Im sogenannten Ostkurvensaal herrschte Partystimmung. Hier, im Bauch des Bremer Weserstadions, unter der traditionsreichen Osttribüne, feierten die Fans von der Ultra-Gruppierung „Racaille Verte“ (Grünes Gesindel) ihr einjähriges Bestehen, als plötzlich zwei Typen in Thor-Steinar-Klamotten am Eingang auftauchten. Eine Provokation, denn die Ultras bezeichnen sich offen als antifaschistisch und engagieren sich gegen Rassismus – Thor Steinar aber ist die Marke der Neonazis.
Von denen standen plötzlich einige im Raum, bewaffnet mit Knüppeln schlugen sie auf die Anwesenden ein. Muskelbepackte Hooligans, unter ihnen der weit über die Bremer Landesgrenzen hinaus bekannte Sänger der Hooligan-Band Kategorie C. Als die etwa zwei Dutzend Schläger wieder abzogen, blieben 100 verstörte Partygäste zurück, 40 Leichtverletzte, zwei Schwerverletzte und die Gewissheit, dass Werder Bremen ein gewaltiges Problem mit Rechtsextremen hat.
Schon in den Siebzigern und Achtzigern hatten Rechts und Links um die Vorherrschaft in der Kurve gekämpft. Einmal habe ein Haufen Bomberjackenträger die Punker aus dem Block getreten, erinnert sich Thomas Hafke, damals Mitarbeiter des Bremer Fanprojekts – die erste Initiative dieser Art im deutschen Fußball. „Es war völlig normal, dass dunkelhäutige Gegenspieler mit Affenlauten begrüßt wurden oder der Hitlergruß gezeigt wurde.“ Der brutale Überfall im Januar 2007 sei die Wende gewesen. „Endlich begriffen Verein und Stadt, was eigentlich in der Fanszene abging.“ Entscheidend sei gewesen, dass die Opfer des Überfalls so mutig waren, die Täter anzuzeigen, auch wenn es bis zu diesem Schritt noch lange dauerte und der Prozess erst vier Jahre später begann.
Obwohl die Bremer Gerichte den Überfall als vermeintlich gewöhnliche Gewalt unter Fußballfans darstellten und die Täter nur milde Gefängnisstrafen bekamen, war der Prozess ein Durchbruch. Denn die Angreifer hatten nicht damit gerechnet, dass die Geschädigten sie tatsächlich anzeigen würden – „Don’t talk to cops“ lautet das ungeschriebene Gesetz der Szene. Dass sich mit den Ultras von Racaille eine Gruppe offen gegen Neonazismus und Rassismus stellte, empfand Hafke auch als Lohn für die jahrelange Arbeit an der Basis im Stadion.
Auch die Clubführung erwachte aus ihrer jahrelangen Starre und positionierte sich mit einem später ausgezeichneten Antidiskriminierungsprogramm klar gegen rechte Gewalt. Jahrzehntelang hatte man wie in so vielen anderen Stadien der Bundesliga einfach weggesehen, wenn Skinheads ihre Banner am Zaun aufhängten – oder weggehört, wenn im Bus zum Spiel von einer „U-Bahn nach Auschwitz“ gesungen wurde. Nun erfuhren die Ultras plötzlich vom Management und vom Großteil der übrigen, eher unpolitischen Fans Unterstützung. Bei einem Auswärtsspiel wurden die Rechtsextremen mit „Nazis raus!“- Rufen und „Wir sind Bremer und ihr nicht!“ aus dem Stadion gebrüllt. Der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, zufällig anwesend, nannte den Bremer Anhang daraufhin eine „Allianz der Vernünftigen“ im Kampf gegen den braunen Fußballanhang.
Während sich in der Kurve immer mehr Menschen tummelten, die sich als politisch Denkende definieren, und sich eine klar linksorientierte Ultra-Szene entwickelte, verbot der Verein das Tragen von rechten Klamottenmarken, sensibilisierte seine Ordner, distanzierte sich von braunem Gedankengut und bestrafte rassistische, ausländerfeindliche und homophobe Ausfälle konsequent. Allen ist klar geworden, dass gegen Diskriminierung und Rassismus nur ein gemeinsames Einstehen für demokratische Werte hilft, dass es keinen halben Weg gibt – und dass der bei vielen Clubführungen beliebte Spruch, der Fußball sei unpolitisch, nichts ändert.
Inzwischen gibt es an der Weser fünf Ultra-Gruppierungen, die sich regelmäßig gegen rechtsradikale, ausländerfeindliche und rassistische Strömungen im Umfeld des Vereins positionieren. Sie schreiben Briefe oder machen Aktionen im Stadion. Im Jahr 2018 ist die Fankurve so schön bunt wie noch nie. Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass der Verein gegenwärtig auch wieder schönen Fußball spielt?